Lange hat Alba Berlin auf ein „Si" seines spanischen Meistertrainers warten müssen, doch nun hat Aíto Reneses für ein weiteres Jahr unterschrieben. Ein vermeintlicher Nachfolger steht bereits parat.
Dass sich junge Sportler auf Instagram austoben und vermarkten, ist nichts Neues. Dass aber auch der 73 Jahre alte Basketballtrainer Alejandro García Reneses, genannt Aíto, dort einen Account hat, den er sogar regelmäßig mit Inhalten füllt, wissen die wenigsten. Das liegt daran, dass sich der Spanier dort nicht als Trainer, sondern als Hobbyfotograf präsentiert. Sein jüngstes Bild zeigt eine brasilianische Araukarie vor einem weißen Haus und einem großen Berg. Die meisten seiner etwa 3.500 Follower äußerten sich bewundernd über die Schönheit der Baumart und über die künstlerische Umsetzung des Motivs, aber ein Basketballfan hatte sich auch unter die User geschlichen. Ein Kommentar unter dem Foto lautete: „Señor Aíto, gracias. Un año mas con Alba Berlin!" – ein Dank für noch ein Jahr bei Alba Berlin.
Der Meistertrainer hatte sich lange Zeit gelassen, um seinen Vertrag um eine weitere Saison zu verlängern. Das „si" des Spaniers erfolgte fast anderthalb Monate nach dem großen Triumph beim Finalturnier der Basketball-Bundesliga BBL in München. Die Signale waren zwar schon vorher positiv, doch Reneses ist keiner, der wichtige Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft. Er zieht sich gern etwas zurück und lässt alles auf sich wirken. Hat er noch die nötige Energie? Das Feuer? Kann er die Mannschaft weiterentwickeln? Will er sich den Stress noch ein Jahr antun? Spielt seine Familie mit? Verschieben sich durch die Corona-Pandemie die Prioritäten? All diese Fragen mussten zunächst beantwortet werden – und die Antworten fielen für Alba positiv aus. „Ich freue mich darauf, wieder täglich mit den Spielern daran zu arbeiten, besser zu werden und das Maximum aus ihnen herauszuholen", sagte die Trainer-Ikone. Um die Belastungen etwas abzufedern, kommt auf Co-Trainer Israel Gonzalez mehr Arbeit zu. Sein Vertrag wurde um zwei Jahre verlängert, er fungiert nun offiziell als „Associate Headcoach" und soll Reneses wohl auch bei einigen beschwerlichen Auswärtsfahrten vertreten. Das Zeichen ist klar: Gonzalez wird als Nachfolger aufgebaut.
„Das Maximum aus ihnen herausholen"
Die Schlüsselfigur bei Alba bleibt aber vorerst Reneses. Er darf hier seine Philosophie ohne Widerstände und ohne den allergrößten Erfolgsdruck umsetzen. In einem solchen Arbeitsumfeld bringt der für sein Fachwissen und seine Talentförderung weltweit hochgelobte Trainer dem Club einen kaum messbaren Mehrwert. „Er findet mit seiner Art, seiner Expertise und seiner großen Erfahrung Wege, jeden Spieler besser zu machen", schwärmte Sportdirektor Himar Ojeda.
Jeden Spieler besser machen – an diesem Anspruch sind schon so manche Trainer in der Sportszene krachend gescheitert, doch bei Reneses scheint das tatsächlich zu funktionieren. „Er liebt es, Spieler und Mannschaften zu entwickeln", sagte Alba-Geschäftsführer Marco Baldi. „Er hat einen großen Entwicklungsgeist. Er möchte, dass Dinge wachsen." Und wie Alba unter Reneses gewachsen ist! Das junge Team hat sich seit seiner Ankunft 2017 stetig verbessert und spielt mittlerweile einen attraktiven Basketball, der selbst in Europa bestaunt wird. Weder im Training noch im Spiel tritt Reneses dabei als Heißmacher auf, der erfahrene Coach ist eher ein Mann der kleinen Gesten und Worte. Doch die haben Gewicht. Aus ihnen spricht der pure Basketball-Sachverstand. „Er schreit nie, er erklärt geduldig", erzählte einmal Spielmacher Peyton Siva. „Er sagt: ‚Versuche es mal so.‘ Dann versuchst du es, und es klappt. Dann glaubst du ihm." Auch der nach Valencia abgewanderte Martin Hermannsson, der unter Reneses einen gewaltigen Leistungssprung gemacht hat, ist seinem Ex-Coach dankbar: „Du hast nach jedem Training das Gefühl, du hast wieder etwas von ihm gelernt."
