Die Unsicherheit ist spürbar. Der Beginn des neuen Schuljahres unter Corona-Bedingungen ist ohne Vorbild. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Die Diskussionen darüber ebenfalls.
Es trägt nicht gerade zur Klarheit bei, dass jedes Bundesland anders auf diese Situation reagiert. Mit dem Schulbeginn nach den großen Sommerferien versucht sich ein vielstimmiger Chor von Bedenken, Vorschlägen und Forderungen Gehör zu verschaffen. Der Saarländische Lehrerinnen- und Lehrerverband (SLLV) spricht von einem „Experiment", von einer Rückkehr zu normalen Verhältnissen könne keine Rede sein, so die Vorsitzende Lisa Brausch.
Das sichtbarste Symbol dafür ist die Diskussion um Maskenpflicht. Das Saarland hat sich vergleichsweise früh entschlossen, für den Unterricht im Klassenzimmer keine anzuordnen, etwa im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen. Man könne Schülerinnen und Schüler nicht etliche Stunden im Unterricht mit Maske sitzen lassen, erklärt Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU). Die zuständige Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) sieht das genau so. Beide schließen aber nicht aus, dass sich alles je nach Entwicklung wieder ändern könne. Die Wissenschaftsakademie Leopoldina hatte übrigens Masken auch im Unterricht empfohlen.
Einerseits erscheint vielen nicht wirklich einsichtig, dass in Klassenzimmern keine Maske erforderlich sein soll, sie aber ansonsten im Schulgebäude verpflichtend ist, ebenso im Schulbus. Andererseits leuchtet der Unterschied ein, einem Unterricht einigermaßen aufmerksam folgen und sich beteiligen zu können oder eben auf Fluren rumtoben, ganz abgesehen von der Frage der Kontrolle und möglicher Sanktionen. Die Meinungen gehen auch quer durch Vertretungen, Verbände und Gewerkschaften auseinander.
Womöglich entscheidender als die Maskendebatte sind die intensiven Vorbereitungen für Hygiene- und Unterrichtskonzepte. Dazu gehören beispielsweise die Planungen, Schüler im Klassenverband zusammenzuhalten und unnötige zusätzliche Kontakte zu vermeiden. Mancher Lehrer wird sich anfangs vermutlich wie ein Schülerlotse vorkommen. Entscheidender, ob Maskenpflicht oder nicht, ist auch aus Sicht von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), ob räumliche und organisatorische Maßnahmen die Einhaltung von Abstandsregeln ermöglichen, was aber bekanntermaßen angesichts der Raumsituation nicht überall in gleichem Maße gelingen könne, kritisiert nicht nur die saarländische Landesschülervertretung.
Zum Einstieg in den regulären Schulbetrieb hat das Bildungsministerium einen Rahmenplan vorgelegt, abgestimmt unter anderem mit Virologen der Universitätsklinik, Kinder- und Jugendärzten sowie Eltern, Schülern und Gewerkschaften. Ziel ist ein Präsenzunterricht, allerdings natürlich abhängig von der Infektionsentwicklung, hieß es bereits Anfang Juli. Ministerin Streichert-Clivot betonte dabei immer wieder das Recht auf Bildung und Bildungsgerechtigkeit.
Dazu sind bereits im Nachtragshaushalt zusätzliche Stellen vorgesehen. Für die mobile Lehrerreserve sollen es rund 100 Stellen sein, vor allem auch, um Lehrpersonal, das absehbar coronabedingt ausfällt, weil es beispielsweise zur sogenannten vulnerablen, also gefährdeten Gruppe gehören, ersetzen zu können. Für die rund 9.000 Lehrer an saarländischen Schulen sollen freiwillige Tests möglich sein. Ginge es nach dem Lehrerinnen- und Lehrerverband, müsste allen Lehrkräften Schutzkleidung zur Verfügung stehen.
Auf viele Szenarien vorbereitet
Die Corona-Zeit hat aber nicht nur organisatorische Änderungen notwendig gemacht. Die erzwungene Pause seit Mitte März über die schrittweise Öffnung ab Mai hat, wie auch in anderen Bereichen, Schwachstellen unübersehbar gemacht, zugleich aber auch Kräfte freigesetzt. Vieles davon ließe sich unter dem großen Wort Digitalisierung zusammenfassen.
Das Engagement der allermeisten Lehrkräfte, Schüler zu Hause etwa mit Unterrichtsmaterial zu erreichen, stieß teilweise auf eklatante Hemmnisse. Mangelhafte bis nicht vorhandene technische Möglichkeiten eines Teils der Schüler offenbarten einen Teil der Kluft im Bildungssystem. Studien, auch und gerade internationale Vergleiche, kritisieren seit geraumer Zeit auseinanderklaffende Bildungschancen. Eine Reaktion darauf ist jetzt ein milliardenschweres Digitalisierungsprogramm des Bundes, ergänzt durch Landesmittel, das auch die Ausstattung aller Schüler (und Lehrer) mit Tablets vorsieht. Die Schulbuchausleihe im Saarland hat sich bereits darauf eingestellt, die Ausleihe zu organisieren. Auch eine zentrale Maßnahme für den Fall, dass in diesem Herbst eine zweite Corona-Welle wieder zu drastischen Maßnahmen zwingen sollte. „Wir müssen die Digitalisierung weiter mit Hochdruck verfolgen, denn niemand kann aktuell einschätzen, wie sich die Corona-Zahlen entwickeln. Wir müssen auf alle Szenarien vorbereitet sein", fordert beispielsweise der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Frank Wagner.
Zudem hatte Ministerin Streichert-Clivot bereits im Mai im FORUM-Interview erklärt, dass multiprofessionelle Teams (Lehrer, Schulsozialarbeit, Sprachförderung, Eingliederungshilfe) „eine neue Bedeutung" nach den Erfahrungen des Lockdowns bekommen würden. Inzwischen sind mit den Landkreisen (als Schulträger) Vereinbarungen unter Dach und Fach, mit denen Schulsozialarbeit nun flächendeckend an allen Schulen der Fall sein wird.
Ansonsten hat die Diskussion um die Lernplattform „Online-Schule-Saarland" gezeigt, wie viel Nachholbedarf in Sachen digitale Schule noch besteht. Elternverbände nennen die saarländische Bildungscloud schon mal „Rohrkrepierer". Immerhin gibt es auf diesem Markt Wettbewerb, auch private Anbieter sehen Chancen, vom Schub der Schuldigitalisierung zu profitieren.
Jedenfalls hat die Corona-Zeit im Bildungsbereich einen enormen Druck in Richtung Digitalisierung ausgelöst, was manchem aber auch zu schnell und wenig planvoll verläuft. Ausgereifte pädagogische Konzepte seien eher noch spärlich, und Ideen, wie das mit einem „Hybrid-Unterricht", also einem Mix aus Präsenz und Homeschooling, laufen könnte, gebe es zwar reichlich, aber vieles stehe eben noch am Anfang.
Dass in Mecklenburg-Vorpommern gleich nach Beginn der Schuljahres zwei Schulen erst einmal wieder geschlossen wurden, hat nicht gerade zu mehr Sicherheit bei Lehrern, Eltern und Schülern beigetragen. Andererseits zeigt es aber auch, dass lokal begrenzte Maßnahmen möglichst einen neuen großen Schnitt mit flächendeckenden Schließungen verhindern sollen. Ein Stück Unsicherheit bleibt, wie in allen Bereichen, trotz aller Vorfreude auf ein erstes Wiedersehen an einem ziemlich ungewöhnlichen ersten Schultag.