Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, das sich gewöhnlich schwer tut, neue Gewohnheiten zu lernen. In jungen Jahren habe ich so was als spießig-langweilig gebrandmarkt. Das hat sich nicht grundsätzlich geändert, auch wenn ich praktische Vorteile verlässlicher Gewohnheiten zu schätzen weiß.
Die letzte Zeit war eine Dauerübung zur Aneignung neuer Gewohnheiten, mal aus Einsicht, mal gezwungenermaßen. Mich im Restaurant und vor dem Gottesdienst outen zu müssen, war ungewohnt, aber schnell Routineübung. Ein bisschen antiquiert aus der Zeit gefallen, mit Kugelschreiber und Zetteln aus Papier. In anderen Regionen der Welt läuft das mit Smartphone – und wenig Besorgnis um derartige Erfassungen.
China kennt ein digitales Punktesystem für soziales Wohlverhalten. Eine Art Sozial-Schufa, meinen Experten. Der Punktestand entscheidet etwa über einen Kredit. Übertragen eine grauselige Vorstellung: Restaurantbesuch mit zwei Glas Wein gibt ein Minus, Gottesdienstbesuch ein Plus, alles wieder okay. Zugegeben, der Aufwand wäre beim Abgleich der handausgefüllten Registrierungsbögen etwas aufwendig.
Ob das saarländische Verfassungsgericht Derartiges vor Augen hatte, weiß ich nicht. Aber sein Urteil war deutlich. Wenn schon einschneidende Maßnahmen notwendig erscheinen, muss das in öffentlicher und transparenter Debatte geklärt und per Gesetz geregelt werden. Einfach mal verordnen ist nicht. Debatte heißt, es muss sehr gute Gründe geben, und die möglichen Folgen müssen geklärt werden.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.
Natürlich ist die Kritik berechtigt, dass es zu dieser Erkenntnis erst das höchste Gericht brauchte. Umgekehrt: Das Korrektiv der dritten Gewalt im Staat funktioniert.
Wer das Urteil begrüßt, darf nicht klagen, wenn jetzt genau das passiert, was gefordert ist: eine öffentliche Debatte. Die einen wollen möglichst wenig in ein Gesetz schreiben, was dem Verordnungsweg mehr offenließe. Andere wollen möglichst umfassende Klarheiten, was flexible Antworten auf sich ständig ändernde Verhältnisse einschränken würde. Eine anspruchsvolle Aufgabe, bei der es um mehr geht als „nur" um ein Gesetz. Es geht um Vertrauen in das zuletzt so gerne selbst zitierte „gute Regierungshandeln".