Mit der Corona-Pandemie rückten Pflegeberufe ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. „Eine positive Tendenz, die wir auch nutzen sollten", sagt Chantal Ostermann, Leiterin der bundesweiten und trägerübergreifenden Initiative „proud to care". Zusammen mit der Mitbegründerin Katrin Eschenweck-Günter rief Ostermann vor wenigen Wochen einen „proud to care"-Verein ins Leben, um die Pflegekräfte zu unterstützen.
Frau Ostermann, Frau Eschenweck-Günter, schaut man auf die Facebook Seite von „proud to care" wird man geradezu hungrig. Dort finden sich Fotos von glasierten pinken Donuts, herzförmigen pinken Kuchen und kleinen Cupcakes mit Zuckerguss. Woher kommt diese ganze süße Unterstützung?
Chantal Ostermann (lacht): Wir bekommen sehr viel Zuspruch und das nicht nur in Form von köstlichen Gebäck-Kreationen. Einige Pflegekräfte machen ganze „proud to care"-Schmuckkollektionen mit ausgefallenen Ketten und Ohrringen. Oder sie schicken uns eigenhändig entworfene und genähte Stofftiere in unserer typischen Farbe Pink. Einige Pflegende haben sich sogar „proud to care" auf Arme und Beine tätowiert, um damit auf die Initiative und seit Kurzem auch auf unseren Verein – zu dem wir mittlerweile gewachsen sind – aufmerksam zu machen.
Es wurden auch ganz emotionale Songs und Musikvideos rund um das Thema Pflege aufgenommen. Dabei teilten die Pflegemitarbeiter ihre persönlichen Erfahrungen und räumen gleichzeitig mit dem ein oder anderen Vorurteil aus dem Pflegebereich auf. Diese Welle an Unterstützung geht natürlich unter die Haut. Vielen Dank dafür!
Sogar Privatpersonen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Pflegebereich zu tun haben, setzten sich für unseren Verein ein. So wie zum Beispiel im Fall einer engagierten Dame, die in Eigenregie Mund- und Nasenschutze genäht hat. Nachdem sie von „proud to care" erfahren hat, hat sie ihre Masken kurzerhand mit unserem Logo versehen. Die von Pflegekräften für Pflegekräfte initiierte Bewegung hat sie auf Anhieb überzeugt.
Katrin Eschenweck-Günter: Dem kann ich nur beipflichten. Viele Mitarbeiter können sich mit „proud to care" identifizieren. Es ist ein echtes Wir-Gefühl entstanden. Daraus resultiert ein Selbstbewusstsein, das in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit noch völlig undenkbar gewesen wäre. Welcher junge Mensch hätte im Freundeskreis oder zu Hause stolz erzählt, in der Pflege tätig zu sein? Es waren Ausnahmen. Jetzt werden es von Tag zu Tag mehr. Das spiegelt sich auch in den Bewerbungseingängen. Die Anzahl der Bewerber auf Ausbildungsplätze im Pflegebereich hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr – als wir mit der Initiative „proud to care" gestartet sind – nahezu verdoppelt.
Braucht die Gesundheitsbranche im Hinblick auf diese positive Entwicklung überhaupt noch einen Verein, der sich für Fachkräftemangel im Pflegebereich stark macht? Wird diese Aufgabe nicht indirekt von der Corona-Pandemie übernommen?
Chantal Ostermann: Sicherlich hat die Corona-Pandemie das Thema Pflege ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Vor allem während der heißen Pandemie-Phase haben Pflegerinnen und Pfleger viel Anerkennung und Wertschätzung seitens der Bevölkerung erfahren. Diese Bilder gingen um die Welt. Dabei denke ich beispielsweise an Momente, in denen zahlreiche Menschen auf ihre Balkone heraustraten, um für die Pflegekräfte zu applaudieren. Wie lange diese neu gewonnene gesellschaftliche Relevanz jedoch wirklich anhält, vermag im Moment keiner zu sagen. Umso wichtiger ist es, diesen Aufschwung in der Gesellschaft zu nutzen, um sich für die Pflegeberufe weiter stark zu machen und diese neu gewonnene Rolle in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu sichern. Am besten gemeinsam mit einer unabhängigen trägerübergreifenden Instanz – sprich einem Verein – und Mitgliedern, die mit Power dahinterstehen. Das ist einer der Gründe, warum wir den Verein „proud to care" ins Leben gerufen haben.
Zudem startet dieses Jahr die generalistische Ausbildung. Das wird sicherlich eine große Herausforderung, die eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Trägern von Altenhilfe, Krankenhäusern und Bildungseinrichtungen unabdingbar macht. Unser Ziel ist es, den Verein „proud to care" hierbei als ein übergreifendes Bindeglied zu platzieren und damit eine Plattform für Vernetzung und Innovation zu schaffen.
Würden Sie das näher erläutern?
