In gerade mal zwei Jahren ist es einem Nobody namens Daniel Lee gelungen, das italienische Traditionshaus Bottega Veneta zur weltweit derzeit angesagtesten Brand zu machen. Vor allem hat ein regelrechter Run auf die Taschen und Schuhe eingesetzt.
Kein Geringerer als Andy Warhol hat schon wenige Jahre nach Gründung der Marke 1966 in Vicenza zu den größten Bewunderern von Bottega Veneta gehört und sie daher umgehend in weltweiten Jetset-Kreisen rund um Jackie Kennedy oder Farah Palahvi populär gemacht. Von Anfang an bekannte sich das Label zur Tradition handwerklich meisterhafter Lederverarbeitung und verarbeitete nur die hochwertigsten Materialien zur Herstellung außergewöhnlicher Leder-Accessoires. Die unter der Bezeichnung „Intrecciato" berühmt gewordene Flechttechnik wurde zum unübersehbaren Markenzeichen der begehrten Bottega-Veneta-Handtaschen, denen ab Mitte der 70er-Jahre auch Schuhe im hauseigenen Sortiment zur Seite gestellt wurden. Die Verwendung von auffälligen Marken-Logos war verpönt, diskreter Luxus war das Erfolgsrezept des Hauses. Das hat sich in dem bis heute gültigen Motto „When your own initials are enough", „Wenn Ihre eigenen Initialen ausreichen", niedergeschlagen.
Im Unterschied zu Hermès, dem in Sachen Qualitätsanspruch und Handwerkskunst derzeit global einzig verbliebenen ernsthaften Konkurrenten, konnte Bottega Veneta seine Popularität in der Modewelt nicht lange behaupten. Der Niedergang der Marke setzte Ende der 80er-Jahre ein. Wieder bessere Zeiten begannen ab 2001, als die Gucchi Group, die inzwischen unter dem Luxus-Konzern-Namen Kering fungiert, Bottega Veneta übernommen und mit dem gebürtigen Pforzheimer Thomas Maier einen Erfolg versprechenden Chefdesigner eingesetzt hatte. Dieser konnte zwar den Ruf der Marke wieder deutlich aufpolieren, aber letztlich sollte es ihm in 17 Jahren nicht gelingen, neben den Accessoires rund um die legendäre „Cabat"-Bag auch eine Begehrlichkeit für Klamotten aus dem Hause Bottega Veneta zu entfachen. Mode kam bei Bottega Veneta nie wirklich über das Schattendasein eines Anhängsels hinaus. In der lauten Social-Media-Welt rund um Instagram mit ihrer Logo-Manie und ihrem schnelllebigen Trendwechsel fand sie überhaupt nicht statt, weil sich Bottega Veneta mit seinen eher klassisch-zeitlosen Stücken komplett aus dem Fast-Fashion-Rummel heraushielt.
Den Verantwortlichen des Kering-Konzerns rund um den allmächtigen Generaldirektor Francois-Henri Pinault, der seit Jahren mit Gucci auf der Instagram- und Influencer-Erfolgswelle zu surfen gewohnt ist, dürfte diese Entwicklung ziemlich missfallen haben. Der Abgang von Thomas Maier war beschlossene Sache, die Gerüchteküche kochte in Windeseile den Namen von Phoebe Philo als heißeste Nachfolge-Kandidatin hoch. Philo schien die Idealbesetzung für den vakanten Posten bei Bottega Veneta zu sein, weil es ihr bei Céline in kürzester Zeit gelungen war, die Marke aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken. Nur bei den Schuhen hatte sie sich einige Skurrilitäten wie ihre pelzgefütterten Birkenstocks erlaubt, die aber ebenso ein Renner wie ihre Handtaschen werden sollten.
Klassisch-zeitlose Stücke statt Logo-Manie und Fast-Fashion
Mit Céline lagen die Fashion-Experten gar nicht so falsch. Nur dass aus dem Pariser Haus eben nicht Phoebe Philo nach Italien wechselte, sondern ein gewisser Daniel Lee, der sich unter seiner Chefin zum Leiter der Ready-to-Wear-Linie hochgearbeitet hatte. Ein Mann aus der zweiten Reihe also, ein Nobody, den selbst in Insiderkreisen kaum jemand gekannt hatte. Und doch wurde er vom Start weg mit Vorschusslorbeeren überschüttet, verbunden mit der Hoffnung, dass er Philos Stil bei Bottega Veneta weiterführen und damit der ehemaligen Céline-Klientel eine neue modische Anlaufstelle verschaffen würde. Der Wechsel an der Kreativspitze ging lautlos über die Bühne, Maier räumte seinen Posten am 15. Juni 2018, Lee nahm seine Arbeit schon zwei Wochen später am 1. Juli auf. „Ich freue mich sehr, Daniel Lee bei Kering als Creative Director begrüßen zu dürfen", sagte Francois-Henri Pinault. „Die Einzigartigkeit seiner Vision, inspiriert von einem sehr persönlichen kreativen Ansatz, hat mich davon überzeugt, dass er am besten ein neues Kapitel in der Geschichte des Hauses schreiben kann."
