Das Kurzarbeitergeld ist beliebt, darum wird es nun verlängert. Aber nicht immer erfüllt es seinen Zweck. Es verzögert nötige Entscheidungen und kostet Milliarden.
Hochgelobt und vielfach kopiert: Für die Bundesregierung und viele Ökonomen, für Gewerkschaften und auch viele Arbeitgeber ist das Kurzarbeitergeld das geniale Mittel, die Wunderwaffe, um die Wirtschaft durch die Corona-Krise zu retten. Im Herbst 2021 sind Bundestagswahlen. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit in den Monaten davor ist das Letzte, was die CDU, Olaf Scholz oder Hubertus Heil da brauchen können. Es war daher fast zu erwarten, was die Koalitionsspitzen nun beschlossen haben: Eine Verlängerung des Bezugs des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 24 Monate statt zwölf, allerdings maximal bis Ende des Jahres 2021 – dann sind die Bundestagswahlen ohnehin vorbei. Es bleibt beim erleichterten Bezug, also dass das Geld schon gezahlt wird, wenn nur zehn Prozent der Mitarbeiter unbeschäftigt sind, und bei der im Frühjahr beschlossenen Erhöhung des Ersatzlohnes.
Wunderwaffe für eine kurze Krise
Damit zeigt sich: Die Bundesregierung kommt erst einmal nicht mehr weg von diesem Instrument, das in der Finanzkrise vor zehn Jahren nach allgemeiner Meinung gut funktioniert hat und Deutschland damals vor höherer Arbeitslosigkeit bewahrt hat.
Die Idee ist sogar zu einem regelrechten Exportschlager geworden. Wie die Ökonomen des Industrieländer-Clubs OECD in ihrem aktuellen Beschäftigungsausblick feststellen, haben 15 Staaten wegen der Corona-Krise vergleichbare Modelle neu eingeführt, darunter sogar Großbritannien und Australien, Länder, die bislang nicht gerade bekannt für ihre aktive Arbeitsmarktpolitik waren. Andere Länder haben die deutschen Erfahrungen genutzt, um ihre Systeme anzupassen, wie zum Beispiel Frankreich, das die Kosten des Kurzarbeitergeldes für Arbeitgeber massiv gesenkt und damit attraktiver gemacht hat.
Es hat auch gut funktioniert, zu gut möglicherweise, und das könnte sich nun zum Problem entwickeln. Nach aktuellen Zahlen hatten im Mai 6,7 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld bezogen. Neuere Zahlen gibt es nicht, aber Umfragen zeigen, dass die Zahlen nur langsam sinken. So waren im August noch 80 Prozent der Firmen der Metallindustrie in Kurzarbeit, im Schnitt waren es 37 Prozent der deutschen Firmen. Zum Vergleich: In der Finanzkrise 2009 waren es maximal in einem Monat 1,4 Millionen, danach sank die Zahl sehr schnell. Während damals vor allem Großunternehmen in der Industrie das Instrument nutzten, sind es nun alle Branchen, darunter auch viele sehr kleine, weniger transparente, wie der Handel oder die Gastronomie. Das hat fundamentale Folgen. Kurzarbeit ist gedacht und gut geeignet als Übergangshilfe in einer konjunkturellen Krise, die nur kurz dauert. Das Instrument ist geradezu ideal, wenn klar ist, dass der Betrieb nach der Krise schnell wieder an die Vorkrisenzeit anknüpfen kann: mit etwa so viel Beschäftigten wie vorher, die in etwa das gleiche machen wie vorher. Ist das aber nicht mehr gesichert, wird die Kurzarbeit zur Fessel. Darauf verweisen Ökonomen wie Lars Feld, der Vorsitzende des Sachverständigenrates für Wirtschaft. Kurzarbeit längerfristig einzusetzen sei problematisch. Es könne somit zur schädlichen „strukturerhaltenden Maßnahme“ werden.
