Nur wenige Paare suchen sich professionelle Hilfe, wenn ihre Beziehung zu zerbrechen droht. Dabei lohnt sich der Gang zum Paartherapeuten meistens schon viel eher.
Schmerzen unsere Zähne, gehen wir zum Zahnarzt. Stottert der Motor unseres Autos, fahren wir in die Werkstatt. Droht hingegen die eigene Partnerschaft zu zerbrechen, sind weit weniger Menschen geneigt, einen Fachmann um Rat zu fragen: Gerade einmal 20 Prozent aller Paare versuchen vor einer Scheidung, ihre Beziehung mithilfe von professioneller Unterstützung zu retten. Dabei stehen Liebe und Familie laut Umfragen zur Lebenszufriedenheit bei den meisten von uns an erster Stelle. Erst danach kommen Gesundheit, Beruf und Geld.
Beziehungsfrust ist keine Seltenheit. Studien zeigen, dass die Zufriedenheit mit einer Partnerschaft in den ersten zehn Jahren kontinuierlich abnimmt. Nach durchschnittlich 15 Jahren Ehe ist bei vielen endgültig die Luft raus: Aktuell lässt sich in Deutschland ein Drittel der Paare, die einst so hoffnungsvoll vor dem Altar standen, wieder scheiden. Die Trennungsrate unverheirateter Paare dürfte noch einmal höher liegen. Darüber hinaus führen zahlreiche Menschen zwar stabile, aber unglückliche Beziehungen: Viele von ihnen werden in erster Linie von gemeinsamen Kindern, finanziellen Sorgen oder der Angst vor dem Alleinsein zusammengehalten. Und für manche kommt eine Trennung auch aufgrund von persönlichen Werten oder kulturellen Normen schlicht nicht infrage.
Zufriedenheit nimmt kontinuierlich ab
Häufig sind fehlende Kommunikation, unzureichende Fähigkeiten, Konflikte zu lösen, und der partnerschaftliche Umgang mit Stress der Kern des Problems. Diese Fertigkeiten gilt es, aktiv zu fördern, wenn die Liebe halten soll – und das am besten so früh wie möglich. „Oft beginnen Paare eine Therapie, wenn es schon zu spät ist", sagt Anne Milek, Paartherapeutin und Leiterin der Abteilung Paar- und Familienpsychologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Das führt dann zum Beispiel dazu, dass nur bei der Hälfte aller Paare beide Partner am Ende einer Therapie signifikant zufriedener mit der Beziehung sind. 30 bis 60 Prozent verfallen innerhalb von zwei Jahren wieder in alte Gewohnheiten zurück. „Man kann im Grunde nicht früh genug damit beginnen, seine Beziehungskompetenzen zu stärken. Präventive Ansätze sind effektiver als späte Schadensbegrenzung", erklärt Milek.
„Besuchen Paare gleich zu Beginn der Beziehung ein Präventionsprogramm, so zeigen sich noch 17 Jahre später positive Effekte. Diese Paare lassen sich seltener scheiden", sagt auch Christian Roesler. Der Paartherapeut und Psychoanalytiker von der Katholischen Hochschule Freiburg spricht sich deshalb für einen Ausbau solcher Programme in Deutschland aus. „In den USA nehmen in manchen Bundesstaaten bis zu 30 Prozent der relevanten Bevölkerung an Beziehungstrainings teil, in Deutschland dürfte es weniger als ein Prozent sein. Vor allem Menschen aus sozial schwachen Schichten profitieren sehr davon. Sie haben oft noch nie etwas von Streitregeln und Ich-Botschaften gehört."
Präventionsmaßnahmen zielen nicht darauf ab, Konflikte zu verhindern. Sie vermitteln vielmehr, wie sich Auseinandersetzungen in Zukunft konstruktiv und respektvoll führen lassen. Gut evaluierte Programme sind etwa das „Premarital Relationship Enhancement Program" (PREP), „EPL – Ein Partnerschaftliches Lernprogramm" und „Paarlife".
Viele Paare können vor allem dann Hilfe von außen gut gebrauchen, wenn sich ihre Lebenssituation drastisch ändert: Etwa wenn das erste Kind kommt. Auch wenn der Nachwuchs lang ersehnt war, leidet die Zweisamkeit in vielen Fällen unter der neuen Aufgabe. Manchmal braucht es etwas Überzeugungsarbeit, bis auch der Partner bereit ist, professionelle Unterstützung anzunehmen. In heterosexuellen Beziehungen ist es typischerweise die Frau, die dabei die Initiative ergreift. „Sie können sich auch erst einmal alleine an einen Paartherapeuten wenden oder ein Online-Angebot nutzen, um sich weiterzubilden. Spricht man dann mit dem Partner darüber, verliert dieser oft die Scheu vor einer Therapie", empfiehlt Milek.