Im Gegenzug versprach Lee, „das Erbe fortzusetzen, das in den vergangenen fünf Jahrzehnten entstanden ist. Unter Beibehaltung der tief verwurzelten Codes des Hauses, der Handwerkskunst, der Qualität und der Raffinesse freue ich mich darauf, das Bisherige weiterzuentwickeln und gleichzeitig eine neue Perspektive und Modernität einzubringen".
In Windeseile entwickelte sich ein Hype um Lee und Bottega Veneta. Mit anfangs grotesken Auswüchsen, weil schon die Sommerkollektion 2019 als Renaissance des Philo-Looks gefeiert wurde, obwohl Lee dafür noch gar nicht verantwortlich war. Seitdem wird kontinuierlich darüber diskutiert, ob es sich beim Stil des heute 35-jährigen Briten um das „neue Old Céline" handelt oder um einen zukunftsweisenden kreativen Neuansatz bei Bottega Veneta, natürlich weiter mit bewusstem Verzicht auf Logos. Parallelen zu Céline sind fraglos vorhanden, etwa bei weit geschnittenen Lederhosen oder maskulin gehaltenen Hosenanzügen. Aber Lee ist sich auch der hauseigenen DNA sehr bewusst, hat daher das Leder beispielsweise zum Entwerfen pfiffiger Röcke mit Quilt-Prägung genutzt und sich auch an das Gestalten von im Vergleich zu Céline weniger kastig geschnittener Mäntel oder Blazer samt femininer Details gewagt.
Lee wurde als „Designer des Jahres" ausgezeichnet
Bezüglich der Kreationen der Herrenabteilung des Hauses, der bislang kaum mediale Beachtung geschenkt wurde, verglich Lee Bottega Veneta laut einem Interview mit der „Vogue" mit einem „Start-up": „Meine Aufgabe ist es, Bottega Veneta wirklich zum Teil des Modegesprächs zu machen... Der Versuch, dieses Haus in eine Modemarke zu verwandeln, ist eine große Aufgabe." Bezüglich neuer Taschen oder Schuhe konnte er diese vom Start weg schnell erfüllten, eroberte seine „The Pouch"-Bag doch Platz eins im „Lyst"-Ranking der beliebtesten Fashionteile des Jahres 2019, war damit gleichzeitig auch die unbestrittene It-Handtasche des Jahres, an deren Seite sich die Schultertasche „Padded Cassette" auch großer Nachfrage erfreute, und wurden seine gepolsterten Mules mit kantiger Sohle (Square Toe) doch von der Lyst-Suchmaschine bis hin zu Luxusversendern wie Mytheresa oder Net-A-Porter zum Damenschuh des Jahres 2019 deklariert. Die Square Toes fanden auch als Sandalen mit feinen Riemchen und als Pumps aus Mesh oder gestepptem Leder rege Nachfrage. Das galt auch für die „Almond"-Pumps aus der Pre-Fall-Kollektion 2019 oder für massive Plateau-Chelsea-Boots aus der Winterkollektion 2019/2020.
Zusätzlich angefeuert wurde der Hype auch durch den Instagram-Account @newbottega, der dafür sorgte, dass wichtige Influencerinnen oder Promis derzeit voll auf Bottega Veneta abfahren. Daniel Lee selbst hat es nicht so sehr mit den Sozialen Medien, ein Instagram-Profil von ihm wird niemand finden. Bei den vom British Fashion Concil organisierten Fashion-Awards 2019 räumte Lee wie kein Designer vor ihm gleich vier Titel ab, er erhielt die Auszeichnungen in den Kategorien „Accessories Desiger of the Year", „Brand of the Year", „Designer of the Year" und „Brtish Designer of the Year – Womenswear". Wie sehr die Marke Bottega Veneta dank Lee inzwischen Kultstatus errungen hat, ließ sich auch im Streetstyle rund um die Fashion Weeks ablesen. Dabei wurden auch viele jüngere Damen gesichtet, die früher mit der Marke Bottega Veneta nicht viel anfangen konnten, sich jetzt aber mit Lees geschicktem Mittelweg zwischen Streetwear und Haute Couture bestens anfreunden können.
Lees Zauberformel, die einen bewussten Gegenentwurf zu der von Logos und Maximalismus geprägten jüngsten Fashion liefert: Tragbare Mode, mit der frau perfekt tagsüber vom Kindergarten bis zum Business Office durch die Straßen rauschen kann.
Fehlt eigentlich nur noch ein Kurzportrait des Designers: Geboren wurde er am 17. Januar 1985 als ältestes von drei Kindern eines Mechanikers und einer Hausfrau im nördlich von London gelegenen Städtchen Bradford. In der Schule hatte er nur Bestnoten, er bezeichnete sich im „Vogue"-Interview selbst als „Streber". Obwohl er auch ein Jura-Studium erwogen hatte, absolvierte er stattdessen eine Ausbildung an der renommierten Londoner Hochschule für Kunst und Design namens Central Saint Martins College. Anschließend machte er bei Martin Margiela und Balenciaga zwei Praktika, um dann zwei Jahre bei Donna Karan in New York zu arbeiten. Schließlich verschlug es ihn zu Céline, wo er sechs Jahre unter Phoebe Philo tätig war.