Chantal Ostermann: Im Saarland haben wir beispielsweise einen „pink table" eingeführt. Das ist ein Arbeitskreis, bei dem sich verschiedene Träger aus der Gesundheitsbranche regelmäßig zusammensetzen, um Maßnahmen zu planen, wie sie zum Beispiel auch in Zukunft mehr Pflegekräfte gewinnen können und wie sie die Kräfte am besten fördern und motivieren können. Im Herbst wollen wir den „pink table" auf eine neue Stufe heben und gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und Vertretern von großen Trägergemeinschaften diese Fragestellung in großer Runde aufwerfen. Hierzu planen wir beispielsweise eine „proud to care"-Onlinemesse für Pflege- und Gesundheitsberufe, bei der sich alle Vereinsmitglieder präsentieren können. Ein weiterer Vorteil – neben der Vernetzung der Akteure untereinander – ist ihre Sichtbarkeit. Durch die Onlinemesse wird natürlich eine ganz neue Zielgruppe angesprochen, die auf regulären konventionellen Wegen manch einen Träger vielleicht gar nicht kennengelernt hätte.
Katrin Eschenweck-Günter: Im Grundsatz ist „proud to care" eine Bewegung von Pflegenden für Pflegende. Jedoch nehmen die Träger im Gesundheitswesen – wie Altenhilfen, Krankenhäuser, ambulante Dienste, Ärzte und weitere Akteure aus dem Bereich – hierbei eine besonders wichtige Rolle ein und haben die Verantwortung, mit für unsere Pflegekräfte zu kämpfen. Entsprechend wollen wir sie aufrufen, sich im Verein zusammenzuschließen und unsere Kräfte zu bündeln. Gemeinsam haben wir eine viel höhere Durchschlagskraft.
Chantal Ostermann: Ansonsten haben in verschiedenen teilnehmenden Residenzen Azubiveranstaltungen, Mitarbeiterveranstaltungen und öffentliche Veranstaltungen, wie beispielsweise ein Sternenlauf in Dresden, zu „proud to care" stattgefunden. Wir hatten sogar große trägerübergreifendende „proud to care"-Veranstaltungen an öffentlichen Plätzen in Großstädten am Tag der Pflege geplant. Leider konnten diese aufgrund der Pandemie nicht stattfinden. Doch wir werden dies auf jeden Fall wieder angehen, sobald es einen Impfstoff gegen Corona gibt.
Ebenso haben wir einen Newsletter gestaltet mit Ideen zur Mitarbeitermotivation, den wir weiter ausbauen möchten. Zudem wirkt der Verein bei der Digitalisierung und Berufsbildung mit und versucht, diese zu fördern und zu vernetzen. Soviel dazu, was wir mit unserem Verein bisher auf die Beine stellen konnten.
Gibt es auch schon weitere Pläne?
Chantal Ostermann: Natürlich. Wir planen, bundesweite Bildungsangebote zu schaffen und zu fördern, um Personen, die aufgrund der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben, für die Pflege zu qualifizieren oder umzuschulen. Beispielweise mit einem eigenen „proud to care"-Pflegebasiskurs. Die Inhalte für die Unterrichtseinheiten werden gerade von unserem Kooperationspartner, der international ausgerichteten Pflegeschule EFSA in Quierschied zusammengestellt. Anfang des nächsten Jahres möchten wir mit den ersten Kursen im Saarland und Berlin starten, danach sollen die ersten Kurse bundesweit anlaufen.
Katrin Eschenweck-Günter: Der „proud to care"-Pflegebasiskurs dauert insgesamt sechs Wochen. In drei davon widmen sich die Interessenten dem theoretischen Teil und erwerben medizinisches Basiswissen. Anschließend folgen drei Praxiswochen. Die zertifizierten Absolventen können gleich im Pflegebereich durchstarten und beispielsweise auch die generalistische Ausbildung draufsetzen.
Chantal Ostermann: Ein weiterer Punkt ist die Akademisierung der Pflege, damit die Pflegekräfte auf Augenhöhe mit Ärzten kommunizieren können. Um dies zu unterstützen, planen wir auch eine Lern-App für Auszubildende und Ausbilder in der generalistischen Ausbildung.
Katrin Eschenweck-Günter: Zudem haben wir auch digitale Lösungen für Messen entwickelt, die gerade junge Menschen auf den Alltag in einem Pflegeberuf vorbereiten können. Darin sehen wir auch die zentrale Aufgabe von „proud to care": den Pflegenden Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen und Perspektiven zu bieten.
Ein Thema, bei dem man vor allem politische Akteure in die Pflicht nehmen könnte. Frau Ostermann, Sie sind schon unserem Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begegnet und konnten „proud to care" vorstellen …
Chantal Ostermann: Das stimmt. Keine andere Branche ist gesetzlich so stark reglementiert wie die Pflege. Daher sind wir auf die Unterstützung der Politik und gesetzliche Neuerungen angewiesen, um dadurch auch besser für die Zukunft gewappnet zu sein.
