Darf’s etwas Bitterorange zum Kaffee oder in der Limo sein? In der Kaffeebar „Pomeranze" von Katharina Herrlich und Marlene Modick gibt’s mitten in Neukölln frisches Essen, coole Getränke und ausgewähltes Zubehör für urbane Mikrogärtner.
Stadt, genauer gesagt Neukölln, trifft auf Pomeranze. Heraus kommt eine urbane Kaffeebar mit Verkauf von Balkonbedarf. Genau gegenüber vom südlichen Ende der Weisestraße ist das Café „Pomeranze" in der Leinestraße zu finden. Insbesondere im Sommer macht es seinem botanischen Namen unübersehbar alle Ehre: Grünpflanzen stehen auf den Außentischen, Bänke umrahmen eine Baumscheibe, und der Stromkasten auf dem Bürgersteig ist eine inoffizielle Tauschbörse für Setzlinge und Pflänzchen.
Die Wespen mischen an diesem warmen Augusttag im Naturspektakel allerdings so nachdrücklich mit, dass wir zum Essen und Trinken lieber ins Innere der Kaffeebar und zu einem Glas mit angezündetem Kaffeepulver verschwinden. So bekommen wir aber auch direkt mit, was die Inhaberinnen Marlene Modick und Katharina Herrlich rund um ihren Tresen tun und treiben. Wir ziehen uns hinter einen Stapel Gemüsekisten an einen Tisch zurück. Ist an diesem ersten Tag nach der Sommerpause eine Riesenlieferung fürs Café angelandet? Zum Teil. Die „Pomeranze" bezieht ihr essbares Grün frisch von der veganen Gärtnerei-Genossenschaft „PlantAge" in Brandenburg. Die „Pomeranze" ist Abholstelle für Gemüsekisten-Abonnenten. Umgekehrt ist das Café auch eine Anlaufstelle für den Kiez: „Wir haben die tollsten Nachbarn", sagt Marlene Modick und weist auf eine Frau, die ein Holzregal zu Katharina Herrlich herüberträgt. „So eines hat uns noch gefehlt", sagt Modick. Ob Pflanzensamen oder ein ökologisches Düngemittel – was zum Konzept passen könnte, wird vorbeigebracht.
Nach dem kurzen Sommerurlaub starteten die Betreiberinnen bescheiden, rechneten nicht mit übermäßig vielen Gästen. Fehlanzeige! Auch am frühen Nachmittag herrscht stetes Kommen und Gehen. „Es ist schön zu merken, wie wir im Kiez angekommen sind", sagt Marlene Modick. Gerade erst vor einem Jahr eröffnet, musste die „Pomeranze" wie alle anderen Lokale in diesem Frühjahr zwangläufig pausieren. Umso erfreulicher und ermutigender war es, dass alle offenkundig sehnsüchtig auf „ihre" „Pomeranze" sowohl nach dem Restart wie auch nach dem Urlaub gewartet haben. Auf eine Tasse Kaffee, die mit Bohnen von der Berliner Rösterei Andraschko zubereitet wird, auf ein Stück Carrot Cake, die diversen Cheesecakes oder den Zitronen-Joghurt-Kuchen, „ein Liebling unserer Gäste."
Eierstulle als herzhafter Klassiker
„Dass wir immer eine volle Vitrine haben, hat sich herumgesprochen", sagt Modick. Im vergangenen Winter gerade auch bei den Spaziergängern vom Tempelhofer Feld, die sich nach dem eisigen Wind um die Nase in der „Pomeranze" gern aufwärmten. Im Sommer gibt’s als kalte Alternative zum Kuchen Eis am Stiel von der Berliner Manufaktur „Paletas". Modick und Herrlich backen sämtliche Kuchen selbst. Die mit eingebackene Liebe und die hochwertigen Zutaten sind deutlich zu schmecken. Ein spitzwinkliges Dreieck vom Schoko-Sponge-Cake mit Frischkäse-Frosting schaut uns mit Johannisbeer- und Blaubeer-Augen an. Wir folgen der Aufforderung, gabeln das vorwitzige Kuchenstück Bissen für Bissen weg, sind wohlig angetan. Ein bis zwei vegane Kuchen sind täglich im Angebot. So wie beispielsweise der Mini-Schoko-Gugelhupf mit Erdnuss-Frosting. Er ist schokoladig und saftig, die Creme vollmundig. Unser Geschmacksgedächtnis ruft die Vorfreude auf diese typisch amerikanische Aromen-Kombi ebenso zuverlässig ab wie der Gugelhupf sie erfüllt.
Ein Stück Kuchen kostet zwischen 2,50 und 3,50 Euro, ein Cappuccino 2,80 Euro, eine herzhafte Bowl 7,50 Euro. „Wir wollen das alles sozialverträglich halten", sagt Katharina Herrlich. Obwohl beliebt, sei dieser Kiez noch gemischt und nicht durchgentrifiziert. Das dürfe bei den Gästen der „Pomeranze" ebenfalls gern so bleiben, finden die Betreiberinnen.
