Fluoride gelten längst als wichtigster Baustein zur Kariesvorbeugung. Doch zu viel davon kann speziell bei Kindern zu einer Fluorose führen, deren Entstehung erstmals wissenschaftlich untersucht wurde.
Fluoride stärken den Zahnschmelz und führen dadurch langfristig zu einer Verringerung von Karies-erkrankungen. Daher ist es auch kein Wunder, dass in der Zahnmedizin die Fluorid-Verbindungen, die zu den wissenschaftlich bestens untersuchten Substanzen zählen, als Schlüssel zum Erfolg in der Karies-Prävention angesehen werden. Allerdings kommt es immer auf die Menge an. Eine Überdosis des Minerals, das inzwischen in den meisten Zahnpasten enthalten ist, kann die Zähne schädigen und bei Kindern während der bis zum sechsten Lebensjahr anhaltenden Phase der Bildung des Zahnschmelzes eine sogenannte Zahnfluorose hervorrufen. Letztere ist zwar später hauptsächlich ein kosmetisches Problem, weil sich dabei unschön-dauerhafte bräunlich-gelbliche Flecken, feine weiße Linien beziehungsweise wolkig-weißliche Areale oder auch raue Oberflächen auf den Beißern bilden. Gesprenkelte Zähne, im Englischen „mottled teeth" oder „mottling teeth" genannt, möchte natürlich niemand haben, auch wenn sie durch diverse Behandlungen wie Kunststoffeinlagerungen oder vorsichtiges Abschleifen einigermaßen behoben werden können.
Bei einer ausgeprägten Fluorose kann der Zahn sogar anfälliger gegen eine Karieserkrankung werden. Das hatte ein Forscherteam um Francisco Aulestia vom New York University College of Dentistry in einer aktuellen Studie herausgefunden und im Fachmagazin „Science Signaling" veröffentlicht. Dass ein Zuviel an Fluorid die Zähne schädigen kann, ist schon länger in der Forschung bekannt. Nur konnte man sich bisher nicht die genauen Prozesse erklären, die durch Fluorid-Überdosen im Zahnschmelz, dem sichtbaren Teil des Zahnes, ablaufen.
Letzterer ist zwar das härteste Material im menschlichen Organismus, was aber nicht automatisch bedeutet, dass der Zahnschmelz eine undurchdringliche Front darstellt. Es handelt sich bei ihm um ein mikrofeines Gitter aus Kristall (Hydroxylapatit) mit eingelagerten Stoffen, hauptsächlich Kalzium und Phosphat, aber auch Magnesium oder Natrium. Dieses Gitter ist durchaus anfällig gegenüber Säuren, vor allem der Milchsäure, die bei der Nahrungszerkleinerung im Mund samt Aufspaltung der Kohlenhydrate durch Bakterien wie Lactobazillen oder Streptokokkenarten freigesetzt werden, die die Zähne in einem Plaque genannten Biofilm umgeben. Zur Neutralisierung der Säure werden aus dem Zahnschmelz im Zuge der sogenannten Demineralisation vor allem Kalzium und Phosphat herausgespült. Die im Schmelzgitter dadurch entstehenden offenen Stellen sind ein potentzielles Einfalltor für Bakterien. Diese können mit ihren Stoffwechselprodukten den Zahn aushöhlen und Karies ausbilden. Bei perfekter Mundhygiene und gesunden Zähnen werden diese offenen Stellen aber im Zuge der sogenannten Remineralisation gleich wieder gestopft, indem der Zahnschmelz die zuvor abgegebenen Mineralien Kalzium und Phosphat aus dem Speichel schwammartig wieder aufnimmt. Im Idealfall gibt es ein Gleichgewicht zwischen De- und Remineralisation. Wenn die Demineralisation dauerhaft überwiegt, ist der Weg frei für Karies. Zur Verbesserung der Remineralisation haben sich die Fluoride längst als patentes Mittel erwiesen. Denn sie helfen nachweislich dabei, die Kalziumphosphate schneller wieder in das Gitter einzubauen und können sich zudem selbst im Zahnschmelz einlagern.
