Vor 15 Jahren wütete der Wirbelsturm Katrina in New Orleans. 80 Prozent der Stadt standen unter Wasser, in den Straßen herrschten Anarchie und Chaos. 1.800 Menschen starben, mehr als eine Million wurden obdachlos. Vor allem die sozialen Schäden sind bis heute nicht behoben.
Wenigstens für eine Person nahm die Katastrophe einen glücklichen Ausgang. Jacquelyn Sherman war gerade auf dem Weg zum Einkaufen, als sie sich kurzfristig dazu entschloss, ins Spielcasino zu gehen. An einem sogenannten einarmigen Banditen setzte sie spontan 4,25 Dollar ein und knackte damit den Jackpot von 1,6 Millionen Dollar. Von dem Geld kaufte sie sich ein neues Haus, nachdem ihr altes fünf Wochen zuvor durch den Hurrikan Katrina zerstört worden war. Am 29. August 2005 war der Wirbelsturm mit 280 Kilometer pro Stunde über die Küste des US-Bundesstaates Louisiana hergefallen – einzelne Böen erreichen sogar noch höhere Windgeschwindigkeiten von bis 340 km/h. Katrina war damit einer der stärksten Stürme, die jemals auf dem Atlantik beobachtet wurden, dessen Ausmaß am Ende selbst die Meteorologen überraschte. „Zunächst zog Katrina über die Halbinsel von Florida, wurde dann schwächer und zog wieder aufs Meer hinaus. Dort gewann der Hurrikan noch mal unheimlich an Stärke hinzu. Wir haben den Effekt dieser Verstärkung noch nicht gut verstanden. Man kann zwar die Zugbahn solcher Wirbelstürme gut vorhersagen, aber die Stärke nicht", erklärte Jochem Marotzke, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg.
Dabei war der Sturm noch gar nicht das Schlimmste, was die Einwohner von New Orleans erwartete. Das eigentliche Drama begann erst, als Katrina sich längst zu einem Tropensturm abgeschwächt hatte und weiter ins Landesinnere zog. Doch die gewaltigen Regenfälle und die Flutwelle vom Golf von Mexiko, die der Sturm mit sich gebracht hatte, waren zu viel für die maroden Deiche der Stadt. Auf 150 Metern brachen die Dämme, und bald lagen 80 Prozent von New Orleans unter Wasser.
Besonders betroffen war der Stadtteil Lower Ninth Ward, der hauptsächlich von Afroamerikanern bewohnt wurde – dort standen viele Gebäude bis zur Dachspitze unter Wasser. Leichen schwammen in den Fluten; es gab kein Trinkwasser und keinen Strom mehr, weshalb das Wasser auch nicht einfach abgepumpt werden konnte. Der Flughafen und zahlreiche Zufahrtsstraßen wurden ebenfalls überschwemmt. Die Kapitale des Jazz war auf einmal von der Außenwelt abgeschnitten. Wer nicht rechtzeitig geflohen war, saß in der Falle.
Szenen wie in einem Dritte-Welt-Land
Als Notunterkunft für die Gestrandeten diente der Superdome, das örtliche Football-Stadion. Doch was als sicherer Hafen inmitten des Desasters gedacht war, wurde stattdessen zum Sinnbild der Katastrophe. Und das nicht nur, weil Teile des Daches während des Hurrikans ebenfalls abgedeckt wurden. Ursprünglich war geplant, rund 10.000 Menschen maximal 48 Stunden lang dort unterzubringen. Doch letztlich mussten mehr als dreimal so viele Personen unter unmenschlichen Bedingungen rund eine Woche dort verbringen.
Es waren Szenen wie in der Dritten Welt: Die Temperaturen in dem überfüllten Gebäude betrugen selbst nachts noch über 30 Grad Celsius – die Klimaanlage versagte ebenso wie die Toiletten. Es mangelte an Strom, Wasser und Nahrungsmitteln, überall stapelte sich der Müll. Die Behörden befürchteten den Ausbruch von Cholera und Typhus. Mindestens eine Person konnte die Situation nicht mehr ertragen und stürzte sich von einer Tribüne des Stadions in den Tod.
Doch auch außerhalb der Arena herrschte das blanke Chaos. Es kam zu Gewalt und Schießereien, selbst Rettungsmannschaften wurden angegriffen. Nachdem Plünderer wiederholt Läden, Büros und Supermärkte ausgeraubt hatten, verhängten die Behörden das Kriegsrecht. Der staatliche Katastrophenschutz war von der Situation vollkommen überfordert. „Zu viele Menschen sterben, weil nichts passiert. Dies ist eine nationale Katastrophe auf amerikanischem Boden, und wir schaffen es nicht, die Nationalgarde in einem überschaubaren Gebiet einzusetzen", beklagte Bürgermeister Ray Nagin. Doch auch er selbst sowie Louisianas Gouverneurin Kathleen Bianco standen früh in der Kritik, weil sie die Evakuierungspläne zu zögerlich umsetzten. Eine Untersuchung des US-Kongresses gab den Behörden auf allen Ebenen später gleichermaßen die Verantwortung dafür, dass die Lage derart eskalierte.
