Der aufsehenerregende Zuschauer-Plan von Union Berlin hat durch den Beschluss bei der DFL-Versammlung einen herben Dämpfer erhalten. Doch die Eisernen wollen das Konzept weiter verfolgen.
Der größte Pluspunkt von Union Berlin steht nicht im Tor und glänzt mit Paraden. Er spielt auch nicht im Sturm und schießt dort wichtige Treffer. Der größte Pluspunkt der Eisernen ist die Alte Försterei – oder besser gesagt die Fans, die dort auf engstem Raum akustisch und emotional einen gewaltigen Heimvorteil erzeugen. Eigentlich. Denn Corona hat diesen Vorteil vorerst zunichtegemacht.
Den Re-Start in der Bundesliga nach der Zwangspause hat das Team von Trainer Urs Fischer zwar erstaunlich gut auch ohne Fans gemeistert, doch den Verantwortlichen ist klar: Eine ganze Saison ohne die Unterstützung von den Rängen wäre ein riesengroßes Handicap für den Club. Vor allem deshalb forcierte Union ein Konzept, das bundesweit für viel Aufsehen sorgte. Und auch zahlreiche Kritiker auf den Plan rief. Auch aus der Deutschen Fußball Liga (DFL). „Es wird nicht den Lichtschalter-Effekt geben", sagte DFL-Geschäftsführer Christian Seifert. Der Profifußball könne „nur in kleinen Etappen zum Normalbetrieb zurückkommen". Union hatte aber gehofft, den Lichtschalter gefunden zu haben. Die Köpenicker wollten schon zu Beginn der neuen Saison am 18. September das Fassungsvermögen der Alten Försterei komplett ausnutzen und 22.012 Zuschauern Einlass gewähren. Der verwegene Plan lautete: Der Club bezahlt die Corona-Tests der Ticketkäufer, jeder mit einem negativen Testergebnis, das nicht älter als 24 Stunden ist, erhält Zugang.
CSU-Chef Markus Söder, der sich beim Re-Start noch als großer Macher positioniert hatte, warnt nun angesichts der steigenden Fallzahlen: „Das wäre das falsche Signal und auch der Bevölkerung schwer zu vermitteln, wenn man dafür Unmengen von Testkapazitäten aufbrauchen würde." Rechnet es sich finanziell? Selbst bei einem Mengenrabatt würde ein Test wohl noch rund 50 Euro kosten, hochgerechnet wäre das eine Million Euro pro Heimspiel. Das sind etwas mehr, als Union bei einem vollen Stadion normalerweise an Einnahmen verbucht. Der logistische, organisatorische und auch finanzielle Aufwand lohnt sich dennoch, betont Dirk Zingler. „Unser Stadionerlebnis", argumentierte der Vereinspräsident, „funktioniert nicht mit Abstand. Und wenn wir nicht singen und schreien dürfen, dann ist es nicht Union." Und dann fällt auch der große Heimvorteil weg. Als dann auch noch DFB-Präsident Fritz Keller öffentlich von seinem „Traum" sprach, dass „über Testungen irgendwann auch wieder ein volles Stadion" zu erreichen sei, fühlten sich die Unioner bestätigt. „Das wäre nicht nur für den Sport, sondern für den Kulturbetrieb und die Wirtschaft wichtig", sagte Keller dem SWR. Der DFB-Boss betonte aber auch: „Wir müssen da wirklich auf die Wissenschaftler hören."
