Die Vorbereitung auf die neue Saison der Handball-Bundesliga ist für die Füchse Berlin in diesem Jahr lang und kompliziert – aber zumindest erfolgreich. Das Startfieber für den angepeilten Saisonstart am 1. Oktober ist riesig.
Auf einmal war die Unsicherheit wegen Corona nur noch Nebensache. Die Nachricht vom schweren Unfall von Milos Vujovic löste bei den Handballern der Füchse Berlin kurzzeitig einen großen Schock aus. Der Linksaußen war auf dem Rückweg vom Training mit dem Fahrrad von einem Lkw erfasst worden. Die Folge waren Rippenbrüche, Prellungen der Lunge und ein Aufenthalt auf der Intensivstation. Nur seine Reaktionsschnelligkeit verhinderte Schlimmeres. „Ich hatte nur eine Viertelsekunde Zeit zu reagieren, bin noch abgesprungen. Wäre ich nicht Sportler gewesen, wäre ich jetzt tot", sagte der Nationalspieler Montenegros. Auch Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning meinte: „Für Milos ist das wie ein zweiter Geburtstag, und wir können uns glücklich schätzen, dass der Unfall nicht noch schlimmere Folgen hatte." Wann der Neuzugang vom ungarischen Club Tatabánya KC wieder trainieren kann, ist ungewiss. Zunächst „muss er sich jetzt erst einmal vom Unfall-Trauma erholen", sagte Hanning, der Vujovic bremsen muss. „Ich möchte schnellstmöglich wieder auf die Platte", sagte der 26-Jährige. „Bis zum Unfall hatte ich hier bei den Füchsen einen sehr guten Start."
Vujovic meinte die ersten Trainingswochen unter dem neuen Chefcoach Jaron Siewert, denn Pflichtspiele gab es im August und September noch keine. Und angesichts der erneut steigenden Fallzahlen in der Corona-Pandemie wackelte auch der von der Handball-Bundesliga HBL angepeilte Saisonstart am 1. Oktober. Vertreter der Spitzenclubs THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt sind sogar vorgeprescht und hatten medienwirksam einen Saisonstart am 1. Januar 2021 und die Absage der WM in Ägypten (14. bis 31. Januar) gefordert. Letzteres nicht nur wegen Terminproblemen, sondern auch aus Hygienegründen. Das mache ihn „stocksauer und fassungslos", echauffierte sich daraufhin Hanning. Es sei „arrogant und respektlos, den Ägyptern abzusprechen, Hygienestandards einhalten zu können", sagte der im Welthandball glänzend vernetzte Füchse-Geschäftsführer dem Sport-Informations-Dienst. „Natürlich können sie das. Die gehen doch nicht noch im Vierfüßlerstand über die Straße." Auch der Vorschlag zur Verschiebung des Saisonstarts in der Bundesliga um drei Monate stößt bei Hanning auf Kritik. „Wir müssen so schnell wie möglich wieder auf die Plattform", betonte er. Der deutsche Handball steht seit Mitte März still, die Clubs fürchten um ihre Existenzen. Es wäre „völlig verkehrt", so Hanning, noch länger mit dem Wiederanpfiff zu warten und „diese Möglichkeit aus der Hand zu geben".
„Schnellstmöglich wieder auf die Platte"
Doch die Politik spielte den Befürwortern für einen späteren Saisoneinstieg in die Karten. Nach der jüngsten Beschlussvorlage von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten sollen „größere Sportveranstaltungen mit Zuschauern" verboten bleiben. Ausnahmen sind nur für Regionen mit sehr geringen Infektionszahlen (nicht mehr als 15 Infizierte auf 100.000 Einwohner) möglich, doch die Umsetzung ist kompliziert – und stünde höchstwahrscheinlich konträr zur Wettbewerbsgleichheit in der Liga.
