Am Anfang steht noch die Schmerzfreiheit – doch diese Stille ist trügerisch. Die Schaufensterkrankheit beginnt oft schleichend. Die Folgen können jedoch umso schwerwiegender sein.
Es geht ihm um seelische Entlastung – immerhin steht am Ende des Weges mit einer eventuellen Amputation eine der schwierigsten Entscheidungen überhaupt an. Deswegen müssten diese schwerwiegenden Folgen der Schaufensterkrankheit innerhalb der Familie und gegebenenfalls auch im Ethikkomitee des Knappschaftsklinikums Püttlingen diskutiert und abgewogen werden, wie Dr. Uwe Gabsch erklärt. Seit Januar ist er der Chefarzt der Abteilung für Gefäßchirurgie und endovaskuläre Chirurgie. Die Periphere Arterielle Verschlusskrankheit (PAVK), wie die häufige Erkrankung offiziell heißt, kommt durch verstopfte Gefäße.
Bis es aber zu einer Amputation kommt, stehen noch einige Behandlungsmethoden an, um die Schmerzen zu lindern. „Die Verkalkung steht am Ende", wie Uwe Gabsch deswegen klarstellt. Erstes Anzeichen für die PAVK ist es, wenn man bereits nach wenigen zurückgelegten Metern Schmerzen im Bein verspürt. Viele Erkrankte legen deswegen öfter eine Pause ein, oftmals an Schaufenstern, um so zu tun, als würden sie bummeln – daher auch der vereinfachte Name Schaufensterkrankheit.
Hier folgt eine kleine Arterienkunde: Die Arterien, also die Schlagadern, führen vom Herzen weg und transportieren das sauerstoff- und nährstoffreiche Blut zu den Organen, Muskeln und Knochen. Sie sind weniger dehnbar als Venen und bestehen aus drei Schichten. Da sind zunächst die hauchdünne Innenschicht Tunica interna und die Mittelschicht Tunica media, die aus mehreren, dicht anliegenden, ringförmigen und schräg gewundenen Muskelschichten aufgebaut ist, die auch elastische Fasern und solche aus Kollagen enthalten. Dann haben wir die Außenschicht Tunica externa, die vor allem aus elastischem und kollagenem, faserigem Bindegewebe besteht.
Mit der Zeit setzt sich in den Arterien immer häufiger Plaque ab. „Die Mittelschicht wird immer dicker", erläutert der Gefäßchirurg und fügt hinzu: „Am Ende des Prozesses stehen kalkhaltige Mineralablagerungen." Die Muskeln benötigen beim Laufen immer mehr Sauerstoff, der durch die verengten Blutgefäße aber nicht mehr ausreichend transportiert wird. Der Schmerz beginnt. Bleibt man nun stehen, sinkt der Bedarf an Sauerstoff in den Muskeln wieder – und der Schmerz lässt nach. Dies führt also zum Teufelskreis des schädlichen Bummelns. Es hilft nur eins: „Da muss man zügig reagieren", erklärt Uwe Gabsch.
Die Stadien der Schaufensterkrankheit lassen sich in vier Abschnitte einteilen, wie er ausführt. Am Anfang stehen nicht fühlbare Pulse – trotzdem ist der Gehweg noch uneingeschränkt. Nach und nach folgen größere Schmerzen, zunächst grob bei einer Strecke über 200 Metern, dann darunter. Im nächsten Stadium erfährt der Betroffene Ruheschmerzen – es tut also weh, obgleich man sich gar nicht bewegt. Das kann teils eine „monströse" Pein sein, wie der Facharzt erklärt. Im letzten Stadium sind dann Teile des Fußes bereits abgestorben –
die Nekrose hat begonnen.
Natürlich gibt es gewisse Kriterien, die den Krankheitsverlauf begünstigen. Zu den Risikofaktoren gehören vor allem Rauchen und Bewegungsmangel. Hinzu kommen Adipositas und Diabetes mellitus, die Zuckerkrankheit. Die Hypertonie (Bluthochdruck) ist ebenso schädlich wie erhöhte Harnsäure. Auch das Alter spielt eine Rolle: Während grundsätzlich jeder von der PAVK betroffen werden kann, sind jedoch zwischen zehn und 20 Prozent aller Betroffenen über 70 Jahre alt. Auch das individuelle menschliche Erbgut ist ein Faktor. Insgesamt seien derzeit in Deutschland rund 4,5 Millionen Menschen davon betroffen.