Kinderzahnpasta bis zur Schulzeit
In Deutschland ist die Ausbildung der Zahnfluorose bei Kindern zahlenmäßig kein so großes Problem. Laut Schätzung des Zahnmediziners Prof. Stefan Zimmer von der Universität Witten/Herdecke sind davon nur „gut 1,5 Prozent" der Kinder betroffen. Ganz anders sieht es diesbezüglich beispielsweise in vielen anderen Industrieländern aus, wo etwa ein Viertel aller Kinder Zahnfluorose aufweisen, in den USA liegt der Wert sogar bei etwa 30 Prozent. Das kann hauptsächlich damit erklärt werden, dass das Trinkwasser in Staaten wie den USA, Australien, Großbritannien oder auch der Schweiz mit Fluorid angereichert ist (in der Bundesrepublik, einem Fluorid-Mangelgebiet, gesetzlich verboten, weil hier das Trinkwasser frei von Zusatzstoffen bleiben soll) und dass Kinderzahnpasten häufig einen deutlich höheren Fluorid-Gehalt aufweisen.
Das machte es für die US-Forscher rund um Francisco Aulestia umso interessanter, die genauen Abläufe bei der Entstehung einer Fluorose zu ergründen, weil „es angesichts der Häufigkeit dentaler Fluorose und des geringen Wissens über die dahinterstehenden zellulären Mechanismen wichtig ist, dieses Problem genauer zu erforschen." Für ihre Studie nutzten sie Ratten und führten deren zahnschmelzproduzierende Zellen namens Ameloblasten erhöhte Natriumfluorid-Dosierungen zu. Dadurch wurde der Kalzium-Haushalt und der Kalzium-Stoffwechsel der Zellen gestört. Konkret konnte eine Verringerung der Aufnahme und Speicherung von Kalzium im sogenannten endoplasmatischen Retikulum nachgewiesen werden, jenem Zellbereich, der neben der Kalzium-Speicherung auch wichtige Funktionen im Zellstoffwechsel übernimmt. Genau in diesem Bereich konnte eine gesteigerte Aktivität von Stressreaktionen registriert werden. Und auch die Energie-Produktion in den Mitochondrien, den Zellkraftwerken, zeigte sich durch die Fluorid-Überdosis negativ beeinträchtigt. „Zellen, die zu viel Fluorid aufnehmen", so Studien-Co-Autor Rodrigo Lacruz, „leiden also unter dauerhaftem Stress und können Kalzium nicht mehr verarbeiten. Dies verringert die Herstellung der Schmelzkristalle und somit auch die Bildung des kalziumhaltigen Zahnschmelzes." Bei testweiser Ersetzung des Natriumfluorids durch Natriumchlorid oder Natriumbromid, zwei chemisch ähnliche Verbindungen, konnten hingegen keinerlei Störungen des Kalziumhaushalts hervorgerufen werden. Das bestätigt laut den US-Forschern klar, dass „tatsächlich das Fluorid die Zahnfluorosen auslöst".
Fluorid gelangt in vergleichsweise geringen Mengen auch über die Nahrung in den Körper. Spuren des Minerals finden sich beispielsweise in Nüssen, Vollkornprodukten, Seefischen oder schwarzem und grünem Tee. Fluoridiertes Speisesalz nicht zu vergessen. Auch manche Mineralwasser-Sorten sind mit Fluorid angereichert. Unbestritten ist die karieshemmende Wirkung fluoridierter Zahnpasta. Daher wird im deutschen Gesundheitswesen für Säuglinge und Kleinkinder ab etwa sechs Monaten der Einsatz entsprechender Kinderzahnpasta empfohlen. Um das Risiko einer Fluorose zu begrenzen, wird bis zum Schulalter die Verwendung einer Zahnpasta mit 500 ppm Fluorid angeraten, erst danach sollten Tuben mit einem Fluoridgehalt von 1.000 ppm zum Einsatz kommen. Speziell für Kinder gibt es Fluorid-Tabletten, wobei Experten aus Zahnmedizin und Kinderheilkunde geteilter Meinung sind über deren sinnvollen Nutzen. Während die kindermedizinischen Fachgesellschaften bereits für die Reifephase der Zähne und darüber hinaus für die ersten Lebensjahre eine innere Anwendung in Form von Fluoridtabletten empfehlen, präferiert die Kinderzahlheilkunde die äußere Anwendung mittels fluoridhaltiger Zahnpasta vom Durchbruch des ersten Zähnchens an. Neben Zahnpasten gibt es auch Gele und Mundwasser mit Fluorid. Zudem besteht die Möglichkeit, die Zähne in der Praxis mit einer Fluorid-Lackierung überziehen zu lassen.