Der Film „Jean Seberg" rückt drei Jahre der Filmikone der Nouvelle Vague in den Fokus. Die Hauptrolle, eine Hommage an eine rätselhafte Schauspielerin, hat Kristen Stewart verinnerlicht.
Es ist eine Filmszene mit einer Wucht, die im Kino nur selten zu sehen ist: Eine zierliche Frau steigt aus einem Flugzeug. Mit ihrem blonden, kurzen Haar, in ihrem gelben kurzen Kleid und mit ihrem Lächeln sieht sie aus wie die Sonne, so strahlend. Auf dem Rollfeld stellt sich diese Frau spontan in eine Gruppe aus schwarz gekleideten Männern dunkler Hautfarbe und bildet mit ihrer Hand das Friedenszeichen. Die großen Gegensätze zwischen der Frau und den Männern bilden den Wendepunkt im Leben von Jean Seberg, dieser fragil wirkenden Frau, deren Enthusiasmus echt wirkt und dennoch zu einer Tragödie führt.
Der Film erzählt vom Leben der US-Schauspielerin der Jahre 1968 bis 1971. Die US-Amerikanerin, die 1938 in Iowa geboren wurde, begann ihre Filmkarriere Ende der 1950er-Jahre in Frankreich, wo sie mit Dramen wie „Bonjour Tristesse" (1958), „Die Maus, die brüllte" und „Außer Atem" (beide 1959) große Erfolge feierte und ein Star der Nouvelle Vague wurde.
Diese Stilrichtung des französischen Kinos richtete sich gegen jene Drehbuchschreiber, die uninspiriert Romanvorlagen adaptieren, ohne selbst einen Bezug zum Kino zu haben. Regisseure der Nouvelle Vague schrieben ihre Geschichten selbst und hielten auch sonst die Fäden der Werke in Händen.
Die Handlung des Biopics „Jean Seberg" setzt ein, als die Schauspielerin trotz ihrer Erfolge in Europa wieder in den USA Fuß fassen möchte und ein Comeback in Hollywood plant. Die Unruhen der 68er-Bewegung in Paris hat sie wahrgenommen, aber sie interessieren sie kaum. Jeans Herz schlägt für Aktivisten, die in den USA gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gehen und sich auch für Gleichberechtigung weißer und schwarzer Bürger einsetzen. So kommt es zu der beeindruckenden Szene, in der Jean Seberg nach langer Zeit wieder US-Boden betritt und sich noch auf dem Flughafen-Rollfeld zu den schwarzen Demonstranten stellt. Weil sie sich dabei von zahlreichen Fotografen ablichten lässt, gilt sie fortan in den USA als unbequem, politisch engagiert, eigensinnig und vor allem interessiert an sozialer Gerechtigkeit. Eigenschaften, die Hollywood bei Schauspielerinnen gar nicht mag.
Verschmelzung mit der Geschichte
Sehenswert ist der Film, weil Regisseur Benedict Andrews die dramatische Biografie Sebergs spannend und ergreifend für die Leinwand umgesetzt hat. Seberg nämlich erlebt nach ihrer Ankunft in den USA einen drastischen Niedergang ihrer Karriere, ihres Privatlebens und auch ihrer sozialen Stellung. Die wegen der streichholzkurzen Haare so androgyn und emanzipatorisch wirkende Frau muss sich gegen verleumderische Pressekampagnen wehren, erleidet eine Fehlgeburt, hat verschiedene Beziehungen, beginnt eine Affäre mit einem schwarzen Aktivisten, unterstützt mit viel Geld die Protestbewegung Black Panther und wird schließlich vom FBI observiert. Zwar dreht Jean Seberg noch einige US-Filme, außer mit „Airport" (1970) kann sie aber keinen Erfolg mehr verbuchen.
Dass „Jean Seberg" trotz einiger Lücken im Drehbuch (zum Beispiel wird Sebergs großes Engagement für die Black-Panther-Bewegung kaum erläutert und bleibt letztlich rätselhaft) so überzeugt, liegt auch an der Hauptdarstellerin Kristen Stewart. Die nun 30-Jährige hat lange versucht, sich von ihrer Star-Rolle aus den „Twilight"-Filmen zu emanzipieren. Es ist ein cineastisches i-Tüpfelchen, dass ihr dies ausgerechnet mit der Verkörperung von Jean Seberg gelingt – eben jener Schauspielerin, die an einem Neustart ihrer Karriere scheiterte. Kristen Stewart scheint optisch und seelisch mit Jean Seberg zu verschmelzen in einer Geschichte, die so von Höhen und dramatischen Tiefen gekennzeichnet ist, dass sie eigentlich nur von Hollywood erdacht worden sein kann statt vom wirklichen Leben.
Zehn Jahre, nachdem Jean Seberg so optimistisch in den USA ankam und sie sich zu den Protestierenden stellte, wird sie 1979 in Paris tot aufgefunden. Da war sie erst 40 Jahre alt. Ob Suizid oder ein vertuschter Mord – nie wird diese Frage lückenlos aufgeklärt, auch der Film kann da keine Antworten geben. Aber „Jean Seberg" ist ein spannender und über lange Strecken auch melancholischer Liebesbrief an Jean Seberg, deren französische Filme noch heute beeindrucken.