Die Landeshauptstadt von Oberösterreich begeistert Besucher mit beeindruckender Kunst und Kultur. Und natürlich der berühmten Torte.
Ein hoher dunkler Holzturm ragt neben der spätbarocken Ursulinenkirche in den Linzer Himmel. Seine Treppen führen zu einer Plattform hinauf. Sicherlich ein Aussichtsturm, vermuten die Gäste, staunen aber über die Drahtseile, die von ihm abgehen. Müssen die ihn halten?
Nein, der hält selbst etwas Schweres: das „Fliegende Schiff". Das gesamte, zum OÖ Kulturquartier gehörige Bauwerk ist der „Höhenrausch" von Linz, der Landeshauptstadt Oberösterreichs.
Da die Donau-City keine Bergriesen besitzt, versetzt sie die Menschen auf ihre Weise in einen Höhenrausch, und das schon seit 2009, als Linz Kulturhauptstadt Europas war.
Entstanden ist ein Kunst-Parcours über den Dächern, der bis in die Türme der Ursulinenkirche hineinreicht und von international renommierten Künstlerinnen und Künstlern alle zwei Jahre neu gestaltet wird.
Nach einem Eisrausch und einem Sinnesrausch kam 2018 beim Thema „Aufbruch zum anderen Ufer" das „Fliegende Schiff" hinzu, ein Werk des russischen Künstlers Alexander Ponomarev. Dieser von Weitem zierlich wirkende Dreimaster ist jedoch eine 20 Meter lange und 2,5 Tonnen schwere Stahl-Aluminium-Konstruktion. Um das Schiff auf Dauer sicher anzuhängen, erhielt der hölzerne Oberösterreich-Turm eine Stahlverstärkung. An ihm ist der Segler fest vertäut und schwebt nun über Linz.
Für dieses Jahr hieß das Thema „Wie im Paradies" und wurde lange vorbereitet, wegen Corona aber auf 2021 vertagt. Als Ersatz wird allen Höhenrauschsüchtigen noch bis zum 3. Oktober ein „Wolkenkuckucksheim" geboten.
Wunderbar, wünschen sich doch viele gerade in diesem Jahr solch einen Weitweg-Ort. Mal abschalten, um von Sommerwinden gewiegt in den kunterbunten Hängematten zu träumen. Wer auf den Holzstufen, der sogenannten Himmelsleiter, emporsteigt, genießt einen weiten Blick über Linz. Auch Ausstellungen und Lesungen werden geboten.
Der angehängte Dreimaster träumt dagegen eher von Donauwasser unterm Kiel und einem Ankerplatz vor dem schimmernden Lentos Kunstmuseum. Dort starten die weißen Fahrgastschiffe zu einer Mini-Kreuzfahrt. Täglich werden sie desinfiziert, und an Bord haben die Passagiere viel Platz.
Lichter-Show am Kunstmuseum
Diese knapp zweistündigen Törns sind beliebt und erfrischend zugleich. Sogleich fasziniert das gegenüber errichtete Ars Electronica Center. Schon 2009 wurde es zu einem Museum der Zukunft umgebaut. Die dortigen „Ausstellungen kreisen um die Frage, wie der Mensch mit seiner zunehmend digitalisierten Umgebung interagiert", so die damalige weitsichtige Verlautbarung. Das Kulturhauptstadt-Motto „Linz verändert" gilt weiter und meint nicht nur die Besucher.
Linz selbst hat sich von einer recht düsteren Stahlstadt zu einem hellen Zentrum der Elektronik und Digitalisierung mit viel Lebensqualität entwickelt. Die Landstraße, die vom schicken Hauptbahnhof bis zur Donau führt, ist nun eine Shopping- und Genussmeile.
Das Ars Electonica Center ist zwar momentan aus bekannten Gründen geschlossen, das Lentos Kunstmuseum aber wieder geöffnet. Wenn es dunkelt, erstrahlen beide Bauten in täglich wechselnden Farben. Auch diese Lichter-Show ist ein Highlight.
Das Schiff fährt nun am Brucknerhaus Linz vorbei. Auf dem Rasen vor dem harmonisch gestylten Bau relaxen die Sonnenanbeter. Drinnen im großen Saal mit der „weltweit einzigartigen Akustik" wird hingegen wieder gespielt. Ab 13. September gestalten weltbekannten Solisten die renommierte Linzer Klangwolke.
Im großen Saal wird natürlich mit Abstandswahrung wieder gespielt, einiges wurde und wird jedoch in frischer Luft musiziert. Mozarts „Linzer Sinfonie" erklang im Musikpavillon im Donaupark. Ihr Name kommt nicht von ungefähr. Wolfgang Amadeus Mozart wohnte im November 1783 kurze Zeit im Haus von Josef Urbanski in der Altstadt. Während das junge Musikgenie angeblich in nur drei Tagen die Sinfonie komponierte, plante Urbansky in diesem Renaissancebau, dem heutigen Mozarthaus, schon die Pöstlingbergbahn. Klassik-Fans interessieren sich auch für das Linzer Musiktheater. Dieses Opernhaus hat jetzt Ferien und startet am 19. September mit einem coronabedingten „Fidelio"-Mix.
Bei diesen Gedanken passiert das Schiff die tiefschwarzen Bauten des Stahlwerks Voestalpine. Es ist das wirtschaftliche Rückgrat von Linz. Am Ufer gegenüber erstreckt sich ein grünes Naturschutzgebiet.
