Nach langem Hin und Her gibt es nun doch einen Untersuchungsausschuss zum Bankrott des Finanzdienstleisters Wirecard. Doch bis Juni kommenden Jahres ist nicht viel Zeit für Aufklärung.
Florian Toncar ist sein Unbehagen anzumerken. Wenn er spricht, geschieht dies mit „angezogener Handbremse", der bald 41-Jährige achtet pedantisch auf jedes Wort, das er sagt. Wenn es um Finanzfragen geht, sprudelt es sonst aus dem gebürtigen Hamburger nur so heraus, doch Toncar hält sich diesmal auffallend zurück. Kein Wunder, der FDP-Finanzfachmann ist eine politische Liaison eingegangen, die er so im Frühsommer nicht für möglich gehalten – und nicht gewollt hätte. Neben ihm auf dem Podium sitzt Fabio De Masi, der Finanzexperte der Linkspartei, und ganz außen, Danyal Bayaz von den Grünen. Alle drei kennen und schätzen sich aus dem Bundestagsfinanzausschuss, doch gerade bei Fragen zur Überwachung von Banken, Hedgefonds oder Kapitalanlagegesellschaften liegen zwischen den dreien politisch tiefe Gräben.
Florian Toncar hat als Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Banken- und Finanzaufsicht von 2014 bis 2017 für die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer gearbeitet. Einen Job, den der Hamburger Diplom-Volkswirt Fabio De Masi niemals annehmen würde. De Masi gehört in der Linken zum Flügel der Sozialisten, dort will man Banken vergesellschaften und Hedgefonds ganz verbieten. Der Dritte im Bunde, der grüne Danyal Bayaz, ist Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater aus Baden-Württemberg. Also eigentlich passt der Grüne ganz gut zum Liberalen, doch Bayaz und Toncar stehen sich in ihrem Bundesland als politische Konkurrenten beim Buhlen um Wählerstimmen direkt gegenüber.
Ein „schwerwiegender Kriminalfall"
Und dieser Dreierbund hat nun den Wirecard-Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen. Dazu haben sie gemeinsam einen achtseitigen Untersuchungsauftrag formuliert. „Das alles haben wir ohne große Diskussionen hinbekommen, wenn auch jeder von uns andere politische Ambitionen hat", so Fabio De Masi gegenüber FORUM. In der Einleitung heißt es: „Die Regierung hat zu wenig zur Aufklärung beigetragen. Viele Fragen sind noch immer offen und der Untersuchungsausschuss ist damit unumgänglich." Das würden selbst die Vertreter von SPD und Union im Finanzausschuss des Bundestages so unterschreiben. „Es geht vor allem um das völlige Versagen der Finanzaufsicht BaFin, wir haben es hier mit einem schwerwiegenden Kriminalfall zu tun, der vor allem kleine Anleger zum Beispiel um ihre Altersvorsorge gebracht hat."
Florian Toncar setzt damit im FORUM-Gespräch schon mal den ersten Pflock, wo es mit der Einigkeit zwischen Linken, Grünen und FDP bei den Schwerpunkten schnell zu Ende sein könnte. Dem Liberalen Toncar geht es um die Anleger und ihren Schutz, eventuell sogar um Entschädigungszahlungen für die geprellten Aktionäre durch den Staat. Doch die Anleger sind für De Masi von der Linken eher nebensächlich. Korruptionsbekämpfer De Masi will im Fall Wirecard alles etwas höher hängen. „Im Zweifelsfall muss auch die diplomatische Korrespondenz mit China ausgewertet werden, um rauszubekommen, wer die Kanzlerin bei ihrer Chinareise im September letzten Jahres dazu gebracht hat, für Wirecard die Werbetrommel zu rühren." Für die FDP als Wirtschaftspartei ein heikles Thema. Bei Auslandsreisen einer deutschen Regierungsdelegation, ob mit oder ohne Kanzlerin, ist immer eine Armada der Wirtschaft an Bord. Doch werden im Untersuchungsausschuss zu viele Interna zwischen Wirtschaft und Kanzleramt ausgepackt, könnte dies für Ärger sorgen.
Dies ist auch für den Grünen Danyal Bayaz nachvollziehbar, immerhin ist der 36-jährige Unternehmensberater. Der Grüne aus dem Ländle verfolgt im Wirecard-Untersuchungsausschuss einen ganz anderen Weg. Bayaz kann sich ganz gut vorstellen, dass man nicht nur den Kanzlerkandidaten der SPD, Bundesfinanzminister Olaf Scholz, sondern auch den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder in den U-Ausschuss vorladen wollte. „Das bayerische LKA hat bereits im Februar 2019 stichhaltige Hinweise zu Wirecard und mögliche Manipulationen bei den Umsätzen erhalten, doch diese Spuren wurden nie verfolgt."
Die ersten Zeugen im November
Bayaz spricht damit einen Punkt an, den das Landeskriminalamt Bayern längst bestätigt hat. Er verweist darauf, selbst die Staatskanzlei unter Ministerpräsident Markus Söder im Februar 2019 informiert zu haben. Damit könnte dann nicht nur der SPD-Kanzlerkandidat, sondern auch der mögliche Unionskanzlerkandidat Markus Söder in den Wirecard-Strudel gerissen werden. Denn sein CSU-Parteifreund Karl-Theodor zu Guttenberg hat einst für Wirecard im Kanzleramt vorgesprochen. Der soll übrigens auch als Zeuge vorgeladen werden. Doch bis es überhaupt dazu kommt, muss eine andere Frage geklärt werden: Wer wird überhaupt Vorsitzender des Wirecard-Untersuchungsausschusses: Toncar, De Masi oder Bayaz?
Vermutlich weder noch. Denn das erste parlamentarische Zugriffsrecht auf den Vorsitz hat die AfD. Deren Bundestagsfraktion hat mit Kay Gottschalk einen anerkannten Fachmann für den Vorsitz nominiert. Der 54-jährige Hamburger ist gelernter Bankkaufmann und Volljurist. Er hat Jahrzehnte leitend in der Versicherungsbranche gearbeitet. Doch dass AfD-Mann Gottschalk tatsächlich den Vorsitz des Ausschusses bekommt, ist nicht ausgemacht. Linke, Grüne und Teile der SPD wollen da auf keinen Fall mitspielen. „Dann haben wir ein ernsthaftes Glaubwürdigkeitsproblem, der Ausschuss muss so schnell wie möglich eingesetzt werden, denn uns rennt die Zeit davon," gibt sich Gottschalk zuversichtlich. „Wenn wir im Oktober anfangen, können wir die ersten Zeugen im November vorladen, dann bleiben nicht mal acht Monate bis zum Abschlussbericht. Wenn wir dann noch lange über den Vorsitz debattieren, brauchen wir den Untersuchungsausschuss gar nicht mehr einzusetzen." Findet der U-Ausschuss wegen eines Streits um den Vorsitz verspätet oder gar nicht statt, wäre dies eine Steilvorlage für die AfD bei der Bundestagswahl in einem Jahr.