Doch wie findet man den richtigen Ansprechpartner? In Deutschland ist der Begriff „Paartherapeut" gesetzlich nicht geschützt. Es gibt also keine rechtlichen Vorgaben, welche Ausbildung dieser durchlaufen haben muss. Daher ist es wichtig, genau darauf zu achten, ob es sich um einen seriösen Anbieter handelt. Auch wenn Paartherapie keine Psychotherapie im engeren Sinne darstellt, wird sie oft von approbierten Psychotherapeuten angeboten, die nach einem Studium der Psychologie, Medizin oder manchmal auch Pädagogik eine mehrjährige Ausbildung absolviert haben. Die Kosten werden – anders als bei einer Psychotherapie, die eine psychische Störung behandeln soll – nicht von den Krankenkassen übernommen.
Manchmal reichen schon drei Sitzungen
Eine 90-minütige Paartherapiesitzung kostet bei einem approbierten Psychotherapeuten in der Regel zwischen 80 und 200 Euro. Manchmal reichen drei Sitzungen, um ein Problem zu lösen. Wenn nötig treffen sich Paare aber auch über Jahre regelmäßig mit einem Therapeuten. Beratungsstellen sozialer oder kirchlicher Träger bieten Paar- und Familienberatungen hingegen oft sehr günstig oder sogar kostenlos an. Diese sind meist kurzfristiger angelegt und werden von Psychologen, Sozialpädagogen oder Seelsorgern durchgeführt. Solche Paarberatungen sind in der Regel fachlich fundiert und können qualitativ mit anderen professionellen Paartherapien mithalten. „Ob Paarberatung oder -therapie: Nehmen Sie sich unbedingt Zeit, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Manchmal braucht es mehrere Anläufe, bis es passt, und beide Partner sich wohl fühlen", sagt Milek.
Neben der Persönlichkeit des Beraters spielt auch die angebotene Beratungsform eine wichtige Rolle. Viele davon haben sich in Anlehnung an etablierte Psychotherapieschulen entwickelt: Die psychoanalytische und die tiefenpsychologische Paartherapie fußen auf der von Sigmund Freud entwickelten Psychoanalyse. Hier macht sich das Paar verstärkt auf die Suche nach frühen Beziehungsmustern, die sich in der Kindheit entwickelt haben. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit soll helfen, grundlegende innere Konflikte und Prozesse aufzudecken, die Psychoanalytiker als Ursache für gegenwärtige Schwierigkeiten auffassen.
In der verhaltenstherapeutischen Paartherapie liegt der Fokus stärker auf dem Hier und Jetzt: Ungünstiges Beziehungsverhalten ist erlernt und kann wieder verlernt werden – so lautet die Kernidee. Mittlerweile konzentriert sich die Verhaltenstherapie vermehrt darauf, automatische und problematische Denkmuster zu erkennen und zu verändern. Seit dem Aufkommen der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie berücksichtigen Therapeuten auch stärker die Emotionen der Klienten. Noch ist die emotionsfokussierte Paartherapie, die die Gefühle der Partner ins Zentrum rückt, zwar in den USA und Kanada sehr verbreitet, in Deutschland aber eher unbekannt.
Der systemische Ansatz betrachtet hingegen, welche Interaktionsmuster die Paarprobleme aufrechterhalten. Dabei bezieht der Therapeut verstärkt auch außenstehende Personen wie Kinder und die erweiterte Familie mit ein. Nicht immer werden die Ansätze in Reinform angeboten: Viele Therapeuten und Berater nutzen Techniken verschiedener Schulen. „In Wirksamkeitsstudien zeigen diese Beratungsformen vergleichbare Effekte. Paare sollten also ruhig mehrere Erstgespräche in Anspruch nehmen und dann entscheiden, welches Verfahren am besten zu ihnen passt", empfiehlt Milek, die selbst verhaltenstherapeutisch arbeitet.
Eine Trennung kann auch ein Erfolg sein
Das Grundgerüst ähnelt sich jedoch bei allen Verfahren, wie Forscher um die Psychologin Lisa Benson damals an der University of California in Los Angeles 2012 entdeckten. Im ersten Schritt fördert eine Paartherapie in aller Regel eine neue Sichtweise auf die Probleme in der Beziehung. Dabei werden Schuldzuweisungen vermieden. Stattdessen soll jeder seinen eigenen Beitrag zur Eskalation erkennen und den Konflikt objektiver betrachten. Der Therapeut vermittelt, dass wiederholte Konflikte oft aus einem unerfüllten Bedürfnis nach Nähe, Sicherheit, Bestätigung oder Autonomie eines oder beider Partner entstehen. Das soll dem Paar zu einer konstruktiveren und wohlwollenderen Sicht auf die eigene Beziehung verhelfen. Im zweiten Schritt arbeiten die Partner an ihrer Fähigkeit, Emotionen zu regulieren. Dabei können zum Beispiel Achtsamkeitsübungen zum Einsatz kommen, bei denen man seinen Gefühlen ganz genau nachspürt, ohne sie zu bewerten. Hat ein Partner seine Emotionen nicht im Griff, endet das oft in destruktivem Verhalten. Dazu gehören alle Formen von Aggression, psychischer, physischer und sexueller Gewalt. Tatsächlich kann eine Paartherapie mitunter auch bei Fällen von häuslicher Gewalt Sinn machen. Dabei muss der Therapeut aber stets das gesundheitliche Wohl beider Klienten im Blick behalten und ist im Extremfall dazu verpflichtet, die Polizei einzuschalten.
