Endlich wieder Kunst live und nicht im Videostream erleben – Berlins Galerien haben seit einigen Wochen wieder geöffnet. Für spezialisierte Ausstellungsmacher könnte es etwas einfacher sein, die Folgen des Lockdowns zu verkraften. Zwei Beispiele.
Alles war fertig für die große Jubiläumsausstellung", erzählt Eva Hübner. Eine Woche vor der Vernissage schlug das Virus zu: So wie alle Kultureinrichtungen musste auch die Inselgalerie schließen. Die Feier zum 25-jährigen Bestehen ist nun auf den September verlegt, dann gepaart mit einem Symposium. „Weglängen" heißt es und fragt nach der öffentlichen Wahrnehmung der Kunst von Frauen seit 1990. Denn das ist der besondere Ansatz dieser Galerie: Sie stellt exklusiv das künstlerische Schaffen von Frauen aus, in Malerei, Zeichnung, Skulptur, Fotografie, Video und Installation – und dies bereits am dritten Standort der Galerie.
Gegründet wurde sie 1995 von Ilse-Maria Dorfstecher an der Inselstraße auf Berlins Fischerinsel, und zwar als Galerie des Trägervereins Xanthippe, einer zwei Jahre zuvor ins Leben gerufenen gemeinnützigen Fraueninitiative. Was ironisch den Namen der angeblich streitsüchtigen Gattin des Sokrates trägt, will friedfertig, aber streitbar Künstlerinnen den Weg in die Öffentlichkeit ebnen. Denn viele professionell arbeitende Malerinnen, Bildhauerinnen, Fotografinnen tun sich schwer mit der Vermarktung ihrer Kunst, schon allein, weil viele auch Mütter sind, sich ständig „teilen" müssen. Mitunter führe das dazu, so Galerieleiterin Eva Hübner, dass viele es einfach nicht schafften, von der Kunstszene wahrgenommen zu werden – die Inselgalerie schafft hier Abhilfe. Im Laufe der Jahre haben rund 700 Künstlerinnen hier ausgestellt, oft in Gemeinschaftsschauen – mal im Spannungsfeld von Malerei, Plastik und Grafik – mal im Duett einer erfahrenen und einer jungen Künstlerin, so resümiert Eva Hübner. Im dritten Jahr leitet sie die Galerie, die nach langer Präsenz nahe der Friedrichstraße ihr drittes Domizil an der Petersburger Straße in Friedrichshain bezogen hat. Aufwendig mussten die einstigen Räume einer Sparkasse nach den Erfordernissen einer Galerie umgebaut werden, mit hellem Boden, Steckdosen, Deckenleuchten, weißen Wänden. Die Nachfrage von Künstlerinnen sei riesig, „aber wir brauchen ja eine thematische Struktur über das ganze Jahr", grenzt Eva Hübner ein. Inzwischen gibt es in einem kleineren der vier Räume zudem die Reihe „Insel-Kabinett" für Soloausstellungen, etwa die für Núria Quevedo.
Riesige Nachfrage von Künstlerinnen
Die aktuelle Schau „Fresh Legs" ist Teil einer Exposition für 51 Künstlerinnen aus 21 Ländern in zwei separaten Galerien. In der Inselgalerie sind 43 Arbeiten von 27 Frauen aus elf Ländern zu sehen, vertreten mit meist je zwei typischen Arbeiten. Nahezu alle Techniken sind zu besichtigen. So lässt Anne-Britt Kristiansen aus Norwegen auf rosaschäumenden Klippen Kinder spielen oder zwei Mädchen Hand in Hand am Ufer stehen. Weniger friedvoll gehen zwei deutsche Künstlerinnen das Thema Kindheit an. Zwei mit Bleistift zitierte Zeilen eines Friedensgedichts von Heinrich von Kleist konfrontieren Birgit Fechners Collagen mit Abrissfotos junger SS-Soldaten; Heike Gronemann zielt eher auf die Gegenwart, wenn auf ihrer Leinwand ein Junge über einem Palisadenzaun mit seiner Pistole zielt. Vision oder schon Realität? Versöhnlich überfliegen auf Sandra Haselsteiners Collagen Menschen auf Luftmatratzen dräuende Gebirge, balanciert jemand wundersam auf einem Blatt inmitten gelber Blumen. Raffiniert knautscht Fanny Spång aus Schweden blaue Plastiktüten zu einem wolkigen Großrelief; die Französin Kerstin Paillard zieht den Betrachter vollends in den Sog ihres rubinroten Wirbels.
