Capannori in der Toskana war 2007 die erste Stadt in Europa, die das Ziel „Zero Waste City" anstrebte. Dank geschickter Maßnahmen hat sich die Abfallmenge seitdem deutlich reduziert, gleichzeitig ist die Recyclingquote gestiegen. Generell ist Italien ein Vorreiter auf dem Gebiet der Müllvermeidung.
Capannori in der Toskana, 46.000 Einwohner, Partnerstadt der saarländischen Gemeinde Losheim am See. Eine beschauliche Kleinstadt, deren größte Attraktionen bislang ein paar historische Villen, ein Aquädukt sowie die sogenannte Pinocchio-Eiche waren, angeblich Schauplatz des gleichnamigen Märchens. In jüngster Zeit kommen aber immer mehr Besucher aus ganz anderen Gründen, nämlich um sich über das spezielle Müllvermeidungskonzept der Stadt zu informieren. 2007 hat sich Capannori als erste „Zero Waste City" Europas vorgenommen, den Restmüll mehr und mehr zu reduzieren und die Recyclingquoten deutlich zu erhöhen.
Die Zahlen sind beeindruckend: Binnen weniger Jahre hat sich die Abfallmenge pro Kopf um rund 40 Prozent reduziert, beim Restmüll sogar um knapp 60 Prozent; die Recyclingrate stieg im selben Zeitraum von anfangs 39 Prozent auf jetzt 92 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie laut Umweltbundesamt bei etwa 70 Prozent.
„Wir haben uns 2007 dafür entschieden, eine „Zero Waste City" zu werden, weil wir die Bedeutung des Umweltproblems verstanden haben, um den Bürgern eine hohe Lebensqualität zu sichern", erklärt Bürgermeister Luca Menesini. Schon damals stand die Bevölkerung geschlossen dahinter – die Entscheidung im Gemeinderat fiel einstimmig aus. In den Jahren zuvor hatten die Bürger erfolgreich gegen den geplanten Bau zweier Müllverbrennungsanlagen in Capannori protestiert. Eine davon sollte direkt neben der Grundschule entstehen. Es war vor allem der damalige Grundschullehrer Rossano Ercolini, der sich über die gesundheitsschädigenden Wirkungen Gedanken machte und das Thema damit überhaupt erst auf die örtliche Agenda setzte. Nachdem der Bau der Anlagen vom Tisch war, packte man das Müllproblem an der Wurzel. Fortan ging es nicht mehr nur darum, wie der Müll entsorgt werden soll. Vielmehr sollte er am besten gar nicht erst entstehen.
Wer weniger Abfall macht, zahlt weniger
Mittlerweile ist Rossano Ercolini Leiter des ersten „Zero Waste"-Research-Centers Europas in Capannori. Überhaupt ist ausgerechnet Italien ein Vorreiter auf diesem Gebiet. Knapp 300 Städte und Gemeinden haben sich dort dem „Zero Waste"-Prinzip – zu Deutsch: Null Abfall – verschrieben, mehr als irgendwo sonst auf dem Kontinent. Sogar eine Millionenstadt wie Neapel ist dabei. Insgesamt leben inzwischen rund sechs Millionen Italiener in einer „Zero-Waste"-Gemeinde, ein Zehntel der Bevölkerung. Die Bewegung ist im ganzen Land unter dem Namen „Ambiente e Futuro" (Umwelt und Zukunft) bekannt.
Das Bild, das viele Deutsche auf diesem Gebiet bis heute von Italien haben – überquellende Müllberge und illegale Deponien –, ist mittlerweile längst überholt. In Capannori hat das Thema Müllvermeidung einen so hohen Stellenwert, dass es selbst in der Corona-Pandemie und in Zeiten steigender Kosten und sinkender Einnahmen für die Kommunen nicht zur Disposition steht.
