Die Parlamentarier der Großregion fordern mehr grenzüberschreitende Abstimmung und gemeinsames Handeln.
Der Interregionale Parlamentarierrat (IPR) wurde 1986 gegründet. Damit haben die regionalen Parlamente in der Großregion SaarLorLux die Basis gelegt für ein besseres und intensiveres Miteinander in unserer Großregion. Lange Zeit galt unsere Großregion als Modellfall für gelungene europäische Integration und als Labor für neue Erfahrungen in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Ein „Europa im Kleinen" auf regionaler Ebene: Saarland, Lothringen, Luxemburg, Rheinland-Pfalz und Wallonien. Die Großregion ist eine der am besten integrierten und grenzüberschreitend verflochtenen Grenzregionen der EU. Dies ist ein Erfolg der engen Zusammenarbeit der Verantwortlichen in der Großregion, seit Jahrzehnten: Seit 35 Jahren treffen sich die Abgeordneten im Interregionalen Parlamentarierrat (IPR), dem „Parlament der Großregion". Die Exekutiv-Chefs treten seit 25 Jahren auf höchster Ebene im „Gipfel der Großregion" zusammen. Die EU hat seit der ersten Programmgeneration von Interreg im Jahr 1990 Hunderte von Projekten der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit finanziell gefördert. Rund 250.000 Grenzgänger nutzen die Chancen der grenzüberschreitenden Mobilität seit dem Schengen-Abkommen von 1985 – Tendenz weiterhin wachsend.
Wie in einem Brennglas hat in diesem Jahr die Corona-Krise jedoch nicht nur die Stärken der Zusammenarbeit in unserer Großregion aufgezeigt, sondern auch Schwächen. Die Corona-Krise ist ein Stresstest nicht nur für die EU, sondern auch für das politische Miteinander in unserer Großregion. Zumindest zu Beginn der Krise hat sich gezeigt, dass es eine Rückbesinnung auf die ausschließlichen Interessen der eigenen Nation gibt, wenn Gefahr für die eigenen Bürgerinnen und Bürger droht. Ausgangssperren und drastische Restriktionen zur Eindämmung des Virus haben nicht nur die Menschen in den Mitgliedstaaten auf nie gekannte Weise eingeschränkt, sondern haben gerade in der Anfangsphase der Krise in den Grenzräumen Europas zu erheblichen Verwerfungen durch unabgestimmtes nationales Handeln geführt.
1. Einseitige und unabgestimmte Grenzschließungen, das Zurückhalten von medizinischem Material, die Unterbrechung von Verkehrsverbindungen – manche nationalen Entscheidungen zu Beginn des Lockdowns passten nicht zu den Alltagsrealitäten der Grenzregionen: Allein in der Großregion Saar-Lor-Lux mit rund 250.000 Grenzgängern, darunter vielfach medizinisches Personal, mit einer Universität der Großregion und zigfach integrierten Studiengängen, gemeinsamen grenzüberschreitenden Schulen und Kitas, offenbarte sich die doppelte Benachteiligung der Grenzlage.
2. Rund 30 Prozent der Menschen der EU leben in Grenzräumen und 30 Prozent der Fläche sind Grenzgebiete – so gesehen wären die Binnengrenzregionen zusammengenommen der größte Mitgliedstaat in der EU. Allein – die Politik für Europa wird im Wesentlichen immer noch in den nationalen Hauptstädten gemacht. Der IPR wird nicht in diese Entscheidungen einbezogen, die uns in der Grenzregion in ganz anderer Weise betreffen als grenzferne Regionen.
Was bedeutet das für den IPR? Der IPR als Vertretung aller Bürgerinnen und Bürger in der Grenzregion muss selbstbewusster werden. Selbstbewusster – gemeinsam mit dem Gipfel der Großregion – gegenüber den nationalen Regierungen und selbstbewusster auch gegenüber den Institutionen der EU.
Es macht nachdenklich, dass ausgerechnet im 70. Jahr der Europaerklärung von Robert Schuman, im 35. Jahr nach der ersten Schengen-Vereinbarung nochmals die grundsätzlichen Fragen aufgerollt wurden, wie ernst wir es in unserer Großregion mit Freizügigkeit und Solidarität meinen.
Nach anfänglichen Anlaufschwierigkeiten haben sich die Regierungen der Großregion zusammengetan und regelmäßig abgestimmt: Regionale Telefondiplomatie, grenzüberschreitende Patientenversorgung, unbürokratische Hilfslieferungen, gemeinsames Intervenieren in den Hauptstädten – es geht um praktikable und sinnvolle Lösungen für die Menschen vor Ort. Der Interregionale Parlamentarierrat plädiert dafür, die richtigen Lehren zu ziehen. Wir müssen in der Grenzregion zusammen besser auf die nächste Krise, auf die nächste Corona-Welle, vorbereitet sein: Wir müssen füreinander denken und gemeinsam handeln.
Die Parlamentarier der Großregion im IPR haben auch im Lockdown ihre Beratungen fortgeführt: In seiner ersten Präsenzsitzung nach den Lockerungen hat die Plenarversammlung des IPR am 5. Juni 2020 einstimmig eine Resolution zu den Folgen der Corona-Krise mit konkreten Forderungen und Erwartungen verabschiedet. Ein starkes Signal!
Die Parlamentarier fordern darin, dass die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden.
Konkret haben wir beschlossen:
• Die Großregion braucht bessere interregionale Krisenkoordination durch gemeinsame Pandemiepläne und Krisenstäbe. Die Vorgehensweisen müssen besser aufeinander abgestimmt werden – sowohl beim Erlass als auch bei Lockerung der Restriktionen.
• Die Zusammenarbeit der Gesundheitssysteme, wie sie im Alltäglichen durch Vereinbarungen wie „Mosar" geregelt ist, muss ausgebaut werden; grenzüberschreitender Zugang zur grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung muss zum Normalfall werden.
• Freizügigkeit durch offene Grenzen und Grenzgänger-Mobilität muss besser abgesichert werden; Homeoffice – dort wo es die Arbeitsbedingungen zulassen – muss eine Alternative für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein können, ohne dass sozialrechtliche und steuerliche Nachteile drohen. Eine gründliche Analyse zur wirtschaftlichen und sozialen Folgenabschätzung ist notwendig; der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion (WSAGR) kann dazu seine anerkannte Expertise einbringen.
• Die Folgen nationaler Entscheidungen müssen systematisch auf die Grenzregionen hin überprüft werden – bei Gesetzen, Verordnungen und Erlassen.
• Die europäische Ebene benötigt klarere Kompetenzen im Krisenfall für die Sicherstellung des freien Warenverkehrs, der Gesundheitsversorgung und des Schutzes gegenüber antieuropäischen Angriffen auf seine Souveränität.
Wir müssen aber auch den Alltag neu in den Fokus nehmen, damit der Wert des IPR für alle deutlich wird. Langfristig ist es wichtig, dass die Empfehlungen rascher berücksichtigt und umgesetzt werden.
Die nationalen Regierungen werden auf unsere besondere Situation in der Grenzregion umso eher Rücksicht nehmen, je mehr wir über schnelle grenzüberschreitende Abstimmungsmechanismen auf Ebene unserer Großregion verfügen.