Herr Spahn ist hier sehr engagiert und zeigt sich auch bei der Bekämpfung von Fachkräftemangel als durchsetzungsstark und zielorientiert. Aber auch er hat darauf hingewiesen, dass dies nur möglich ist, wenn sich auch die Pflegenden und die Unternehmen selbst stark machen. Also etwas, wofür „proud to care" einstehen soll und was wir mit unserem Vereine befördern wollen.
Konnte diese Begegnung mit dem Bundesgesundheitsminister der Initiative etwas weiterhelfen?
Chantal Ostermann: Herr Spahn hat auf seinen Social-Media-Seiten auf unsere Initiative hingewiesen. Allerdings waren wir zu diesem Zeitpunkt noch kein Verein, sondern nur eine Initiative. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass wir ihn mit unserem Thema mitreißen konnten.
Sowie auch Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend …
Katrin Eschenweck-Günter: Als wir Frau Giffey begegnet sind, steckte die Initiative „proud to care" noch in den Kinderschuhen. Dennoch konnte unsere Idee auf Anhieb überzeugen. Auch Frau Giffey ist der Meinung, dass ein Imagewechsel im Bereich der Pflege schon längst überfällig geworden ist. Dabei interessierte sich die Bundeministerin vor allem für die digitalen Lösungen, die wir unseren Pflege-Anwärtern anbieten können. So wie beispielsweise die VR-Brille, von der ich gesprochen habe. Auch unsere Ministerin hat sie bei ihrem Besuch ausprobiert und für gut befunden. Das hat uns sehr motiviert.
Gibt es etwas, was Sie sich von den politischen Akteuren wünschen?
Chantal Ostermann: Grundsätzlich müssen wir daran arbeiten, die Pflege noch attraktiver zu machen. Ausbildungsinhalte und Perspektiven sollten beispielsweise weiter ausgebaut werden. Die Politik muss dafür die entsprechenden Rahmenbedingungen und Personalschlüssel schaffen, jedoch gleichzeitig die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen. Zu diesem Zweck plädiere ich für ein verpflichtendes soziales Jahr, sodass junge Menschen die Möglichkeit haben, die großen Vorzüge der sozialen Berufe kennenzulernen wie dies zum Beispiel zu Zeiten von Zivildienst der Fall war.
Selbstverständlich spielt das Gehalt eine große Rolle, auch wenn man in der Pflege im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen wirklich gut verdient. Problematisch sind die hohen Mieten, hier muss die Politik speziell für diese Berufsgruppen und Fachkräfte für bezahlbaren Wohnraum sorgen. Wir setzen uns natürlich auch für einen flächendeckenden Tarifvertrag ein. Gleichzeitig müssen die Leistungen der Residenzen für die Bewohner noch finanzierbar bleiben, weshalb seitens der Politik ein entsprechendes Sicherungssystem hinterlegt werden muss.
Mein letzter Wunsch richtet sich an die Medien: Es ist wichtig, hierbei ein Format mit positiven Nachrichten zu bilden, um die Menschen zu motivieren in die Pflege einzusteigen. Ständige Debatten über Missstände finde ich dagegen kontraproduktiv.
Welche (Pflege-)Themen werden uns in näherer Zukunft beschäftigen?
Chantal Ostermann: Fachkräftegewinnung und -bindung. Corona und ähnliche Viren und wie man trotz der Beschränkungen den Bewohnern einen schönen Alltag und Zeit mit den Liebsten ermöglichen kann. Digitalisierung in allen Bereichen zur Arbeitserleichterung für Mitarbeiter und um mehr Angebote für Bewohner und Angehörige zu schaffen. Neue Wohn- und Betreuungskonzepte.
Katrin Eschenweck-Günter: Sicher spielt die Bezahlung eine Rolle, aber Hauptproblem sind die Arbeitsbedingungen, weil zu wenig Personal da ist. Woher sollen die fehlenden Personen kommen? Das wird die zentrale Frage sein.
Hat durch die Corona-Pandemie ein nachhaltiges Umdenken in der Pflege stattgefunden?
Chantal Ostermann: Ich würde sagen: ja und nein. Jeder hat erkannt und unter Umständen selbst gespürt, wie unglaublich wichtig gut qualifiziertes Pflegepersonal für das Fortbestehen unserer Gesellschaft ist und haben sehr großen Respekt vor diesem Beruf gewonnen. Pflegen kann nun mal nicht jeder. Und auch die Pflegekräfte haben, glaube ich, auch noch mal einen neuen Schub an Selbstbewusstsein gewonnen und mit Stolz gesagt, dass sie die Fahne hochhalten, während die meisten sich im Homeoffice befinden.
Ich bin jeden Tag unglaublich dankbar, dass ich meinen Beruf ausführen kann und nicht in Kurzarbeit bin. Wichtig ist, dass wir dieses Umdenken nicht verklingen lassen, wenn der Alltag uns wieder vergessen lässt. Genau dafür gibt es „proud to care"!
Katrin Eschenweck-Günter: Es ist in der Gesellschaft angekommen, dass der Beruf zukunftssicher und abwechslungsreich ist. Je mehr Menschen sich für die Pflege interessieren, desto besser werden die Bedingungen.