Das erste Jahr an der Spitze des Saarbrücker Rathauses hat sich Uwe Conradt sicher anders vorgestellt. Die Pandemie hat auch in der saarländischen Landeshauptstadt einiges verändert. Am großen Ziel, die magische 200.000-Einwohner-Grenze zu erreichen, hält der OB unvermindert fest.
Herr Conradt, Sie haben im Oktober ein wahrlich schwieriges Amt in einer krisengeschüttelten Stadt übernommen, dann kam Corona. Kommen Sie aus dem Krisenmodus überhaupt noch heraus?
Katastrophenschutz und Krisenmanagement haben seit Beginn der Pandemie gut funktioniert. Sicherheit und Ordnung waren jederzeit gewährleistet, kritische Infrastruktur und systemrelevante Verwaltung haben funktioniert. Trotz Einschränkungen waren wir für die Bürgerinnen und Bürger da.
Ein Grund dafür war sicherlich die gute Kommunikation im Krisenstab untereinander. Wir haben uns regelmäßig unter allen Bürgermeistern im Regionalverband sowie mit den Verantwortlichen der systemrelevanten Bereiche wie Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, Stadtwerke et cetera ausgetauscht.
Innerhalb weniger Tage ist es uns gelungen, für rund 1.400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Verwaltung Kapazitäten für Homeoffice-Arbeitsplätze zu schaffen. Im Mai haben wir die Rückkehr zur Normalität gestartet und die Mitarbeiter unter Einhaltung strenger Hygienevorschriften sukzessive zurückgeholt. Außerdem wurden viele Hilfen und digitale Vereinfachungen für die Bürger auf den Weg gebracht. Inzwischen steht der Krisenstab auf „Standby" und ich hoffe, dass das so bleibt.
Die Frage ist aber, was von diesen digitalen Vereinfachungen nach der Krise übrig bleibt?
Zweifelsohne hat Corona einen Digitalisierungsschub in der Verwaltung ausgelöst. Das Arbeiten von zu Hause aus oder die Nutzung neuer Kommunikationskanäle wie Whatsapp für Mitarbeiter zählen genauso dazu wie zahlreiche Online-Angebote für die Bürger. Als Beispiele nenne ich Online-Terminbuchungen, Kfz-Wiederzulassung oder -abmeldung, Termine für Urkundenabholungen oder Kirchenaustritte. Wir werden das digitale Rad sicher nicht zurückdrehen, im Gegenteil: Zeitaufwendige Großprojekte wie die digitale Bauakte werden Einzug halten und die Verwaltung modernisieren.
Corona stellt derzeit alles andere in den Schatten. Was ist aus den vielen „kleineren" Krisen der Landeshauptstadt geworden, ob nun Stadion, Feuerwehr, Maschinenbaufirma Woll …?
Die Verwaltung hat an allen Themen in der Corona-Krise weitergearbeitet, wenn auch für den einzelnen Bürger vielleicht nicht immer so sichtbar. Das Thema Feuerwehr ist längst erledigt, der Dauerbrenner „Ludwigspark" ist auf einem guten Weg, und ich bin überzeugt, dass noch in diesem Jahr dort Fußball gespielt werden kann. Das Thema Erweiterung des Maschinenbauunternehmens Woll in Gersweiler liegt mir sehr am Herzen. Es ist auch als Zeichen an die mittelständische Wirtschaft zu verstehen, dass wir alles dafür tun, diese Unternehmen in Saarbrücken zu halten und zu unterstützen. Die angestrebte Lösung wird noch einmal auf der Agenda des Stadtrats stehen. Wichtig ist, dass Wertschöpfung hier bei uns generiert wird. Beschäftigung zu schaffen ist die beste Option, um Arbeitslosigkeit und Armut vorzubeugen. Wir werden um jedes Unternehmen kämpfen. Dass es sich lohnt, zeigt die Rettung des Erlebnisbads Calypso.
Die Einwohnerzahl Saarbrückens schrumpft und das seit vielen Jahren. Wie soll die Stadt je wieder über 200.000 Einwohner kommen?
Das ist ein langfristiges Ziel meiner zehnjährigen Amtszeit. Im Durchschnitt verzeichnet Saarbrücken jedes Jahr etwa 13.000 Zugänge, demgegenüber stehen allerdings auch rund 13.000 Abgänge. Tatsächlich ist das Saldo von Geburten- und Sterberate negativ, sodass wir seit vielen Jahren eine sinkende Einwohnerzahl verzeichnen. Uns muss es gelingen, die Zugänge um mindestens fünf Prozent zu erhöhen und die Abgänge um mindestens fünf Prozent zu reduzieren. Dann können wir unser Ziel erreichen, zumal Saarbrücken als größte Stadt der Großregion und Oberzentrum an der Saar einiges zu bieten hat. Fast 50 Prozent der Stadtfläche besteht aus Wald, es gibt ein reichhaltiges Kultur- und Freizeitangebot, eine Universität mit tollem Ruf und universitärem Forschungsumfeld auf Weltniveau, eine interessante Kreativszene, dazu viele innovative und namhafte Unternehmen und die Nähe zu Frankreich inklusive des französischen Flairs. Da steckt jede Menge Entwicklungspotenzial drin. Aber es gibt leider zu viele Nörgler, die nur die Schattenseiten einer Großstadt sehen. Außerdem müssen wir Saarbrücken besser vermarkten. Im Tourismusbereich machen wir das bereits.
