Die Corona-Krise hat den Aktienmarkt anfangs schwer getroffen. Ist nun die Altersvorsorge in Gefahr? Keineswegs, sagen die Verbraucherzentralen, deren Motto lautet: Ruhe bewahren. Klar ist aber auch: Wer lediglich Einzelaktien besitzt, geht immer ein höheres Risiko ein als Anleger, die in Fonds investieren.
Bloß kein Risiko. Dieser Gedanke ist gemeinhin dem deutschen Sparer ein regelrechtes Credo. Und in Zeiten einer Pandemie und ihren wirtschaftlichen Ausläufern gut und richtig, glaubt man den Finanzexperten der Verbraucherzentralen: Kaufen ja, aber dann sollte man die Aktien auch eine ganze Weile behalten, allen Schwankungen zum Trotz. Der 1999 verstorbene deutsch-amerikanische Börsenguru André Kostolany behauptete bereits, man solle Aktien kaufen und sich dann schlafen legen. „Für den langfristigen Vermögensaufbau ist ‚Buy and hold‘, Kaufen und Halten, die mit Abstand erfolgreichste Strategie, die sich über Jahrzehnte bewährt hat und mit Zahlen und Statistiken belegt werden kann", bestätigt Thomas Mai von der Verbraucherzentrale Bremen. Also: Am Aktienmarkt nichts überstürzen, besonnen bleiben. Wer sich für Aktien entscheidet, sollte aber auf sein Portfolio achten. Wertpapiere einzelner, vermeintlich stabiler Unternehmen, sogenannte Einzeltitel, können zum Bumerang werden, was unter anderem der aktuelle Wirecard-Skandal zeigt. Einen Teil seiner Altersvorsorge mit Einzeltiteln zu bestreiten, ist riskant.
Das beweist auch Helmuth K. Er staunte nicht schlecht, als er im März den Auszahlungsbescheid für seine kapitalgedeckte Lebensversicherung in den Händen hielt. Der Neu-Rentner aus Berlin-Wilmersdorf hat ein bisschen was über dem Betrag herausbekommen, den er 20 Jahre lang eingezahlt hatte. Und das war schon ganz gut. Sein fast 30 Jahre lang gepflegtes Aktiendepot für die Altersvorsorge rechnet er gar nicht erst nach. „Da bekomme ich nur schlechte Laune, denn einige Titel sind längst rausgeflogen aus dem Dax und die immer so treuherzig empfohlenen Bankentitel kann ich ebenfalls in die Tonne treten, von der Lufthansa ganz zu schweigen", so der ehemalige Handelsvertreter. Eine vorsichtige Überschlagrechnung macht dann schnell klar: Helmuth K. hat in seine einzelnen Aktientitel wesentlich mehr reingebuttert, als er jetzt, beim Verkauf, herausholen könnte. Mit anderen Worten: Das Risiko war nicht breit genug gestreut. Und auch seine Lebensversicherung hat nicht allzu viel abgeworfen, obwohl sie noch vor 20 Jahren abgeschlossen worden war, damals noch mit einer garantierten Verzinsung von um die vier Prozent – utopisch heute, angesichts der dauerhaften Niedrigzinsen. „Mein Glück ist wirklich, dass ich mir 1991 die Eigentumswohnung gekauft habe, die ist abbezahlt. Sachwert schlägt Geldwert", lacht der 65-Jährige mit Bitterkeit.
Wenn man keine Ahnung von Aktien hat, sollte man es besser lassen, könnte man spitzzüngig einwenden. Aber auch tiefergehendes Wissen schützt nicht vor dem hohen Risiko von Einzelaktien. Dirk Weinsheimer ist kein Banker, hat aber zumindest eine gewisse Routine. Er ist seit bald 30 Jahren als privater Kleinanleger an der Börse unterwegs, bestätigt aber die Erfahrungen von Helmuth K. Einziger Unterschied: Der 53-jährige Beamte aus Kleinmachnow bei Berlin hat sich in den ganzen Jahren immer intensiv mit dem Marktgeschehen an den Börsen auseinandergesetzt, hat regelmäßig die ihm zugänglichen Börsenmedien verfolgt. Das hat aber auch nichts geholfen, auch Dirk Weinsheimer ist an der Börse kein reicher Mann geworden. „Wenn man als Kleinanleger einen Börsentipp via Fernsehen, Radio oder Zeitung bekommt, ist dieser längst verbrannt und Geschichte." Außerdem fehle staatliche Kontrolle. Als Beleg führt Weinsheimer den Hype um den „neuen Markt" Ende der 90er-Jahre an.