Noch deutlicher wird Werner Eichhorst vom Forschungsinstitut Zukunft der Arbeit: „Beim Kurzarbeitergeld kommt die Zeit nach der Krise zu kurz. Ich befürchte, dass den Firmen mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes auf zwei Jahre zu viel Sicherheit versprochen wird. Für ein paar Monate ist das Kurzarbeitergeld natürlich eine gute Brücke, aber nun steigt die Gefahr, dass es eine Brücke ins Nirgendwo wird.“
Oft beruft man sich auf die Finanzkrise 2008 bis 2009. Aber ist sie ein guter Vergleich? „Ich vermute, dass sich die aktuelle Krise von der vor zehn Jahren unterscheidet: Die strukturellen Veränderungen dürften dieses Mal größer sein als damals. Es dürfte schwerfallen, das Niveau von 2019 bald wieder zu erreichen.“
Eichhorst plädiert für andere Formen der Hilfe: „Wir sollten uns in einigen Branchen über Alternativen zum Kurzarbeitergeld Gedanken machen, nämlich für die Branchen, die schon vor der Krise strukturelle Schwierigkeiten hatten. In einigen Branchen hat die Krise ja nicht erst mit Corona begonnen.“
Auch vor Corona war bei manchen schon Krise
So besteht die Gefahr, dass die Kurzarbeit neue Abhängigkeiten schafft. Fast 900.000 Betriebe haben Kurzarbeit angemeldet, das hat die Wettbewerbslage massiv verändert. Wer keine Kurzarbeit nutzt, hat einen Wettbewerbsnachteil, er nutzt sie dann allein schon deshalb, weil „alle anderen“ sie nutzen. Die Wirtschaft hat sich nun daran gewöhnt, dass sie damit Entlassungen vermeiden kann. Für die Bundesregierung ist sie nicht weniger wichtig, weil sie die Zustimmung zu ihrer Politik sichert und für ein paar wichtige Monate Arbeitslosigkeit vermeidet.
Allerdings häufen sich die Berichte darüber, dass das Kurzarbeitergeld nicht mehr nur an die geht, die es am nötigsten haben. Da gibt es die echten Betrugsfälle, denen der Zoll kaum hinterherkommt, jedenfalls derzeit noch nicht. Bislang verfolgt die Arbeitsagentur rund 900 Verdachtsfälle. Vor allem aber gibt es eine große Grauzone. So sind die Regeln so sehr gelockert, dass große Industriebetriebe ihre Belegschaft immer wieder einmal tageweise in Kurzarbeit schicken können – auf Kosten der Allgemeinheit der Beitragszahler. Das dürfte in der Regel noch legal sein, wenn auch nicht wirklich im Sinne des Erfinders. Eine andere Sache ist die Kurzarbeit in vielen Kleinbetrieben wie Gastronomie und Handel. Hier häufen sich die Berichte, dass dabei eigentlich die Grenze zur Schwarzarbeit überschritten worden ist, etwa, wenn Mitarbeiter unter der Hand doch mehr arbeiten, als dem Arbeitsamt gemeldet wird.
Insbesondere im Gastgewerbe ist es schwierig zu entscheiden, was langfristige strukturelle Probleme sind und was nur Folge der Corona-Krise ist. Viele Gastwirte dürften sich auch selbst nicht genau im Klaren sein wie gut ihre Chancen sind, nach der Krise wieder schwarzen Zahlen zu schreiben. Das Gastgewerbe ist ein notorisch schwieriges Feld mit normalerweise recht hoher Fluktuation. Da kann es problematisch sein, eine Geschäftsaufgabe zu lange hinauszuzögern, wenn die Chancen gering sind, dass der Laden mal wieder richtig gut läuft. Noch kann niemand abschätzen, wie das Gastgewerbe langfristig von Corona betroffen sein wird. Wenn die Menschen generell über Monate oder Jahre weniger ausgehen werden, hilft den Gaststätten die Kurzarbeit auch nicht. Das dicke Ende kommt dennoch.
Auch die finanziellen Folgen des Kurzarbeitergeldes für die Allgemeinheit sind nicht zu unterschätzen. Ziemlich klar ist, dass das Polster der Arbeitsagentur von 26 Milliarden Euro Ende dieses Jahres dafür aufgebraucht sein wird. Erste Schätzungen vom Mai dieses Jahres gingen davon aus, dass die Bundesregierung etwa fünf Milliarden Euro nachschießen muss. Durch die nun beschlossene Verlängerung ist absehbar, dass der Bund auch im kommenden Jahr einen Zuschuss leisten muss. Auch fehlt das Geld für den ursprünglichen Zweck der Rücklagen: Sollte die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr steigen, fehlt das Geld für die Zahlungen von Arbeitslosengeld. Höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und ein höherer Bundeszuschuss aus Steuern sind dann programmiert.