Dabei war lange bekannt, dass New Orleans gegen einen Hurrikan denkbar schlecht gewappnet ist. Die Stadt ist gleich von drei Seiten von Wasser umgeben: vom Mississippi, dem Golf von Mexiko und vom Lake Pontchartrain. Die Hälfte des Stadtgebiets liegt unter dem Meeresspiegel in einer Mulde ohne natürlichen Abfluss. „New Orleans ist wie eine Badewanne ohne Abfluss", sagte Stephen Nelson, ehemaliger Professor für Geologie an der örtlichen Tulane University. Die Eingriffe in den natürlichen Küstenverlauf und das angrenzende Marschland wirkten sich ebenfalls negativ aus. Der natürliche Puffer gegen Stürme und Hochwasser ging dadurch verloren.
125 Milliarden Dollar Gesamtschaden
Wissenschaftler der Universität von Louisiana hatten entsprechend schon 2002 in einer Computersimulation den Untergang der 500.000-Einwohner-Metropole vorhergesehen. Vor 15 Jahren wurde aus dieser Prognose bittere Realität. Mindestens 1.800 Menschen kamen bei einer der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte der Vereinigten Staaten ums Leben, rund 1,3 Millionen Menschen wurden obdachlos.
Neben New Orleans und dem Bundesstaat Louisiana waren auch die angrenzenden Bundesstaaten Florida, Alabama, Georgia und Mississippi betroffen. Der Gesamtschaden belief sich auf 125 Milliarden Dollar, nach damaligem Kurs umgerechnet etwa 97,3 Milliarden Euro. Unter anderem wurde auch die Ölindustrie im Golf von Mexiko schwer getroffen, so dass die Benzinpreise binnen weniger Tage weltweit anstiegen.
Am schlimmsten traf es jedoch die Ärmsten, darunter überproportional viele Afroamerikaner. Katrina war auch eine soziale Katastrophe, die die Unterschiede in der amerikanischen Gesellschaft schonungslos offenlegte. Gerade in den ärmeren Vierteln waren viele Menschen nicht gegen das Hochwasser versichert, weil sie es sich schlicht nicht leisten konnten. Nach dem Sturm fehlte diesen Leuten das Geld, um ihre Häuser wieder aufzubauen.
Zwar gab es auch Hilfszahlungen der Bundesregierung für die Flutopfer, doch diese waren an bestimmte Bedingungen gebunden, wie Mark Davies, Leiter des Instituts für Wasserwirtschaftsrecht und -politik an der Tulane Law School in New Orleans, im „Deutschlandfunk" erläuterte. „Die wichtigste dieser Regeln war: Sie mussten nachweisen, dass das Grundstück ihnen gehört. Nun, wenn die Besitzurkunde in Ihrem Haus war, und Ihr Haus jetzt in Trümmern über die gesamte Gemeinde St. Bernard Parish stromabwärts verstreut ist, haben Sie ziemliche Probleme, das nachzuweisen."
Während die meisten weißen Wohnviertel sich längst erholt haben, ist gerade der Lower Ninth Ward bis heute regelrecht entvölkert. Nur etwa 1.000 der ursprünglich 30.000 Bewohner sind nach dem Hurrikan bislang zurückgekehrt. Entsprechend unterschiedlich fällt auch die Bewertung über den Wiederaufbau der Stadt aus: Waren vor fünf Jahren vier von fünf der befragten Weißen der Ansicht, dieser sei gelungen, meinten drei von fünf Afroamerikanern das Gegenteil.
„So aufgebaut, wie es schon früher war"
Rund zehn Milliarden Dollar haben die USA seit 2005 ausgegeben, um New Orleans besser vor künftigen Stürmen zu schützen. Fast drei Kilometer Flutmauern mit einer Höhe von bis zu acht Metern sind seitdem gebaut worden, die ihren ersten Praxistest 2008 beim Hurrikan „Gustav" bestanden haben; zudem wurden ein neuer Evakuierungsplan aufgelegt und 61.000 Schutzräume für den Notfall geschaffen. Gleichwohl bleibt ein Restrisiko aufgrund der geografischen Lage. Weiterhin geht alle 45 Minuten Land von der Fläche eines Footballfeldes an das Meer verloren, das damit immer näher an die Stadt heranrückt.
„Ich hätte gedacht sie sorgen dafür, dass die neuen Häuser auf höheren Grund gebaut werden", sagte Küstenforscher John Day von der Louisiana State University im „Deutschlandfunk". „Aber am Ende haben sie New Orleans fast genauso wieder aufgebaut, wie es vorher war. Die Häuser stehen auf dem Boden, unterhalb des Meeresspiegels. Und die nächste Flut wird kommen." Dass die Stadt ein ähnliches Happy End erlebt wie Jacquelyn Sherman bei ihrem Besuch im Spielcasino, ist also keineswegs garantiert.