Trainer Siewert ist angesichts der Ungewissheit in seiner Arbeit nicht zu beneiden. Zwar hat er die längste Vorbereitung in der Clubgeschichte zur Verfügung, doch der Tag X für den Start liegt im Nebel. Der 26-Jährige war also auch als Psychologe gefragt, er musste die Spieler bei Laune und die Konzentration hochhalten. Siewert streute immer mal wieder Teambuilding-Maßnahmen ein, so wie eine Kanutour im Spreewald. Mit Erfolg. „Ich finde, dass wir jetzt schon eine echt gute Team-Chemie haben", sagte Nationalspieler Paul Drux. Es würden sich „alle verstehen, jeder kommt mit jedem klar". Auch die Neuzugänge Vujovic, Marian Michalczik und Lasse Andersson hätten sich gut integriert. Aber klar sei auch: Alle scharren mit den Hufen und wollen so schnell wie möglich wieder um Punkte kämpfen. „Wir sind natürlich schon alle heiß, dass es irgendwann losgeht", sagte Drux.
Für seinen Nationalmannschaftskollegen Fabian Wiede ist es dagegen ein Vorteil, dass sich der Auftakt noch etwas zieht. Der Rückraumspieler musste an der bereits operierten Schulter nochmals einen Eingriff vornehmen lassen – es soll aber definitiv der letzte gewesen sein. „Der Heilungsverlauf ist sehr gut", sagte Hanning, der in vier Wochen mit einer Rückkehr des Linkshänders rechnet.
Drei Siege in den ersten drei Spielen der Vorbereitung
Auch ohne Wiede überzeugten die Füchse beim 35:27-Sieg im Testspiel gegen den Champions-League-Teilnehmer Vive Kielce. Für den dritten Sieg im dritten Vorbereitungsspiel sorgt das dänische Trio Hans Lindberg, Lasse Andersson und Jakob Holm mit insgesamt 21 Treffern fast im Alleingang. Schon beim Test zuvor gegen Zweitligist Hamburger SV (38:29) hatte sich Oldie Lindberg (39) mit elf Toren in starker Frühform präsentiert. Der Däne kann sich nun komplett auf sein Spiel konzentrieren, denn die Kapitänsbinde hat Drux von ihm übernommen. „Das steht für unseren neuen Zeitgeist", erklärte Hanning. Er erwarte vom neuen Spielführer, „dass er sich in diese Aufgabe reinfuchst und die Mannschaft da hinführt, wo wir sie in den nächsten Jahren sehen wollen." Als Dauergast in der Champions League. „Das wäre das nächste Level und der Hauptstadt würdig", sagte auch Sportvorstand Stefan Kretzschmar. Vom Titel dürfen aber nur die Fans träumen, meinte der einstige Weltklasse-Linksaußen. „Nach dem absoluten Stern zu greifen, wäre wohl etwas zu vermessen."
Mittelfristig aber sollen die Füchse Berlin titelreif sein – und der Schlüssel zum Erfolg liegt beim Trainer. Auf Siewert, der einst als Jugendcoach in Berlin gearbeitet und später Traditionsclub Tusem Essen zurück in die Bundesliga geführt hatte, halten die Vereinsbosse trotz seines jungen Alters große Stücke. „Ich arbeite jetzt seit mehreren Wochen mit Jaron zusammen und habe das Alter gar nicht mehr im Kopf", sagte Kretzschmar. Auch die Spieler würden „nicht mehr wahrnehmen, wie jung dieser Mann eigentlich noch ist". Das liegt an Siewerts Fachwissen und auch an seiner Menschenführung. „Ich kann nur sagen, dass er einen sehr guten Job macht und weiß, wovon er redet", so Kretzschmar. Auch der neue Kapitän schwärmt über Siewert, den er noch aus Jugendtagen bei den Füchsen kennt. Drux lobte die „klare Vorstellung" von einem dynamischen Handball, der die Fans wieder mehr begeistern solle. „Und das vermittelt er immer auch auf den Punkt, macht klare Ansagen", berichtete Drux. „Nicht zu viel und nicht zu wenig."