Erst „Volksaktie", dann hohe Verluste
Mit der „Volksaktie", wie die Anteilsscheine des privatisierten Ex-Staatsmonopolisten Telekom vermarket wurden, wurde der Aktienhandel einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Viele Menschen mit wenig Wissen über die Gefahren an der Börse legten ihr Geld in Wertpapieren an. Verheerend für viele dieser Anleger: Telekom-Chef Ron Sommer verspekulierte sich mit Firmenzukäufen und überteuerten UMTS-Lizenzen. Vom zeitweiligen Höchststand von 103 DM im Jahr 2000 rutschte sie auf nur noch 8,16 Euro im Juni 2002. 1999 dann der Neue Markt, der Nemax 50. Dort blühte die Dotcom-Blase auf und platzte schließlich 2003. Von 235 Milliarden Euro Anlegergeld blieben noch 30 Milliarden übrig. Die Deutsche Börse benannte den Nemax 50 schließlich 2003 um in Techdax, nachdem nun auch noch zahlreiche Betrugsfälle hinzugekommen waren. „Ich habe am Neuen Markt mitgemacht und zumindest fast zwei Jahre gutes Geld verdient, aber der ganze Laden lief heiß, und es fehlte jegliche Kontrolle von staatlicher Seite, ähnlich wie ich das jetzt erlebt habe mit Wirecard." Kleinanleger Dirk Weinsheimer kehrte zu den Dax-Unternehmen zurück. Er kaufte vermeintlich solide Bankenwerte, Automobilbauer, Weltunternehmen des produzierenden Gewerbes. Er war als privater Anleger nicht allein auf dem Parkett, der Aktienboom wurde noch durch die Politik befeuert. Die zukünftige Altersvorsorge sollte mindestens durch ein Dreistufenpaket gesichert werden: staatliche Rente, private Vorsorge zum Beispiel durch eine Riesterrente und eben Wertpapiere, wie beispielsweise Aktien.
Diese Entwicklung rief in den Millenniumsjahren auch Scharlatane auf den Plan. Einer von ihnen war Markus Frick. Der gelernte Bäcker aus Sinsheim sollte als Multi-Millionenbetrüger kriminelle Berühmtheit erlangen. Dabei nutzte Frick weit vorausschauend die neuen Techniken der Telekommunikation. „Frick hat Kursraketen per SMS angekündigt und in seinem Newsletter ausgewiefte Strategien aufgelistet und immer wieder Unternehmen angepriesen, die niemand kannte, außer ihm selbst. Denn bevor er die Kauftipps per SMS und Newsletter ankündigte, hatte er sich reichlich mit den Anteilsscheinen der Unternehmen eingedeckt", erzählt Weinsheimer. Bei den Aktien handelte es sich unter anderen um sogenannte Pennystocks, Ramschpapiere. Kauft ein Betrüger 10.000 Stück einer 30-Cent-Aktie, geht ihr Kurs automatisch durch die Decke, bewirbt er sie auch noch, umso mehr. In diesem Moment verhökerte Markus Frick seine Anteile auch schon wieder mit massivem Gewinn, der Kurs brach zusammen. 2014 wurde er zu zwei Jahren Haft verurteilt. Doch das waren betrügerische Ausnahmen.
Nach der Jahrtausendwende änderte sich auch die Handelsatmosphäre im Dax. Kleinanleger waren zwar gern gesehene Kunden, verloren aber immer mehr an Einfluss. Es waren die Geburtsjahre der milliardenschweren Hedgefonds, vor allem aus den USA, die den Handel zunehmend bestimmten. „Du kannst als Privatanleger überhaupt nicht mehr basierend auf dem gesunden Menschenverstand an der Börse handeln. Wenn ein Hedgefonds gegen ein Aktienunternehmen wettet, deren Anteile du gekauft hast, kann das Unternehmen wirtschaftlich noch so gesund sein, der Kurs wird sinken", erzählt Dirk Weinsheimer aus seiner Erfahrung gerade der vergangenen 15 Jahre.