Der hauseigene herzhafte Klassiker ist die Eierstulle für sechs Euro. Auf frischem, dicken Sauerteigbrot strahlen uns knackige Salatblätter und zwei hartgekochte Bio-Freilandeier auf aromatischer Miso-Butter an. Der Salat ist mit etwas Vinaigrette und Schnittlauch angemacht. Eine propere Rispe roter Johannisbeeren schmückt ihn. Das Obst und Gemüse, das der „PlantAge"-Kiste jede Woche neu entspringt, wird im Café je nach Angebot verarbeitet. Die saisonale Schale vereint bei unserem Besuch angeschmorte violette Karotten, Rote Bete, Feta, Zucchini, Radieschen und Johannisbeeren in sich. Getreidige Grundlage ist ein Bio-Dinkel, den die veganen Gärtner ebenfalls anbauen. Gemüse und Früchte verbindet eine Vinaigrette. Ich schätze sehr, dass die Bowl nicht so trocken wie andernorts daherkommt. Außerdem stehen die einzelnen Komponenten im richtigen Verhältnis zueinander: zwei Drittel Gemüse, ein Drittel Getreide und Käse. Gemüsigkeit dominiert die Sattmacher und nicht umgekehrt.
Den Vogel in Sachen Yummigkeit und Wohlfühlen schießt das hauseigene Grilled Cheese-Sandwich ab. Hallo Gouda, hallo Bergkäse! Schön, dass ihr uns entgegenlauft! Die Stullen-Hälften machen schon beim Anschauen von Grillrauten-Abdruck und Käsezungen Lust aufs Reinbeißen. Wer Messer und Gabel benutzt, kann gleich einen Tick Grüne-Tomaten-Chutney dazu gabeln. Das orangerote, süßsaure indische Kompott hebt den Käse perfekt hervor. „Das Chutney wurde beim Kochen lustigerweise rot", sagt Modick.
Wir trinken hausgemachte Limos zum Essen: eine Holunderblüten-Limo mit dekorativ herumschwimmenden Blaubeerkugeln. Eine rote Basilikum-Limo in ihrer Karaffe dagegen ist ein Chamäleon: „Aus violettem Basilikum entsteht ein blauer Sud." Mit Zitronensaft versetzt wechselt er bei der Limowerdung erneut die Farbe zu Rot. Erstaunlich! Mein Liebling ist die Variante mit Pomeranze. Sie führt farblos-transparent und mit Zitronenscheiben optisch auf eine halbfalsche Fährte. Es wird zwar zitrisch, aber auch etwas herb im Mund. „Unsere Erwachsenenlimo!" Sie wurde mit der namensgebenden Pomeranze angesetzt. Die Bitterorange ist eine Kreuzung aus Grapefruit und Mandarine und hat weniger Säure und Lieblichkeit als ihre bekannteren Zitrusschwestern. Das macht sich an diesem ziemlich warmen Tag sehr angenehm erfrischend bemerkbar.
Nachhaltigkeit wie in Omas Küche
Wir haben uns teils durch die Frühstücks-, teils durch die Tageskarte hindurchgegessen. Sie wird samstags und sonntags durch ein „Wochenendspezial", ein Omelette aus Bio-Freilandeiern mit Käse, geröstetem Gemüse und einem kleinen Salat, ergänzt. Am Wochenende dürfen sich ebenfalls viele Früchtchen in einem Kompott zu „Armen Rittern" versammeln. Ein laut Karte „international geliebtes Restessen" aus gebratenen Brotscheiben, das um Joghurt ergänzt wird.Ein weiteres „Rumfort"-Essen ist der „Obstmichel": In ihm wird altbackenes Brot verarbeitet. Dazu werden frisches Obst und hausgemachte Vanillesauce gereicht. Das ist die Nachhaltigkeit wie sie schon Omas sparsame Hausfrauen-Küche kannte. Nun feiert sie als „French Toast" und „Breadpudding" mit den „Remains of the Day" ihr internationales, wohlverdientes Revival.
Nach all dem Essen und Trinken ist es dringend an der Zeit, einen Blick in den hinteren Gastraum zu werfen. Ausgewählte, schöne und nachhaltige Dinge rund ums Balkongärtnern warten darauf, angeschaut und gekauft zu werden: Pflanztaschen aus recycelten PET-Flaschen, Kokosfaser-Ziegel und kleine Gartenwerkzeuge. Töpfe von einer Berliner Künstlerin und Bio-Saatgut. Ich bin angetan vom Fokus aufs Balkongärtnern. „Wenn du Tomaten oder Gurken selbst pflanzt, siehst du erst, welchen Aufwand du treiben musst", sagt Katharina Herrlich.
Wer nicht bei „PlantAge", in den Gemeinschaftsgärten auf dem Tempelhofer Feld oder bei der Neuköllner „Prachttomate" mitmacht, bekommt meist in den Kästen und Töpfen vor den eigenen vier Wänden einen ersten Einblick in das Aufwachsen und Werden des eigenen Essens. Herrlich und Modick waren mit ihrem Balkon-Angebot der Corona-Zeit und dem gestiegenen Bedarf voraus. „Jeder hat jetzt mehr Zeit, um etwas mit seinem Balkon und Pflanzen zu machen", sagt Katharina Herrlich. Die Lust aufs eigene Grün vor der Nase ist ungebrochen, ebenso wie die wieder stillbare Sehnsucht nach gutem Kaffee, Kuchen und Herzhaftem in angenehmer und charmanter Umgebung außerhalb der eigenen vier Wände.