Mit dem ersten Köttbullar-Lokal in der Stadt machen Henrik Möller und Michael Hubert am Schlesischen Tor dem blau-gelben Möbelgiganten eine Ansage. Anfang Juli erst eröffnet, hat „Möllers Köttbullar" schon eine große Fangemeinde.
Manche Ideen sind so einfach, dass die Frage unausweichlich ist: Warum hat das vorher noch keiner gemacht? Henrik Möller ist jemand, der so eine Idee hatte: „Warum verkauft der Möbelschwede Milliarden von Köttbullar, und es gibt sie sonst nirgendwo?" Die Antwort fand er schon vor zwölf Jahren „in Bierlaune" in geselliger Runde. Der Veranstaltungskaufmann mit Leidenschaft fürs Kochen steckte sie erst einmal in seine „Ideenschublade". Um sie vor vier Jahren wieder hervorzuziehen, „Möllers Köttbullar" als Streetfood zu testen und sie seit Anfang Juli mit Michael Hubert zusammen im ersten Köttbullar-Restaurant der Stadt zu verkaufen. Hallo Klopse – jetzt gibt’s euch ständig in Kreuzberg!
Die Fleisch- und Veggie-Bullar rollen täglich vom Bratblech in die Rahmsauce und auf den Kartoffelstampf. Und siehe da: Es geht besser als beim großen Blau-Gelben. Sicherlich kann es der Köttbullar-David mengenmäßig nicht mit dem Möbel-Goliath aufnehmen, aber dass Qualität und Geschmack noch mehr können als von dort bekannt, ist unübersehbar. Denn Henrik Möller und Michael Hubert haben sich vorgenommen, ihre Bullar und das Drumherum von der Preiselbeere bis zum Gurkensalat aus hochwertigen Produkten anzubieten: „Unser Ziel ist 100 Prozent Transparenz in den Lieferketten. Die Herkunft der Erzeugnisse ist uns wichtig und dass jemand mit seinem Namen dahintersteht." Deshalb wird ausschließlich Rindfleisch aus der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall durch den Wolf gedreht. „Das Fleisch ist nicht bio, weil die Bauern ihre Rinder im Nebenerwerb halten", erläutert Möller. Für die Kleinbauern lohnt sich die teure Zertifizierung nicht.
Auf dem Teller oder in der Zuckerrohrfaser-Schachtel zum Take-away zählt zunächst, ob es schmeckt. Das tut es. Die Fleischklopse sind außen schön gebräunt, im Inneren fluffig und weich verbunden. Lecker! Die Zubereitung der schwedischen Kleinbulette funktioniert etwas anders als die der Berliner Schwester. Der entscheidende Trick sei es, sämtliche Zutaten bis auf das Fleisch erst zu pürieren, verrät Möller. Anschließend werden die Bullar im Ofen gebacken. Diese ersten Schritte kann die Küchencrew nicht im Lokal selbst ausführen. Zu aufwendig und platzraubend wären Produktion, Kühlung und Lagerung. Das macht aber nichts: Ein Unternehmen in Bayern fertigt sie nach dem hauseigenen Rezept. Vor Ort werden die tiefgekühlt gelieferten Köttbullar gebraten und serviert. Die Rahmsauce, der ausdrucksstark angemachte Gurkensalat und die braune Sauce wiederum werden von „Catering aus Leidenschaft" produziert.
Idee und Prozesssteuerung bleiben also in einer Hand, und die Namen aller Beteiligten werden gern genannt. „Was wir nicht selbst machen können, holen wir uns extern dazu", sagt Michael Hubert. Das betrifft den Industrial-Style mit viel Blau, Weiß und Holz-Akzenten vom Kreuzberger „Designbiro" ebenso wie die Vorfertigung der Produkte. Die Köttbullar sind in ziemlich ausgereiftem Zustand in das „Brick and Mortar"-Lokal gekommen. Mit einem Food-Trailer war Henrik Möller drei Sommer lang auf Festivals unterwegs. Er testete seine Idee, lernte, was ankommt und wie ein Konzept funktionieren muss, um ständig schnell und viel frisches Essen herauszugeben. Die Festival-Saison fiel in diesem Jahr coronabedingt aus. Dadurch konnten Möller, Hubert und das Team umso mehr Power in die Vorbereitung der Lokal-Eröffnung stecken.
In der Köttbullar-Fangemeinde sprach sich die Nachricht rasch herum. Bei meinem ersten mittäglichen Besuch eine Woche nach Eröffnung waren beinah alle der zahlreichen kleinen Bierbank-Garnituren auf dem Bürgersteig besetzt – und das, obwohl die Kreuzberger Start-up-Szene rund ums Schlesische Tor längst nicht wieder vollständig in ihren Büros sitzt. Ich traf Maria Koimtzoglou, die Erfinderin der Vegi-Bullar und der veganen braunen Sauce, auf eine Mittagsportion vor Ort. Uns reichte die „Kinder"-Version mit drei Köttbullar plus Pommes. Denn die Bällchen mit Rahmsauce machen, insbesondere in dieser Kombi, fix satt. In der mittleren Größe werden sechs und in der großen neun Köttbullar serviert. Die Preisstaffelung mit 4,90 Euro, 7,50 Euro und 9,50 Euro passt.