Besser in Fonds und ETF investieren
Dies will Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg so nicht gelten lassen. „1988 ist der Dax bei einem Basiswert von 1.000 Punkten gestartet. Wer damals jeweils ein Papier der 30 Dax-Titel gekauft hat, könnte heute seine Anteile bei über 12.000 Punkten kapitalisieren. Also das Zwölffache der Kapitalanlage, wie vor 32 Jahren angelegt." Allerdings muss der Finanzfachmann einräumen: Will der Kleinanleger Kursschwankungen kurzfristig ausgleichen, hat er gegen die Big Player auf dem Börsenparkett keine Chance. „Doch auf lange Sicht, und dafür sind Aktien als Kapitalanlage ja auch gedacht, kann der Kleinanleger mit vernünftigen Renditen an der Börse rechnen", so Nils Nauhauser. „Das stimmt so nicht", widerspricht der Kleinanleger aus Kleinmachnow bei Berlin. „Es reicht vollkommen aus, in 25 Jahren Börsengeschehen viermal aufs falsche Pferd im Dax gesetzt zu haben. Wer beispielsweise Deutsche Bank, MLP, Lufthansa und Wirecard im Depot hat, kann den Verlust mit den anderen Aktien real nicht abfangen. Wenn man dann noch beim Platzen der Dotcom-Blase, 9/11 und dem Untergang der Lehman-Brothers dabei war, kommt man im günstigsten Fall auf ein Nullsummenspiel. Da kann man so viel rechnen wie man will", so der 53-Jährige. „Darum sollten Kleinanleger ja auch lieber in Aktienfonds anlegen, die die 30 Dax-Werte in der Gesamtheit abbilden, den sogenannten Exchange Traded Funds, kurz ETF. Da ist der Anleger auf der sicheren Seite", entgegnet Nils Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Doch das nützt Weinsheimer heute nur noch wenig. Der erste ETF in Deutschland wurde zwar bereits 1988 mit der Einführung des Dax von der Commerzbank aufgelegt, aber richtig ins Bewusstsein der Anleger schafften es ETF erst 20 Jahre später, nach dem weltweiten Bankencrash. Dirk Weinsheimer weiß heute nur eins: „In meinem nächsten Leben würde ich eine Immobilie kaufen. Wenn dann was übrig bleiben sollte, Goldbarren in physischer Form in meinem Garten vergraben, für schlechte Zeiten." Wer bei der Einführung des Euro 2002 eine Feinunze Gold gekauft hat, freut sich jetzt über eine Wertsteigerung von 85 Prozent. Allerdings besagt eine Goldhändler-Weisheit: „Nicht das Gold ist so teuer, sondern die Währung so schwach." Gold lohnt sich nur zu etwa zehn Prozent des Anlagevermögens, um Währungsschwankungen auszugleichen. Denn anders als Währungen ist die Menge des Goldes auf der Welt stark begrenzt. Allerdings ist Gold teuer, ebenso die Lagerung, sein Wert schwankt stark. Außerdem muss der Wechselkurs des Dollars in Euro beachtet werden, denn Gold wird in US-Dollar gehandelt.
Mittlerweile aber hat sich der Aktienmarkt von seinem plötzlichen Einbruch im März deutlich erholt. Am 18. Februar zeichnete der Dax Performance Index bei 13.789 Punkten, einen Monat später nur noch bei 8.441 Punkten. Mitte August lag er nach einem langsamen Anstieg wieder bei 12.990 Punkten.
Trotzdem bleibt Deutschland ein Sparerland. 50 Prozent parken laut Umfragen ihr Geld immer noch auf Girokonten – bei Zinssätzen nahe null. Offenbar ist die Angst vor Kursschwankungen der Aktien noch immer größer als die vor realem Kaufkraftverlust des gesparten Geldes durch die Inflation.