„Das ‚Zero Waste‘-Projekt ist ein unverzichtbares Projekt. Heute ist es Teil von Capannori und bleibt daher eine Priorität für die Stadt", sagt Bürgermeister Menesini. „Die Covid-19-Pandemie hat uns gezeigt, dass wir die Umwelt noch stärker schützen müssen. Aktuell sind die Menschen vor allem besorgt über gesundheitliche und wirtschaftliche Aspekte. Aber in Capannori wissen wir, dass die Umwelt – sobald diese Notlage überstanden ist – noch zentraler ist."
Jeder zehnte Italiener minimiert seinen Müll
Die konkreten Maßnahmen, welche die Stadt seit 2007 unternommen hat, zielen allesamt darauf ab, die Müllflut zu stoppen. „Aber nicht, indem die Abfälle verbrannt oder deponiert, sondern Verfahren und Systeme entwickelt werden, die von vornherein keinen Abfall erzeugen. Der Kampf gegen die Plastikvermüllung setzt ganz vorne an: Einwegprodukte sollen abgeschafft und alternative Vertriebssysteme gefördert werden. Aber es geht auch darum, ein neues Interesse für einen abfallfreien Lebensstil zu wecken", heißt es dazu in einem Kapitel des „Plastikatlas 2019", einem Kooperationsprojekt von der Heinrich-Böll-Stiftung sowie dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, in dem die italienische Gemeinde als leuchtendes Beispiel genannt wird. Anstatt den Müll in große Tonnen zu werfen, wird er in Capannori persönlich an der Haustür abgeholt. Die Kommune verteilt dafür kostenlose Mülltüten, die jeweils mit einem Mikrochip versehen sind und beim Abholen gewogen werden. So kann exakt ermittelt werden, wer wie viel wegwirft. Die Gebühren richten sich nach der Abfallmenge: Wer weniger Müll produziert, kommt entsprechend günstiger davon – ein klarer ökonomischer Anreiz. Einige Familien in Capannori kommen auf diese Weise inzwischen mit gerade einmal drei oder vier Restmüllsäcken im Jahr aus.
Die Bewohner bekommen von der Stadt auch einen Komposter für Biomüll gratis gestellt. Über 3.000 Familien nutzen bereits einen in ihrem Garten und bezahlen dadurch ebenfalls weniger Müllgebühren. Die Stadt bezuschusst außerdem waschbare Windeln. Neben diesen finanziellen Anreizen gibt es zwar auch Strafen für diejenigen, die sich nicht an die Regeln halten. „Zum Glück mussten wir aber bislang nicht sanktionieren", sagt Menesini.
In einem sogenannten Wiederverwertungszentrum können die Bürger alte Kleidung, Schuhe, Möbel oder Spielzeug abgeben, die sie nicht mehr benötigen. Diese werden dort repariert und anschließend zu einem niedrigen Preis an Menschen mit geringem Einkommen weiterverkauft. Laut Menesini erfüllt die Einrichtung neben der Müllvermeidung auch eine wichtige soziale Funktion. Im ganzen Gemeindegebiet wurden als weitere Maßnahme 15 öffentliche Trinkbrunnen aufgestellt, an denen sich die Menschen ihr Wasser holen können. Sie machen es überflüssig, Wasser in Plastikflaschen zu kaufen. Auch die meisten Betriebe ziehen mit. Geschäfte und Restaurants setzen die Mülltrennung und Müllvermeidung ebenfalls um und verkaufen zum Beispiel Produkte aus der Region ohne Verpackung. Bei einem Milchbetrieb gibt es die Milch frisch aus dem Zapfhahn. Neben der Umwelt profitiert auch das Unternehmen selbst davon, dass es sich dadurch die Kosten für die Verpackung spart. Das kommunale Budget wird ebenfalls spürbar entlastet, weil die Kosten für den Mülltransport entfallen. „Mülltrennung und Recycling sparen uns bares Geld", sagt Luca Menesini. „Indem wir uns auf die Wiederverwertung konzentrieren, sparen wir die Kosten für den Transfer zu den Anlagen."