Demonstranten fordern den Kohleausstieg bei der Wärmeversorgung Berlins. Doch vor allem stören sie die Gas-Pläne von Vattenfall und Senat.
Angesichts der Corona-Demos am Wochenende wäre diese fast untergegangen: Am letzten August-Wochenende demonstrierten ein paar Dutzend Aktivisten in Schlauchbooten auf der Havel gegen Kohle und Gas. „Stoppt Kohle, Gas und Müll! Erneuerbar geht anders", lautete ihre Forderung. Drei Tage vorher hatten sie ihren Katalog dem Berliner Regierenden Michael Müller präsentieren wollen, der allerdings keine Zeit hatte. Bereits Anfang August war eine andere Gruppe mit dem Namen „Direkte Aktion Berlin" auf das Gelände eines Heizkraftwerkes in Berlin eingedrungen, um gegen die dortige Kohleverbrennung zu protestieren.
Der Ort der Demo war mit Bedacht gewählt: In Sichtweite der Schlauchboote ragen Schornstein und Kühlturm des noch vor dem Mauerfall errichteten Kraftwerks Reuter West in den Himmel. Es erzeugt neben Strom auch Wärme, also heißes Wasser, das Haushalte mit Energie für Heizung und Dusche versorgt. Insgesamt bekommen über eine Million Berliner Haushalte ihre Heizenergie auf diese praktische Form ins Haus geliefert. Das ist eigentlich wirtschaftlich sinnvoll und auch ziemlich umweltfreundlich.
Allerdings muss die Wärme in riesigen Heizkraftwerken erst erzeugt werden, und dafür wird bislang immer noch die klimaschädliche Steinkohle verfeuert. Das ist das eine Problem, denn der Kohleausstieg ist in Deutschland beschlossene Sache. „Wir wollen raus aus der Kohle", sagt auch Tanja Wielgoß, die Vorstandsvorsitzende der Vattenfall Wärme AG. Allerdings nicht sofort. Bis 2030 will der schwedische Versorger aus der Kohle aussteigen. Als Ersatz dafür will er ein Gaskraftwerk bauen, das ebenfalls Strom und Wärme erzeugen wird.
Ist Erdgas wirklich besser als Kohle?
Aber ist Gas wirklich besser als Kohle? Das ist der eigentliche Konflikt, denn die Kohle verteidigt inzwischen niemand mehr ernsthaft. Zwar werden bei Erdgas für die gleiche Energiemenge etwa 40 Prozent weniger CO2 freigesetzt als bei Steinkohle, aber gemessen an dem Ziel ganz ohne CO2 auszukommen, ist das immer noch zu wenig. Ob Erdgas aus Klimaschutzsicht akzeptabel ist oder nicht, ist die große Zukunftsfrage der deutschen Energiepolitik. Bundeswirtschafts- und Energieminister Peter Altmaier setzt voll auf Gas. In Kürze soll mit Nord Stream 2 sogar noch mal eine Gaspipeline aus Russland fertiggestellt werden – wenn ihre Gegner es nicht noch schaffen, sie in letzter Minute zu torpedieren.
Klimaexperten erinnern zusätzlich an das bei der Gasförderung frei werdende Erdgas, chemisch Methan, das das Klima noch viel mehr belastet als verbrannte Kohle. Auch Vattenfall und der Berliner Senat sehen Erdgas nur als Übergangslösung. Vattenfall ist ohnehin in einer tiefen Transformation. Da es um große Investitionen geht, die politische Rückendeckung brauchen, spricht Vattenfall seine Strategie eng mit dem Berliner Senat, insbesondere der Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne), ab. Das hat bislang immer gut funktioniert. Schon 2009 hat Vattenfall mit Berlin ein Klimaabkommen geschlossen, das es bislang übererfüllt hat, sagt der Pressesprecher. Doch das Ziel für die Zukunft ist sehr viel schwieriger: Vattenfall will innerhalb einer Generation ein fossilfreies Leben ermöglichen und in Berlin spätestens 2030 aus der Steinkohlenutzung aussteigen. Aber schon 2035 auf die Nutzung von Gas, wie die Klimaschützer es fordern, zu verzichten, funktioniere noch nicht, so der Pressesprecher. Immerhin soll das dafür neu erbaute Kraftwerk „wasserstofffähig" sein. Wenn Wasserstoff irgendwann mal grün erzeugt und wirtschaftlich verfügbar werden sollte, kann man schnell darauf umstellen.
Gemeinsam gegen alte Ölkessel
Dabei sind sich Vattenfall und die Klimaaktivisten in vielen Dingen einig: Alle sehen kritisch auf die vielen alten Ölkessel in den Kellern von etwa einem Viertel der Berliner Haushalte. Die müssen irgendwann ausgetauscht werden. Als Ersatz bietet Fernwärme, bei der Stromerzeugung und Wärme kombiniert wird, viele Vorteile, da sind sich alle einig, Vattenfall und die Klimaaktivisten.
„Wir leisten von allen Akteuren in Berlin den größten Einzelbeitrag zum Klimaschutz: Wir werden die CO2-Emissionen der Stadt durch den Umbau unseres Erzeugungsportfolios um ein Drittel reduzieren. Wir wollen mehr Energie beispielsweise aus Müllverbrennung, Biomasse und mehr industrieller Abwärme nutzen. Aber die Potenziale für Solarthermie und Wärmepumpen sind in Berlin insbesondere für den Bestand an Mietwohnungen nun einmal begrenzt. Darum wird es ohne Erdgas für eine Übergangszeit nicht gehen", sagt der Sprecher von Vattenfall.
Was wären die Alternativen zum umstrittenen Erdgas? Anders als in München kommt in Berlin keine Geothermie infrage – also Wärme aus den Tiefen der Erde. Man könnte mehr Biomasse, also Holz aus Brandenburger Wäldern oder Plantagen verbrennen, wie es bereits teilweise geschieht. Das ist allerdings auch nur begrenzt möglich und sinnvoll. Man könnte auch Sonnenwärme ins Netz einspeisen, wie es in Dänemark praktiziert wird. Das kann allerdings nur eine Ergänzung sein und man bräuchte riesige Flächen in der Stadt, um die nötige Sonnenenergie einzufangen. Die aber hat Berlin nicht.