Pommes nach anspruchsvollem Demeter-Standard
Die „100 Prozent veganen" Vegi-Bullar bestehen aus Sonnenblumen-Hack, Sonnenblumenproteinen, Erbsenproteinen und Champignons, verriet mir Maria Koimtzoglou. Die Expertin fürs Vegane führt nahebei ihr veganes Restaurant „Maria". Veganes Soulfood ist nun nicht nur in der Falckenstein-, sondern auch in der Köpenicker Straße zu haben. So wie Henrik Möller und Maria Koimtzoglou ist auch Michael Hubert ein Kreuzberger Urgestein. Er betreibt in der Görlitzer Straße die uralt eingesessene „Marabu-Bar". Dort lernten sich Möller und Hubert „vor fünf, sechs Jahren" kennen. Sie tüftelten gemeinsam an der Köttbullar-Idee weiter. Maria Koimtzoglou wiederum entdeckte das Lokal, das im Inneren wie ein großer Imbiss mit Stehtischen konzipiert ist. „Micha und ich haben im März 2019 eine Woche in Stockholm verbracht", erzählt Henrik Möller. Das Köttbullar-Scouting im Ursprungsland war das eine. „Wir haben dort festgestellt, dass wir es eine Woche miteinander aushalten", ergänzt Hubert. Nicht unwichtig für den Sieben-Tage-Betrieb auf wenigen Küchen-Quadratmetern!
Die Gerichte und ihre Komponenten entwickeln sich stetig weiter. „Im Trailer wurde das Pü noch gemixt, im Laden stampfen wir jetzt", sagt Möller. Das macht „Agria" oder „Bilana", die von der Firma Wild in Eppingen „geschält, vorgegart und geviertelt" geliefert werden, stückiger und schmackiger. Die „nur warm dampf-, aber nicht heißgeschälten" Kartoffeln für die Pommes Frites dagegen stammen von einem Produzenten in Hannover. „Sie werden durch einen Warmluftfön gefahren, in Sonnenblumenöl vier und nicht nur eineinhalb Minuten lang frittiert und dann schockgefrostet." Gerade seien die Pommes in Bioland-Qualität, aber ab der nächsten Charge werden sie nach dem noch anspruchsvolleren Demeter-Standard geliefert. Ergebnis: Die Pommes sind superlecker. Sie sind eben echte Kartoffeln mit Ausdruck, keine Formpress-Convienience-Mutanten. Da finden Pommes-Gelüste eine ganz neue Anlaufstelle! Die Schale wird einzeln für 2,40 Euro über den Tresen gereicht. Vegane Mayo oder Ketchup gibt’s für 20 Cent extra. Ebenso gut sind die nicht-kompottierten Preiselbeeren: „Wildgepflückt in der EU und nur mit Rohrohrzucker versetzt", wie Möller verrät, machen die süß-herben Früchtchen eine extrem gute Figur zu den würzigen Köttbullar.
Gemeinsam mit dem begleitenden Freund schließe ich mich sofort der sich formierenden, inoffiziellen „Schwedenmilch-Fangemeinde" an. Kalt aus dem Kühlschrank geholt, etwas von der Luft angewärmt getrunken, ist die sanfte Sauermilch mit Geschmack und Textur zwischen flüssiger Dickmilch und festerer Buttermilch aus der Molkerei Schrozberger ein ungeahnter Genuss. Die Andeutung, die gebe es auch noch mit Vanille oder Himbeere, lässt uns aufmerken. Allein deswegen kämen wir gerne wieder.
Die Karte im „Möllers Köttbullar" ist klein, aber die Gerichte und Getränke sind ausgesucht. Das zeigt auch der sehr erfreuliche Kaffee aus einer Frauenkooperative in Ruanda. Er wird nach schwedischer Art gefiltert, und für mich gibt’s ein Kännchen Demeter-Milch von der Luisenhof Milchmanufaktur aus Brandenburg dazu. Ein Besuch bei „Möllers Köttbullar" verführt zweifellos dazu, gleich loszumarschieren und die guten Produkte ebenfalls für den häuslichen Verzehr einkaufen zu wollen.
„Möllers Köttbullar" ist also kurz nach der Eröffnung und trotz coronabedingter Unbilden gleich durchgestartet. Wo soll das alles enden? Womöglich bei einem systemgastronomischen Modell, aber einem der guten Art. Die Expansion ist denkbar. Selbst wenn die Übernahme der Köttbullar-Weltherrschaft noch ein wenig warten muss, haben die Berliner Macher beste Voraussetzungen: „Ikea hat immerhin 35 Jahre Marketing für uns gemacht", sagt Henrik Möller.