Der britische Schauspieler Daniel Radcliffe hat in den letzten Jahren versucht, „Harry Potter" hinter sich zu lassen. Bewusst spielte er ganz andere Rollen, so wie in der neuen Actionkomödie „Guns Akimbo".
Mr. Radcliffe, Ihr „Harry Potter"-Exorzismus scheint Ihnen nach wie vor großen Spaß zu machen.
(lacht) Ja, davon können Sie ausgehen. Aber ich würde es nicht unbedingt „Exorzismus" nennen. Ich spiele mittlerweile nur ganz andere Rollen als früher.
Zum Beispiel eine ständig flatulierende Leiche in dem Film „Swiss Army Man" oder in „Guns Akimbo" einen Nerd in Bademantel und Felltatzen-Hausschuhen mit angeschraubten Pistolen an beiden Händen.
Ist das nicht ein irres Bild? (lacht) Zugegeben, das erinnert nicht unbedingt an Harry Potter, aber das soll es ja auch nicht. Allerdings habe ich auch schon zur Zeit der „Harry Potter"-Verfilmungen versucht, mich nicht auf diese eine Rolle festlegen zu lassen. In dem Theaterstück „Equus" habe ich zum Beispiel einen psychisch gestörten Stalljungen gespielt …
… und splitternackt waren Sie in dieser Rolle auch zu sehen, was damals für großes Aufsehen sorgte.
Oh ja, aber das ist doch Schnee von gestern. Eigentlich habe ich mich schon sehr früh als Schauspieler begriffen – und nicht als Harry-Potter-Darsteller. Allerdings musste ich nach dem Ende des „Harry Potter"-Franchise noch einmal von ganz vorne anfangen.
Es war alles andere als einfach, das „Potter"-Image loszuwerden. Schnell war mir klar, dass ich diesen Neuanfang am besten mit Rollen bewerkstelligen konnte, die niemand von mir erwartete. Das zu wagen, dazu gehörte allerdings eine große Portion Mut. Aber Schüchternheit hat in der Filmbranche sowieso nichts zu suchen. Also bin ich einfach kopfüber ins kalte Wasser gesprungen. Und künstlerisch hat es mich schon damals viel mehr zu Arthouse-Movies hingezogen als zum Mainstream. Denn im Independent-Kino wird definitiv mehr riskiert. Und das kommt mir sehr entgegen. Das erklärt vielleicht auch meine eklektische Rollen-Wahl.
Mit den „Harry Potter"-Filmen haben Sie sicher obszön viel Geld verdient. Da waren Sie gerade mal Anfang 20.
Als die letzte Klappe zum letzten „Potter"-Film fiel, war das ein großer Befreiungsschlag. Plötzlich konnte ich mir die Projekte aussuchen, die ich wirklich machen wollte – ohne dabei aufs Geld zu schauen. Und Sie liegen nicht falsch: In diesem Leben muss ich mir tatsächlich keine finanziellen Sorgen mehr machen. Das macht mich in beruflichen Dingen völlig unabhängig. Und das empfinde ich als großes Privileg. Der Weg dorthin war aber alles andere als leicht.
Sie mussten viele Federn lassen?
Das kann man so sagen. Ich war gerade mal elf Jahre, als ich zu Harry Potter wurde. Und der Druck, zehn Jahre lang einen Harry-Potter-Film nach dem anderen zu liefern, war wirklich immens hoch. Das hat mich letztlich zum Alkoholiker gemacht. Ich kann heute noch mit dem Finger auf Film-Szenen von damals zeigen, bei denen ich total weggeschossen war. Zwei tote Augen – nichts dahinter. Hinzu kam noch, dass ich so gut wie keinen Schritt in der Öffentlichkeit tun konnte, ohne von Paparazzi fotografiert oder von Fans belagert zu werden. Dieses Leben unter dem Vergrößerungsglas hat mich total verängstigt. Und da ich privat eher der schüchterne Typ bin, habe ich immer öfter ein paar Drinks gekippt, um meine Hemmungen loszuwerden. Das hat eine Zeitlang auch gut funktioniert – bis ich merkte, dass ich ohne Sprit im Blut keinen Spaß mehr am Leben hatte. Das war das Alarmsignal. Aber ich habe es schließlich geschafft, vom Alkohol loszukommen. Ich bin schon seit Jahren trocken!
Ist es Ihnen eigentlich egal, ob Ihr Film Erfolg hat oder floppt?
Egal ist mir das nicht. Natürlich wünsche ich mir, dass viele Zuschauer meine Filme sehen. Aber ich schiele schon lange nicht mehr nach kommerziellem Erfolg. Denn originelle und mutige Filme sind heutzutage ja meist keine großen Kassenerfolge mehr, was ich sehr schade finde. Aber an solchen Filmen hängt nun mal mein Herz.
Also auch an „Guns Akimbo"?