Saarbrücken leidet unter dem motorisierten Individualverkehr und hat nicht gerade die sauberste Luft vorzuweisen. Hier ist doch dringender Handlungsbedarf.
Es ist unbestritten, dass wir mehr für Klima- und Umweltschutz leisten müssen. Die Verkehrspolitik einer Stadt wie Saarbrücken muss aber langfristig betrachtet werden. Wir müssen die Verkehrsströme besser lenken unter Einbeziehung aller Verkehrsmittel. Es geht um ein integriertes Gesamtsystem aus öffentlichem Personennahverkehr mit Bus und Saarbahn, E-Mobilität wie E-Rollern, Fahrrädern auch zum Ausleihen, Fußgängern und eben Autos. Erste Zwischenschritte haben wir erreicht, beispielsweise mit dem Angebot von E-Rollern eines privaten Investors. Bei den Bussen werden wir vier Fahrzeuge auf Wasserstoffantrieb umstellen; die Universität und die Hochschule für Technik und Wirtschaft wollen wir fahrradtechnisch besser verknüpfen; bei der Saarbahn müssen wir aufgrund der langen Vorlaufzeit von sechs bis acht Jahren schon heute die Entscheidung für moderne Ersatzfahrzeuge treffen. All das sind integrierte Maßnahmen für eine nachhaltige Verkehrspolitik und das wohlbemerkt in einer schwierigen finanziellen Situation.
Saarbrücken zählt zu den Städten in Deutschland mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung. Was bleibt an finanziellem Spielraum?
Ich mache keinen Hehl daraus, dass in puncto Finanzlage der Silberstreif am Horizont durch Corona eingetrübt wurde. Unabhängig vom Saarland-Pakt und einem möglichen Fonds zur Tilgung der Altschulden haben wir nicht so viele Stellschrauben. Einnahmen kommen durch die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger. Auf der Ausgabenseite gilt Sparsamkeit mit Augenmaß. Gerade in Krisenzeiten können wir die Menschen und Unternehmen nicht noch mehr belasten, aber wir sollten alles dafür tun, die Unternehmen mit ihren Arbeitsplätzen hier zu halten. Wir brauchen zudem neue innovative Unternehmen, Start-ups in zukunftsorientierten Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Cyber-Sicherheit oder Informatik. Dafür schaffen wir die Voraussetzungen.
Was meinen Sie konkret damit?
Das ehemalige Saarmesse-Gelände ist verkauft, die Verträge sind unterschrieben. Dort entsteht ein hochmodernes urbanes Gewerbequartier mit Büroräumen und Top-Infrastruktur. Der Investor baut selbst und übernimmt die Vermarktung. Eine weitere „Perle" ist die neue City-Ost zwischen Osthafen und Silo, Eastside-Fab und Rhenania-Hochhaus. Dieser urbane Raum bietet hohes Potenzial, verfügt bereits über eine Kreativszene und hat engagierte Mitstreiter.
Ein weiterer Zukunftsbaustein könnte ein Projekt aus dem Bereich Smart City werden. Wir haben uns um ein Förderprogramm in Höhe von 17 Millionen Euro seitens des Bundes beworben. Es geht um die digitale Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den Prozessen der Stadt und ist auf sieben Jahre angelegt. Aber die Konkurrenz ist zugegebenermaßen sehr groß. Von 130 Städten werden fünf ausgewählt.
Nachhaltige Energieversorgung und Glasfaserausbau sind wichtige Grundlagen für eine zukunftsorientierte Stadtentwicklung. Welche Projekte sind konkret geplant?
In Saarbrücken-Gersweiler wird die erste Wasserstofftankstelle des Saarlandes gebaut. Das ist Fakt. Es ist ein wichtiger Baustein, der den Weg einer Zukunftstechnologie ebnet. Beim Zukunftsthema Glasfaser wünschen wir uns natürlich möglichst hohe Bandbreiten für alle Unternehmen und Haushalte. Um den Ausbau unter wirtschaftlichen Aspekten für die Netzbetreiber zu beschleunigen, sind derzeit einige Untersuchungen im Gange. Bis Ende des Jahres könnten durchaus Erfolg versprechende Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Die Zusammenarbeit von Energieunternehmen und Telekommunikationsdienstleistern klingt vielversprechend.
Sie sind auch Präsident des Eurodistricts Saar Moselle. Die deutsch-französische Freundschaft hat aufgrund der Grenzschließungen einige Dellen bekommen. Welche Projekte stehen auf der Agenda?
Der Eurodistrict war in der Corona-Krise eigentlich die funktionsfähige grenzüberschreitende Institution schlechthin. Trotz aller Einschränkungen und Schwierigkeiten wie etwa unterschiedliche Kompetenzen der jeweiligen Kommunen in Frankreich und Deutschland haben wir uns täglich unter den Bürgermeistern dies- und jenseits der Grenze ausgetauscht. Eine noch bessere Vernetzung beim Gesundheitsschutz, Katastrophenschutz und bei der Weiterentwicklung des grenzüberschreitenden Personennahverkehrs steht ganz oben auf der Agenda. Im November werde ich turnusgemäß den ersten Vorsitz abgeben, aber ich bin sicher, dass auch mein französischer Amtsnachfolger diese Themen genauso ambitioniert angehen wird. Eine Grenzschließung, wie wir sie im Frühjahr erlebt haben, darf sich nicht wiederholen.