Und das ist der Knackpunkt. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der sich schon in der Vergangenheit als Kritiker des Profifußballs hervorgetan hat, nannte das Union-Konzept „nicht diskutabel", es stelle ein „völlig überflüssiges Risiko" dar und sei „viel zu steil gespielt". Die jüngsten Entwicklungen spielen Union zudem überhaupt nicht in die Karten. Die Fallzahlen steigen, viele Wissenschaftler sprechen bereits von der befürchteten zweiten Corona-Welle, die Deutschland erfasst. Die DFL hat darauf reagiert und am 4. August ein Konzept verabschiedet, das den Union-Plan zum Scheitern verurteilt. Zumindest vorerst. Neben dem Verbot von Alkohol und Gästefans stehen auch Stehplätze bis Ende Oktober auf dem Index. Das bringt Union in die Bredouille, weil Stehplätze den Großteil der Kapazität in der Alten Försterei ausmachen (18.395 von 22.012). „Wir haben, wenn nur Sitzplätze erlaubt werden sollten, wohl das schlechteste Stadion der Liga", sagte Kapitän Christopher Trimmel. Union hatte vor der DFL-Versammlung mit einem Schreiben an die Clubs noch versucht, die anderen von ihrer Position zu überzeugen. Vergeblich. „Unabhängig davon werden wir unsere Bemühungen um ein Hygienekonzept fortsetzen", teilte Union-Präsident Zingler in einem Schreiben an die Mitglieder mit. Man sei „mit dem Vorgehen grundsätzlich nicht einverstanden" und halte „die Anträge zu Gästefans, Stehplätzen und Alkoholausschank für unausgewogen im Hinblick auf unsere allgemeine gesellschaftliche Verantwortung".
„Leider werden wir viel Geduld benötigen"
Doch Union wird sich beugen müssen. Sich gegen den Willen der Mehrheit der 36 Erst- und Zweitligaclubs zu stellen und einen Alleingang zu wagen, ist unklug. Auch ranghohe Politiker hatten stets betont, es müsse eine einheitliche Lösung in der Bundesliga geben. Schert Union nun aus, droht vielleicht auch die Teilöffnung in Gefahr zu geraten. Die allgemeine Stimmungslage lautet ohnehin: eher weniger als mehr Zuschauer. „Wenn man sich die RKI-Meldungen anhört und sich im benachbarten Ausland umschaut, dann entsteht der Eindruck, dass diese Diskussion zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt aufgemacht wird", sagte Sportdirektor Jörg Schmadtke vom VfL Wolfsburg dem „Sportbuzzer".
Und doch muss die Debatte geführt werden, der Saisonstart mit der ersten Pokalrunde ab dem 11. September naht. Aber wer weiß schon, wie die Lage in vier Wochen ist? Als vor kurzer Zeit das Coronavirus im Griff zu sein schien und das Hygiene- und Sicherheitskonzept der DFL beim Re-Start europaweit gelobt wurde, war die Rückkehr der Fans fast beschlossene Sache. Jetzt plötzlich bremst die Politik. „Ich bezweifle, dass wir im August weitere Lockerungen beschließen können. Daher bin ich auch als Fußballfan sehr skeptisch zum Start der Bundesliga", sagte Söder der Bild am Sonntag. „Geisterspiele ja, aber Stadien mit 25.000 halte ich für sehr schwer vorstellbar."
Bis zum Saisonstart müssen die Clubs ohnehin in enger Abstimmung mit den örtlichen Gesundheitsbehörden individuelle Konzepte ausarbeiten. Ob Union dabei sein gewagtes Konzept weiterverfolgt oder sich wie alle anderen Proficlubs auf eine Teilöffnung konzentriert, blieb offen. Womöglich gibt es einen Plan B, der ab dem 31. Oktober greift. Denn bis dahin gelten die bundesweiten Corona-Verordnungen zu den Großveranstaltungen, und nur bis dahin hat auch die DFL den Verkauf von Stehplätzen nicht vorgesehen.
So oder so: Die Zuschauer-Debatte wird weiter geführt. „Menschen flehen uns jeden Tag an, dafür zu sorgen, dass sie zurückkommen können", sagte Union-Sprecher Christian Arbeit dem rbb. Auch Kapitän Christopher Trimmel ist froh, dass sein Club „den Bock umstoßen will und mit einer Idee daherkommt". Doch Union-Boss Zingler klingt leicht resigniert, wenn er sagt: „Leider werden wir alle noch viel Geduld benötigen bis wir zu unserem gewohnten und geliebten Stadionerlebnis zurückkehren können."