Corona ist nicht das einzige Problem: Fast jede dritte Berliner Schule wird saniert. Bevor Breitband und Router kommen, werden Fenster und Heizungen repariert. Manche Schüler kennen ihre Schule nur „under construction".
Kurz vor Schulbeginn herrscht in der Fichtenberg-Oberschule in Steglitz-Zehlendorf keine gespannte Ruhe, sondern krachender Lärm. Es hämmern die Bohrmaschinen in den Fluren, auf dem Schulhof drehen sich Betonmischer. Die Fichtenberg-Oberschule gehört zu den ältesten Gymnasien im Bezirk und blickt auf eine mehr als 100-jährige Tradition zurück. Seit 1979 können hier auch blinde und sehbehinderte Kinder Abitur machen. Derzeit lernen 800 Schülerinnen und Schüler mit 90 Lehrkräften. Wie viele andere Schulen schiebt auch die Fichtenberg-Oberschule einen jahre- oder besser jahrzehntelangen Sanierungsstau vor sich her. Ein kaputtes Dach, undichte Heizungen, eine überalterte Elektrik, die Liste ist lang. Die bröckelnde Fassade wird seit sieben Jahren von einem Gerüst abgestützt, „damit der herabfallende Putz den Kindern nicht auf den Kopf fällt", so Schulleiter Andreas Steiner. In seinem Büro hängen Fotos an der Wand, die den Zerfall belegen.
Sanierungsstau – und jetzt Corona
Nun wird seit drei Jahren gebaut, bei laufendem Schulbetrieb. Hätte man die Schule ausquartiert, wäre vielleicht schon alles fertig. So aber hofft Schulleiter Steiner, dass 2025 alle Arbeiten abgeschlossen sind. Das wären dann acht Jahre Baustelle. Es gibt also Schüler, die ihre Schule fast nur als Baustelle kennenlernen. „Das dauert alles so lange, weil wir uns damals entschieden haben, vor Ort zu bleiben", erklärt er. „Wir hätten auch umziehen können, aber dann wäre die Schulgemeinschaft auseinandergerissen worden. Jetzt wird Flügel für Flügel durchsaniert. Seit 2019 haben wir keinen Schulhof mehr, das sind riesige Einschränkungen. Wir mussten eine besondere Wegeführung einrichten, um alle Flucht- und Rettungswege freizuhalten." Im Moment belastet ihn, dass die naturwissenschaftlichen Räume nicht zur Verfügung stehen und in den Ausweichräumen nur ein sehr beschränktes Angebot möglich ist. „Ich unterrichte derzeit in einem Raum im Finanzamt. Als Chemielehrer bedaure ich es sehr, dass wir im Moment keine richtigen Experimente machen können. Das gilt auch für andere Fächer wie Physik oder Kunst."
Trotzdem würden die Kids gerne kommen, wie er sagt, weil sie sehen: Es geht voran. Das können sie auch auf der Homepage der Schule verfolgen, wo der Baufortschritt dokumentiert wird.
Und als ob die Bauarbeiten nicht schon genug Nerven kosten würden, kamen nun auch noch die Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie dazu. „Ich bin kein Schulleiter, ich bin Bauleiter", meint Andreas Steiner mit einem Augenzwinkern. „Die Belastung ist kaum noch zu stemmen. Durch unsere beschränkten Raumkapazitäten können wir maximal einen Jahrgang pro Tag beschulen, der Präsenzunterricht ist sehr eingeschränkt. Aber wir haben die Prüfungen hingekriegt!"
Die Fichtenberg-Oberschule ist eine Schule von 825 allgemeinbildenden Schulen in Berlin. An 243 wird derzeit gebaut oder renoviert. Seit der Berliner Senat eine „Schulbauoffensive" gestartet hat, geht es insgesamt schneller voran. Es gibt aber auch mehr Baustellen. Hunderttausende Schüler müssen mit Staub, Lärm und Improvisation zurechtkommen. Eigentlich sind sie, könnte man sagen, so für die Corona-Krise gut gerüstet, denn improvisiert werden wird jetzt weiter, soviel dürfte feststehen.
Für den seit 2016 amtierenden aktuellen Berliner rot-rot-grünen Senat ist die Schulbauoffensive ein Prestigeprojekt. „Beste Bildungschancen für mehr Teilhabe" lautete vollmundig das erste Kapitel des Koalitionsvertrages. Das Ziel hieß damals: Für den Schulneubau und die Sanierung der Berliner Schulen sollen in zehn Jahren bis 2026 rund 5,5 Mrd. Euro investiert werden. In den ersten drei Jahren waren es bereits etwas über eine Mrd. Euro. Und die Ausgaben steigen von Jahr zu Jahr. Die Kapazitäten der Baufirmen sind begrenzt und Planungen brauchen ihren Vorlauf.
Reichen die Neubauten?
Schnell wurde klar: Die Schulbauoffensive drohte an den Kapazitäten in den zuständigen Ämtern zu scheitern. Darum wurde vom Senat eine neue Arbeitsteilung beschlossen: Die Bauämter der Bezirke kümmern sich um kleinere Reparaturen und Sanierungen bis zu 10 Mio. Euro. Für größere Projekte springt in Amtshilfe die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen mit ein. Sie hat allein die Großsanierung von zehn Schulen übernommen. Ein ganz neuer Akteur im Schulbau ist die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge. Sie hat Erfahrung mit Wohnungen, kann aber offenbar auch Schule: Sie saniert allein elf Gebäude. Die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) hat die Sanierung der zentralverwalteten und berufsbildenden Schulen übernommen.
Dabei reicht Sanierung längst nicht aus: Denn Berlin braucht dringend neue Schulen: Die Zahl der Kinder in Berlin steigt. Insgesamt werden zum neuen Schuljahr in Berlin 36.800 Kinder eingeschult, eine Rekordzahl an Erstklässlern. Damit steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler auf 332.560. Das sind 7.035 mehr als im letzten Schuljahr. Laut der aktuellen Modellrechnungen wird das auch so weiter gehen: Die Anzahl der Schüler in den folgenden Jahren wird um etwa 6.000 bis 7.000 pro Jahr steigen. Jahrelang hatte die Schulverwaltung den Berliner Kinderreichtum unterschätzt. Darum werden jetzt viele Schulen umgebaut und erweitert. Da bestehende Schulen aber oft an Wachstumsgrenzen stoßen, müssen nun auch hektisch neue Schulen gebaut werden: Dutzende pro Jahr. Von 2017 bis 2021 sind dafür knapp 2,8 Mrd. Euro eingeplant. Das entspricht einem Budget für rund 60 neue Schulen.
Manche Neubauten plant die Senatsverwaltung selbst, andere die Howoge. Die Wohnungsbaugesellschaft plant derzeit allein 15 neue Schulen, meist in einfacher Bauweise. Sie sollen Platz für 12.500 Schüler schaffen. So entstand in Mahlsdorf in Marzahn-Hellersdorf vergangenes Jahr für 35 Mio. Euro eine Integrierte Sekundarschule für 550 Schüler. Die sogenannte „Schnellbauschule", die zum Teil aus vorgefertigten Holzelementen besteht, wurde innerhalb eines knappen Jahres errichtet, verglichen mit der Sanierung der Fichtenberg-Oberschule ging das ziemlich schnell.