Auch der Galerie Art Cru hat Covid-19 zugesetzt. Nach über viermonatiger Schließzeit kann das im begrünten Innenbereich des Kunsthofs Berlin an der Oranienburger Straße gelegene Ausstellungszentrum endlich wieder öffnen. Die wenigen Stufen ins Souterrain führen zugleich in eine andere Welt. Denn dort präsentieren sich, einzigartig in der Stadt, ausschließlich Künstler mit Behinderung oder Psychiatrieerfahrung. Gesicht und Seele der Galerie ist Alexandra von Gersdorff-Bultmann, deren Lebensgeschichte einem historischen Bilderbogen gleicht. Als Tochter russisch-aristokratischer Emigranten, die 1922 vor der Oktoberrevolution nach Dresden geflohen sind, wurde sie in der Elbmetropole geboren, studierte Textildesign in München, zog 1968 nach Berlin in den damaligen Problemkiez Märkisches Viertel. Dort engagierte sie sich im linken Spektrum, kannte persönlich Holger Meins und Ulrike Meinhof – sehr zum Verdruss ihrer Verwandtschaft, die mit Hilfe von Graf Bernadotte 1945, in Dresden ausgebombt, vor der Roten Armee nach Schweden geflüchtet war. „Wir dachten, wir schaffen die Revolution", erinnert sich Alexandra von Gersdorff-Bultmann angesichts der Armut und Ungerechtigkeit in ihrem Viertel und beseelt von Makarenko und Marx. Sie wurde leitende Ergotherapeutin in einer Nervenklinik, gründete dort ein Atelier für Behinderte, konnte 2008 am jetzigen Ort ihre Galerie ins Leben rufen: unterstützt vom Krankenhaus St. Hedwig, getragen vom Verein PS-Art Berlin, einem Netzwerk aus mehr als 20 psychosozialen Institutionen. Rund 70 Solo- oder Gruppenausstellungen hat sie bisher zeigen können.
Dank Spezialisierung international gut vernetzt
Blättert man den zum fünfjährigen Galeriejubiläum edierten Katalog durch, beeindrucken Qualität und Dichte dessen, was die Künstler verschiedenster Altersstufen, Nationalitäten und Behinderungen mitzuteilen wissen. Da sind etwa die expressiv farbigen Frauenporträts der inzwischen verstorbenen Laotin Thi Thu Nguyen oder die expressionistisch aufleuchtenden Körper der Türkin Perihan Arpacilar. Was der mittlerweile prominente Bayer Josef Hofer nackt im Spiegel sieht, seine unverstellte Sexualität, hält er in vielen Zeichnungen fest: als Dialog mit sich selbst. Drei Wochen vor der Vernissage seiner Ausstellung starb mit Achim Maaz ein einzigartiger, erst spät akzeptierter Künstler, der in großen Formaten die Ängste eines seit der Kindheit in Einrichtungen Untergebrachten artikulierte. Dreimal war er nominiert für den European Art Award für geistig und psychisch Behinderte. Den Preis gewonnen hat Michael Golz, dessen Zeichnungszyklus über das fiktive „Athosland" bei Art Cru zu sehen war und dessen Tagebücher voller Zeichnungen heute teuer gehandelt werden.
Derzeit sind in der Galerie 37 titellose Arbeiten von Macks Querfeldt zu besichtigen, sämtlich Assemblagen oder Collagen aus den Jahren 2017 bis 2020. Gegen den Strom schwimmen möchte er in seinem Werk und firmiert unter einem Pseudonym. Entdeckt hat ihn die Galeristin in der VIA Blumenfisch gGmbH, wo er in der Tischlerei sein eigenes Atelier hat. Seine unterschiedlichen Exponate wurzeln im Hier und Jetzt, formulieren manch hintergründigen Witz. „Setzt instand, was euch kaputt macht", heißt es zu einer Collage, „Herr, wirf Hirn herunter" liest man neben einem Handschuh mit Euro-Münze. Die Galerie Art Cru ist dank ihrer Spezialisierung mittlerweile – auch international – gut vernetzt, ebenso wie die Inselgalerie. Auch das hilft in einer Zeit, in der sich Kunstinteressierte erst wieder nach und nach in Museen und Galerien wagen und noch nicht klar ist, ob eine neue Pandemiewelle gerade wieder in Gang Gebrachtes erneut zum Stillstand bringen könnte.