Mit einer Schiffsdrehung beginnt die Rückfahrt vorbei am Frachthafen, der wegen der Graffiti an den Gebäudewänden nun als „Mural Harbour" bezeichnet wird. Prominente Sprayer konnten dort ihre Ideen verwirklichen. Das kesse Tanzpaar am Ufer ist ein besonderer Hingucker.
Zurück am Startpunkt locken die Türme der Wallfahrtskirche auf dem schon erwähnten 519 Meter hohen Pöstlingberg zu weiteren Erkundungen. Anstatt per pedes in der Sommersonne bergan zu stapfen, ist eher das „Straßenbahn-Pilgern" angesagt. Von der Haltestelle auf dem Hauptmarkt rattert das Traditionsbähnle, die steilste Adhäsionsbahn der Welt, in rund 30 Minuten mit Stopps an einigen Stationen – auch am Zoo – aufwärts. Nach wenigen Schritten ab der Endstation begeistert der Blick auf Linz und die Donau, die drunten eine Schleife macht. Doch kaum jemand steigt noch die Treppen zur schönen Wallfahrtsbasilika, erbaut 1748, empor. Ein prächtiger Altar umschließt das Gnadenbild. Infos dazu gibt es auch unter www.diozese-linz.at/linz-poestlingberg.
Der Dom in Linz ist die größte Kirche in Österreich
Wieder unten ist eine Stärkung fällig, natürlich ein Stück Linzer Torte. Die ist seit 1696 bekannt und damit die älteste Torte der Welt. In der „Konditorei Jindrak" von 1929, Herrenstraße 22-24, wo es viele kleine Imbisse und Boutiquen gibt – wird sie täglich frisch gebacken und auch in alle Welt verschickt.
Bei Jindrak lässt es sich auch lernen, wie sie originalgetreu gebacken wird. Chef Leo Jindrak hat das Rezept ins Internet gestellt und wünscht gutes Gelingen. Solch eine leckere Kalorienbombe stärkt nun für den leichten Anstieg zum Schloss, einst Burgbau von 799. Dem verpasste das Grazer Architekturbüro HoG Architektur einen neuen gläsernen Südflügel als Ersatz für den 1800 abgebrannten Vorgänger. In dieser Stahl-Glas-Konstruktion befindet sich das Schlossmuseum. Schön ist auch der Blick vom Schlosshügel auf die Altstadt, der dazu reizt, den Hauptplatz mit der Dreifaltigkeitssäule und dem Alten Rathaus genauer zu betrachten. Der zeigt sich insgesamt als Barockwunder. Unter großen Sonnenschirmen pausieren hier die Linzer und ihre Gäste. „Alle diese Barockbauten entstanden in der Gegenreformation, also im 17. Jahrhundert, und waren eine Antwort auf Martin Luthers Reformation, die in Linz viele Anhänger gefunden hatte", erklärt Tourismusdirektor Prof. Georg Steiner, ein Bayer aus Passau. „Mit einer genialen PR-Aktion, erdacht von den Jesuiten, hat die katholische Kirche der protestantischen Schlichtheit entgegengewirkt. Den Menschen sollten nicht erst nach strengem Leben und Tod die himmlischen Freuden zuteil werden, sondern schon zu Lebzeiten, propagierten die Jesuiten. „Durch schöne Bauten, prunkvoll ausgestattete Kirchen, durch Prozessionen und prächtige Messfeiern mit Farben und Musik sollten die Protestanten zurückgewonnen werden", so Steiner. Das funktionierte, aber nicht ohne zusätzliche Erziehungs- und Zwangsmaßnahmen, sei dazu angemerkt. Von denen verraten die Barockbauten keine Silbe, auch nicht der Alte Dom, die ehemalige Jesuitenkirche mit ihren markanten Türmen. Die enthält auch die Brucknerorgel, auf der Anton Bruckner 13 Jahre lang als Organist spielte. Erst später wurde er auch als Komponist allgemein anerkannt. „Diese Orgel war seine Lieblingsorgel", sagt Stadtführerin Silvia Mayr-Pranzeneder und geht weiter zum riesigen neogotischen Mariendom, dessen Bau Bischof Franz Joseph Rudigier 1855 veranlasste. „Ein Dom für 20.000 Gläubige, obwohl Linz damals nur 23.000 Einwohner hatte", weiß die Stadtführerin. „Vermutlich wollte er sich damit selbst ein Denkmal setzen", fügt sie hinzu, doch das dauerte. Erst 1924 wurde der neue Dom, die größte Kirche Österreichs, von Rudigiers Nachfolger geweiht und erst 1935 fertiggestellt. Sein hohes gotisch inspiriertes Langschiff imponiert durchaus, doch fast noch mehr interessiert ein Modell der Türmerstube. Die wurde im Zweiten Weltkrieg in 68 Meter Höhe, vielleicht zu Beobachtungszwecken, in den Turm eingebaut. Seit dem Kulturhauptstadtjahr 2009 kann sie für eine Woche gebucht werden. Dieser acht Quadratmeter kleine Rückzugsort ohne Radio, Fernsehen und PC – aber mit Wasser, Toilette, Heizung und Kochnische – ist ständig gefragt, obwohl der Einsiedler oder die Einsiedlerin täglich 395 Stufen zum Mittagsgebet hinuntersteigen und nach einer warmen Mahlzeit wieder hinaufsteigen muss. Für Stillesuchende ist das dennoch ein Paradies. Ins Paradies will auch, wie anfangs erwähnt, der auf 2021 verschobene „Höhenrausch" die Menschen führen. Aber nicht in eines weit in der Zukunft, sondern in ein jetziges, jederzeit abrufbares und genießbares. Falls das im nächsten Jahr gelingt, brächte der Linzer Höhenrausch vielen das Paradies auf Erden.