Oftmals nimmt man die Verkalkung, die man sich wie ein verschlossenes Ventil vorstellen kann, anfangs kaum wahr. „Das nennen wir ‚fauler Friede‘", wie Uwe Gabsch sagt. Umso wichtiger sei deswegen eine frühzeitige Behandlung etwa einer verengten Halsschlagader, durch die ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall ausgelöst werden kann. Denn ein akuter Verschluss ist lebensbedrohlich, kann beispielsweise zu einem Eingeweideinfarkt führen. Ab einem gewissen Zeitpunkt kann das Gefühl in den Beinen komplett weg sein und die Extremitäten können schneeweiß sein – was natürlich auf fehlende Durchblutung hinweist.
Die Verkalkung wird oft erst spät wahrgenommen, eine frühzeitige Behandlung ist aber essenziell
Auch an allen anderen Organen und Körperregionen können sich Durchblutungsstörungen durch Arteriosklerose einstellen: Zum Beispiel drohen bei Verschluss der Halsschlagader ein Schlaganfall, bei Verschluss der Herzkranzgefäße ein Herzinfarkt sowie bei Beteiligung der Eingeweidearterien ein Darm-, Milz, Nieren- oder Leberinfarkt. All diese Formen der Arteriosklerose können lebensbedrohliche Auswirkungen erlangen.
Zur Diagnosestellung stehen uns heute sichere und schonende Untersuchungsverfahren zur Verfügung. Laut Dr. Gabsch erfolgen zunächst eine Untersuchung mit Tasten aller Pulse und eine spezielle Ultraschalluntersuchung, mit der man den Blutstrom erkennen und beurteilen kann. Zur erweiterten Diagnostik stehen die CT-Darstellung und die Magnetröhren-Darstellung der Gefäße zur Feinanalyse an.
Dann folgt die Therapie. Für den Gefäßchirurg steht dabei eines im Vordergrund: „Klartext reden." Denn am Anfang stehe immer die konservative Therapie, also Behandlung mit Medikamenten oder mittels physikalischer Maßnahmen. Doch je weiter die Krankheit fortschreitet, desto eher sind weniger erfreuliche Methoden auf dem „Entscheidungskorridor" wahrscheinlich, wie er es ausdrückt. Der Patient müsse auf jeden Fall den Behandlungsauftrag erteilen, weswegen es eben nichts bringe, Dinge schönzureden.
Letzten Endes ist es das Ziel der Behandlung, dem Patienten ein funktionsfähiges Bein möglichst lange zu erhalten. Dafür gibt es neben der medikamentösen Behandlung heute eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten, die entweder als reine Kathetertechnik durch Aufsuchen einer Arterie mit Stich durch die Haut erfolgen, durch Operation mit Beseitigung von Gefäßverkalkungen oder einer Bypassanlage oder durch die Kombination der beiden Verfahren als sogenannte Hybrid-OP.
Sollte die Therapie einmal ausgereizt sein und keine weitere Verbesserungsmöglichkeit mehr bestehen, kommt es zum Absterben des Beines (Gangrän). „Trauer gibt es in jedem Fall", erklärt er und erzählt die Geschichte eines Patienten, der im Außendienst tätig war und somit auch auf Provisionsbasis bezahlt wurde. Er war der Meinung, dass es doch seine Einnahmen schmälern würde, wenn er sich operieren lassen würde und verweigerte sich zunächst einer Operation.
Dr. Uwe Gabsch legt bei seinen Eingriffen Wert auf die minimalinvasive Vorgehensweise. Er versucht also, so wenig Gewebe wie möglich zu beschädigen beziehungsweise mit in den OP-Verlauf einzubeziehen. Beeinflusst haben ihn im Falle einer Amputation unter anderem der schottische Chirurg James Syme, der für bahnbrechende Techniken bekannt wurde, und der russische Arzt Nikolai Iwanowitsch Pirogov, nachdem die Pirogoff-Amputation benannt ist. Dadurch wird unter anderem die Ferse mit ihrem Polster erhalten. Das bedeutet: „Die Patienten haben praktisch eine intakte Beinlänge."
Generell gibt er zu bedenken, dass mit den heutigen OP-Methoden oder etwa mit Unterschenkelprothesen sehr viel Lebensqualität erhalten bleibe. „Es ist ein neuer Start in einen neuen, unbeschwerten Lebensabschnitt." Natürlich sei es am besten, wenn man oben genannte Risikofaktoren zu minimieren versuche, etwa, indem man Sport treibt oder zügig spazieren geht. Wann der richtige Zeitpunkt sei, sich behandeln zu lassen, erklärt er etwas scherzhaft so: „Wenn Schnecken neben einem hupen, stimmt etwas nicht."