Das Saarland hat derzeit den Vorsitz der Europaministerkonferenz. Der hiesige Europaminister Peter Strobel (CDU) will neben den großen europäischen Themen nach den Erfahrungen der Pandemie vor allem die Grenzregionen zum Thema machen.
Das Saarland und Europa – das ist eine ganz eigene Geschichte. Außenstehende können zwar die Fakten zur Kenntnis nehmen, wirklich verstehen dürften sie aber nicht, was sich hinter der Selbstbeschreibung als europäischstes Bundesland verbirgt. Die Chance, das zumindest ein wenig zu ändern, hat derzeit Peter Strobel. Der Finanzminister ist auch verantwortlich für das Thema Europa und in dieser Eigenschaft derzeit turnusgemäß Vorsitzender der Europaministerkonferenz (EMK). Die Vorbereitung für die Herbstkonferenz auf Schloss Berg am 8. und 9. September in Perl laufen derzeit auf Hochtouren.
Das Saarland kann zurzeit in einer fast idealen Konstellation seine Europakompetenz ausspielen und Themen voranbringen. Deutschland hat derzeit den EU-Ratsvorsitz, das Saarland die Präsidentschaft in der Großregion (Saarland/Rheinland-Pfalz/Luxemburg/Grand-Est/Wallonie), sowohl auf der Ebene der Regierungen als auch der Parlamente (im Interregionalen Parlamentarierrat), und eben den Vorsitz der Konferenz der Europaminister der Länder.
Diese ziemlich einzigartige Konstellation trifft auf eine einzigartige Situation und Herausforderung durch die Pandemie und ihre Folgen. Das hat einerseits einige Pläne durcheinandergewirbelt, aber zugleich unzweifelhaft den europäischen Themen ganz neues Gewicht gegeben. Insbesondere Grenzregionen haben in ungeahnt harter Weise die vorübergehenden Grenzschließungen erleben müssen. Ein Schock, der anderen Menschen in Nicht-Grenzräumen in dieser Schärfe nicht ganz einfach vermittelbar ist. Konsequenterweise hat Strobel das Thema Grenzregionen oben auf die Agenda der Europaministerkonferenz gesetzt. Aber nicht nur deshalb.
Europa wächst an seinen Binnengrenzen, also in den Grenzregionen, zusammen. Das ist in der Theorie keine neue Erkenntnis. Die Praxis hat aber oft genug gezeigt, dass auch bei gut gemeinten Vereinbarungen die unmittelbaren und erlebbaren Auswirkungen in diesen Regionen nur unzulänglich mit bedacht wurden und zum Teil immer noch werden. Kritische Zungen sagen, einiges an Beschlüssen würde anders aussehen, wenn europäische Hauptstädte nicht im Landesinneren, sondern an den Grenzen liegen würden.
Genau das hat sich extrem bei den Grenzschließungen gezeigt. Die teils verheerenden Folgen, Rückschläge für Fortschritte in einem Europa ohne Grenzen, in Jahren und Jahrzehnten oft in ziemlich kleinen Schritten mühsam erarbeitetet, haben Spuren in mehrfacher Hinsicht hinterlassen. Alte Ressentiments sind zumindest in einer Reihe von Fällen wieder aufgebrochen, unbedachte Sätze landeten auf der Goldwaage, manche Missverständnisse und Nervositäten wuchsen sich zu Anfeindungen aus. In gleichem Maß entwickelte sich aber auch das Bemühen um Verständigung. Der französische Abgeordnete Christophe Arend meinte, wohl noch nie sei so viel und intensiv kommuniziert worden wie just zu der Zeit, als geschlossene Grenzen und Ausgangsbeschränkungen ein persönliches Treffen unmöglich gemacht hatten. Arend sagte das auf der Freundschaftsbrücke zwischen Kleinblittersdorf und Großblittersdorf. Deren Bild wurde zum Symbol in dieser Zeit.
Partner finden, Interessen organisieren
Europa wird nach wie vor wesentlich von den Regierungschefs der Mitgliedsstaaten bestimmt. Und was die Bundesregierung mit verhandelt und beschließt, trifft nicht immer auf ungeteiltes Gefallen der Bundesländer im föderalen Deutschland. Die Europaministerkonferenz ist dabei eine Einrichtung, die noch gar nicht so alt ist. Sie wurde 1992 ins Leben gerufen, um der wachsenden Bedeutung europäischer Themen für die Länder Rechnung zu tragen. Sie soll Aktivitäten der Länder untereinander abstimmen und gegenüber Bund und EU vertreten. Immerhin etwa drei Viertel aller EU-Rechtsvorschriften müssen auf der lokalen oder regionalen Ebene umgesetzt werden. Die Regionen profitieren aber auch vielfach von europäischer Förderung, ob im Agrarbereich, der Entwicklung des ländlichen Raums oder aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF).
Gleichzeitig organisieren sich die Interessen in einem Europa der Regionen auch in grenzüberschreitenden Zusammenarbeiten rund um Deutschland. Etwa 30 Europaregionen in unterschiedlichen Konzeptionen, Größen und Intensitäten gibt es, die Großregion Saar-Lor-Lux ist eine davon. Damit hat Deutschland mehr organisierte Zusammenarbeit in Grenzregionen als jedes andere europäische Land, schließlich ist Deutschland auch der EU-Mitgliedsstaat mit den meisten Nachbarn.
Auf einer anderen Ebene spielt der Europäische Ausschuss der Regionen (AdR). Die Versammlung der Regional- und Kommunalvertreter der Europäischen Union soll den unteren Ebenen (Regionen, Städten und Gemeinden) im Gefüge der großen EU Gehör verschaffen. Eingerichtet wurde diese Ebene als Bindeglied zwischen den großen Institutionen in Brüssel und den Bürgern.
Es ist ein verwobenes Geflecht mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten. Europapolitik ist dabei die Kunst, auf unterschiedlichen Ebenen Partner für Interessen zu organisieren. Das produziert nicht immer die großen Fernsehbilder vor europäischen Fahnengalerien. Aber oft genug kommen gerade daher die treibenden Kräfte, um Fortschritte zu erzielen, die für Menschen unmittelbar erlebbar sind – auch wenn die dann nicht unbedingt immer mit dem Label Europa identifiziert werden.
Der Vorsitz der Europaministerkonferenz gibt jedenfalls die Chance, gerade vor dem Hintergrund der jüngsten coronabedingten Erfahrungen, Akzente aus Ländersicht zu setzen und die in deutsche Ratspräsidentschaft einzubringen. Peter Strobel hat als Gastgeber der Europaministerkonferenz erstmals die höchsten Vertreter der französischen Partnerregionen zu einem Austausch mit allen Bundesländern eingeladen. In diesen Zeiten mehr als nur eine symbolische Geste. Es gibt einiges zu bereden, allen voran, welche Konsequenzen aus den Erfahrungen geschlossener Grenzen für künftige Herausforderungen zu ziehen sind.