Bei fast allen Paaren, die eine Therapie aufsuchen, mangelt es zudem an Intimität. Deshalb üben sie im dritten Schritt, ihre Gefühle gegenüber dem Partner offenzulegen und mitfühlend auf ihn einzugehen. Dazu gehört auch, die jeweiligen Reaktionsmuster aufzudecken, die eine Person im Laufe ihres Lebens verinnerlicht hat, und die häufig alle zwischenmenschlichen Beziehungen prägen. Ein tieferes Verständnis, warum der Partner oft so empfindlich auf gewisse Situationen reagiert oder scheinbar unbegründete Eifersuchtsanfälle bekommt, fördert Nähe und Zusammenhalt und erleichtert es, auf die gegenseitigen Bedürfnisse einzugehen. Im vierten Schritt lernen die Paare Benson und ihren Kollegen zufolge meist, positiver zu kommunizieren. Dazu gehört etwa, aktiv zuzuhören sowie Anerkennung und Dankbarkeit offen zu zeigen. Manchmal gibt der Therapeut seinen Klienten dafür sogar Hausaufgaben auf. „Ich bitte das Paar zum Beispiel bis zur nächsten Sitzung auf jede noch so kleine positive Geste des anderen zu achten und diese zu protokollieren. Das kann der Abschiedskuss oder eine selbst gekochte Mahlzeit sein", sagt Anne Milek. Im letzten Schritt geht es schließlich darum, die guten Seiten der Beziehung und des Partners hervorzuheben. Was schätzt man am anderen? Wie hat man sich damals kennengelernt? Oft ist es sehr effektiv, gemeinsam in schönen Momenten zu schwelgen und sich daran zu erinnern, worum es sich zu kämpfen lohnt. Gegen Ende der Therapie erarbeitet das Paar im besten Fall eine hoffnungsvolle Vision von der nächsten Etappe des gemeinsamen Wegs.
So harmonisch endet eine Paartherapie jedoch nicht immer – manchmal trennen sich die Wege trotz aller Mühen auch endgültig. In einer Studie, die Forscher an Familienberatungsstellen in Schweden durchführten, waren knapp ein Drittel der 300 untersuchten Paare nach zwei Jahren geschieden. „Ob eine Trennung allerdings wirklich immer ein therapeutischer Misserfolg ist, darüber lässt sich streiten", sagt Marcel Schär, Leiter des Zentrums Klinische Psychologie und Psychotherapie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. „Eine Paartherapie bringt oft eine Klärung – das kann eben auch die Entscheidung sein, sich zu trennen. Diese Trennung dann professionell begleiten zu lassen, macht den Prozess für alle Beteiligten, auch etwaige Kinder, erträglicher", erklärt Anne Milek. Umgekehrt könnten Paartherapien Schätzungen zufolge aber auch bis zu 40 Prozent der Trennungen verhindern. Oft verbessern sie nicht nur die Partnerschaft, sondern mildern auch Depressionen oder andere psychische Störungen ab, an denen die Partner unter Umständen leiden.
„Paartherapie sollte in unserer Gesellschaft salonfähiger werden", sagt Anne Milek. Und vielleicht sind wir bereits auf dem Weg dahin. Im Podcast „Paardiologie" sezieren die Autorin Charlotte Roche und ihr Ehemann Martin gerade ihre Beziehung öffentlich. Vor 15 Jahren verließen sie ihre damaligen Partner füreinander, heute lieben sie sich immer noch. Allerdings gab es seitdem auch Tiefpunkte: etwa Charlottes Affäre mit einem Mann aus ihrem Sportverein. In ihrer Audiosendung besprechen sie jede Woche ihr Familien- und Sexleben. Ihre Paartherapeutin Dr. Amalfi kommt immer wieder in den Erzählungen vor. Wie eine Archäologin trage Amalfi nach und nach Schichten der Beziehung ab, meint Charlotte Roche an einer Stelle. Mit diesem emotionalen Exhibitionismus zeigt das Ehepaar, dass auch glückliche Paare Probleme haben und dass dagegen nur eines hilft: reden!