Reneses verlangt von seinen Spielern Lernfähigkeit und eine taktische Flexibilität. Doch starr sind seine Prinzipien nie, wenn seine Idee die Entwicklung des Spielers blockiert, gibt er sie völlig uneitel wieder auf. „Aíto gibt mir die Freiheit, der Spieler zu sein, der ich bin", sagte Luke Sikma. Und die Spieler zahlen es ihm auf dem Parkett zurück. In den ersten beiden Jahren unter Reneses erreichte Alba fünf Finals. In der abgelaufenen Corona-Saison spiegelte sich seine erfolgreiche Arbeit aber auch im Vitrinenschrank des Clubs: Erst holte Alba den Pokalsieg, dann den Titel in der Meisterschaft.
„In ganz Europa sehr angesehen"
Reneses hielt sich bei den Feierlichkeiten nicht nur wegen Corona zurück. Der Mann, der in seiner Karriere fast alles gewonnen hat, was es im Basketball zu gewinnen gibt, überließ die Bühne nur zu gern den Spielern. Doch glücklich hat ihn das Double auch gemacht, verriet Baldi: „Das wird oft unterschätzt, aber Aíto ist auch ein Wettkämpfer, der will gewinnen." Doch Erfolg um jeden Preis – das gibt es bei Reneses nicht. Er würde „niemals Dinge erfinden, um einen Titel zu gewinnen, wenn er weiß, dass es morgen nicht mehr geht", betonte Baldi. Als Baldi damals von der Möglichkeit erfuhr, dass sich Reneses vorstellen könne, seine Heimat erstmals für ein Engagement im Ausland zu verlassen, hatte er es zunächst nicht glauben können. Der Mann, der in Spanien nach neun Meistertiteln mit dem FC Barcelona und nach der Olympia-Silbermedaille 2008 mit dem Nationalteam längst Heldenstatus erreicht hat, suchte tatsächlich ein Abenteuer im Ausland. Und er sah in Alba Berlin den passenden Club dafür.
Schon jetzt steht fest, dass es eine Erfolgsgeschichte ist. Doch die soll noch nicht zu Ende sein. In der kommenden Saison soll Reneses das Team erneut zu einem Titelanwärter formen und in der EuroLeague näher an die internationalen Topclubs heranführen. „Wir haben mit unseren Neuverpflichtungen und den verbliebenen Spielern ein vielversprechendes Team zusammengestellt", sagte Ojeda, „von dem ein wichtiger Kern unsere Philosophie in den letzten Jahren verinnerlicht hat." Nationalspieler Louis Olinde zum Beispiel gab zu, dass Albas von „Leichtigkeit, Tempo und Leidenschaft" geprägter Spielstil ihn zur Vertragsunterschrift animiert habe. Und Maodo Lo, der von Bayern München in seine Heimatstadt Berlin zurückkehrt, nannte speziell Reneses als Hauptgrund für den Vereinswechsel: Dessen Spielphilosophie sei „in ganz Europa sehr angesehen", viele Spieler wüssten seine Arbeit „sehr zu schätzen".
Die Verantwortlichen des Clubs natürlich auch. Und so steht noch gar nicht fest, ob es wirklich Reneses letzte Saison in Berlin sein wird. Der beliebte Spanier hat quasi einen Vertrag auf Lebenszeit, den er nur jedes Jahr bestätigen muss. „Das ist genau so", sagte Baldi. Auch wenn er für ein „si" etwas länger warten muss.