Aber ja. Bei diesem Projekt hat mich sofort das ziemlich durchgeknallte Drehbuch gepackt. Und auch die Rolle, die ich spiele, ist so extrem, dass ich mir gut vorstellen konnte, beim Drehen jede Menge Spaß zu haben. Diese Erwartung hat sich dann auch mehr als erfüllt. Außerdem liebe ich Action-Movies über alles. Aber leider bin ich durch mein Aussehen und meine Statur nicht gerade dafür prädestiniert, einen Action-Helden darzustellen. Auch in „Guns Akimbo" entwickle ich mich ja erst im Laufe der Zeit von einem nerdigen Hasenfuß zu einer tödlichen Killer-Maschine. Diese Action-Achterbahnfahrt wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.
Im Film gibt es viele Videogame-Referenzen. Waren Sie damit vertraut?
Um Gottes willen, nein. Ich hatte keine Ahnung und habe mir vieles erklären lassen. Ich bin auch kein großer Freund des Internets und habe mich noch nie ins Darknet eingeklinkt. Das wäre für mich der reinste Horror. Ich habe erst vor kurzem gelesen, dass dort ein Typ einen Killer gesucht hat, der seine Frau umbringen sollte. Für 20.000 Dollar.
Das ist zugegebenermaßen ziemlich extrem. Aber die sogenannten sozialen Medien sind doch eher harmlos. Oder nicht?
Na ja. Es ist schon viele Jahre her, seit ich mich das letzte Mal gegoogelt habe. Ehrlich gesagt: Google ist mein Darknet. (lacht)
Warum denn das?
Im Internet kursieren – was meine Person betrifft – immer noch jede Menge Falschmeldungen. Oder es werden Dinge, die ich mal gesagt habe, aus dem Zusammenhang gerissen. Aber ich gestehe: Früher war ich richtig abhängig von dem, was im Netz über mich verbreitet wurde. Ganz egal, ob es gut war oder schlecht – es war auf jeden Fall absolut krank, so viel über mich zu lesen. Ich fing damals an, mich selbst immer mehr so zu sehen, wie die anderen mich sahen und nicht, wie ich mich selbst sehe. Dieses Zerrbild war bei meiner Persönlichkeitsentwicklung sehr hinderlich, das können Sie mir glauben.
„Guns Akimbo" nimmt ein ganz besonderes Klientel scharf aufs Korn: die hirnlosen Video-Konsumenten, die sich an Gewaltexzessen aufgeilen.
Ja, die werden gnadenlos vorgeführt. Zu Recht, wie ich meine. Man sollte sich auch nicht von der grellen Videogame-Ästhetik täuschen lassen. In meinen Augen ist „Guns Akimbo" eine konzeptuell sehr durchdachte Medien-Satire – allerdings mit extrem hohem Fun-Faktor. Regisseur Jason Lei Howden wusste sehr genau, was er wollte, und hat es ganz fantastisch umgesetzt. Für mich als Schauspieler ist das immer ein Gewinn, wenn jemand weiß, was er macht.
Was lieben Sie am Filmemachen am meisten – und was hassen Sie?
Ich liebe das Filmemachen von A bis Z. Vor allem die Dreharbeiten. Wir Schauspieler haben doch einen Traumjob! Und jeder noch so schlechte Drehtag ist doch um Längen besser als ein guter Tag in jedem anderen Job. Was ich absolut hasse, ist, wenn jemand diese „Traumwelt" durch arrogantes Benehmen zerstört. Wir alle ziehen beim Drehen doch an einem Strang. Und wenn dann so ein Möchtegern-Star denkt, er kann das alles in den Dreck ziehen, oder die Kollegen und die Crew schlecht behandelt, da kann ich schon mal ausrasten. Mit so einem despektierlichen Verhalten kann man nämlich ganze Film-Sets ruinieren. Und das ist für mich eine Todsünde.
Wie kommt es, dass Sie nie in die Ruhm-Falle getappt sind?
Wenn man berühmt ist, wird man oft – zum Beispiel in Restaurants – sehr bevorzugt behandelt. Das ist, zugegeben, manchmal ganz nett. (lacht) Aber mir war immer die Arbeit das Wichtigste. Wenn man mit dem Vorsatz, reich und berühmt zu werden, Schauspieler wird, dann geht das bestimmt neun- von zehnmal voll in die Hose. Und dann diese ganzen Partys, Fashion-Events und Celebrity-Galas, das Schaulaufen auf dem roten Teppich – wie ich das alles hasse! Da fühle ich mich jedes Mal total unwohl.
Wo und wann können Sie dann ganz Sie selbst sein?
Bei mir Zuhause. Bei meiner Familie. Wenn ich Zeit mit meiner Freundin verbringe (Anm. d. Red.: Seit 2013 ist er mit der amerikanischen Schauspielerin Erin Darke zusammen). Oder mit Freunden. Da bin ich dann Daniel pur.
Schenken Sie uns zum Schluss noch eine Lebensweisheit?
Die habe ich mir von meinem Lieblingsschriftsteller Kurt Vonnegut abgeschaut. Der sagte mal: „God damn it, you’ve got to be kind!" Das ist doch ein sehr gutes Lebensmotto. Oder etwa nicht?