Der Lunch im „No Name" hält mit dem Fine-Dining-Dinner leichtfüßig mit. Küchenchef Vicenzo Broszio und sein Team spielen mittags in drei Gängen den raffinierten Umgang mit regionalen und saisonalen Produkten variantenreich durch.
Fräulein Fuchs darf im Gastraum allein an ihren Seilen hängen bleiben. Wir widmen uns bei diesem Besuch im „No Name" dem Lunch auf der Terrasse und nicht der Kunst im Inneren. Das Mittagsmenü ist alle Beachtung wert. Denn das Team von Küchenchef Vicenzo Broszio tischt an der Oranienburger Straße, gleich neben der Synagoge, von 12 bis 16 Uhr Fine Dining auf. Das leichte, dreigängige Business Lunch hält mit dem abendlichen Standard locker mit. „Wir wollen ein attraktives Angebot auch für Geschäftsleute machen", sagt „No Name"-Geschäftsführerin Janina Atmadi. Noch sind von denen nicht wieder ganz so viele auf der Straße zu sehen wie vor dem Corona-Einschnitt. Doch die kluge Geschäftsfrau und die Küchencrew sorgen vor. Nicht nur über den Preis. 35 Euro sind zweifelsfrei eine attraktive Ansage mit der unüberhörbaren Botschaft: „Komm’ herein und iss mich auf!"
Gurkensaft mit Molke und einem Hauch Estragonöl
Die Begleiterin und ich sehen an diesem warmen Spätsommertag erst einmal: Freundinnen, die sich ebenso an ihrem Gespräch wie an ihren Tellern erfreuen. Flaneure auf der Straße, die einen Blick auf die Terrasse oder die Karte werfen. Wir zeigen auf unseren Tellern unterm Sonnenschirm ebenfalls, dass Sellerie, Steinbutt, Skirtsteak und ein gepfefferter Cheesecake nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch einiges zu bieten haben. Das dezente Rentnerbeige von geräucherten Knollensellerie-Streifen auf der gleichfarbenen Miso-Creme wird durch den dunkleren Randstreifen und die kleinen „knubbeligen" Einschlüsse in der Silhouette aufgebrochen. Das tut nur unfarben! Inmitten des filigranen Hügels versteckt sich eine Schwertfisch-Ceviche; obenauf intensiviert ein Chip von getrockneter Jakobsmuschel das Aroma. Umami, wurzelige Süße, ein bisschen Rauch und Säure harmonieren hervorragend miteinander. „Der Sellerie wurde gepickled und gegart in einem", erklärt Konrad Most, Chef de Partie und bei unserem Besuch amtierender „Vize" des Küchenchefs, als er einen Moment Zeit findet herauszukommen.
Japan versteckt sich in Details: Der Pickle-Sud wurde mit Sushi-Essig angesetzt, die ganze Knolle darin gegart. Der Schwertfisch durfte in Ponzu-Sauce baden. Die Miso-Creme sei einer Mayonnaise ähnlich, verrät Most. Welch ein gelungener Einstieg in ein Mittagessen!
Besonders glücklich machen uns die nicht-alkoholischen Drinks von Sommelier Steve Hartzsch. Dass er Weine in schönster Auswahl und mit Fokus auf kleinere Weingüter kann, wissen wir von vorherigen Besuchen. Den gemüse- oder fruchtbasierten Getränken „ohne" wohnt eine ebenso große Raffinesse inne. Ich wähle einen leichten Gurkensaft mit Molke, der mit Tupfen von Estragonöl versehen ist. Die lösen sich im Trinkprozess auf, die Aromen verschleifen sich miteinander. Passt als Extra-Süppchen im Glas prima zu Fisch und Sellerie. Die begleitende Freundin taucht mit einem Grapefruit-Drink mit gelber Bete in die Welt der alkoholfreien Kaltgetränke jenseits von Wasser, Limo oder Kombuchas ein. Diese Kreationen sind eine echte Empfehlung auch für den Abend und ein längeres Dinner, bei dem einem nicht immer nach Alkohol zumute ist.
Immer wieder echte Überraschungen am Gaumen
Die Freundin entscheidet sich im Hauptgang für Steinbutt mit grünem Spargel und Petersilienwurzel. Der Butt wurde sous vide mit Kresseöl und Petersilienwurzelscheiben gegart und anschließend abgeflämmt. Fisch und grüner Spargel kommen in einem Sud aus entsaftetem Grünspargel und Kresseöl sowie mit begleitendem hellen Petersilienwurzel-Espuma angeschwommen. Das grüne Pülverchen obenauf ist eingedampfte Gartenkresse. Mit solchen Geschmacksboostern verstärken sich die Aromen im Zusammenspiel mit den unterschiedlichen Texturen. Das sorgt immer wieder für Überraschung am Gaumen. Für die Freundin gibt’s in dieser Runde einen grünen Drink – Spargel mit Molke und Waldmeister sowie Kürbiskernöl. Ich bekomme die rote Variante zum Skirtsteak, einen Drink aus fermentierter Brombeere mit Knollensellerie.
Welcher Teil vom Rind ist das eigentlich, das sich mir da in schmalen Streifen gemeinsam mit confierten und gebratenen Pfifferlingen präsentiert? Bevor wir das Internet befragen, hilft uns Konrad Most weiter: „Das stammt aus dem Zwerchfell. Wir grillen es im Green Egg." Der Keramikgrill in namensgebender Form und Farbe brachte das Steak zusätzlich mit Raucharoma auf Trab – Flakes aus dem Holz von Whiskey-Fässern machen es möglich. Cheers! Mit ein paar Meersalzflocken, einem dichten Zwiebeljus sowie einer geräucherten Kartoffelcreme und Nussbutter deutet dieser Teller sanft und wohlig den nahen Herbst an. Kleine Segel aus Pfifferlingsleder zeigen, wohin die Reise geht und schicken noch mehr Pilznoten mit auf den Weg. Gibt’s das Zwiebeljus auch in Gläsern zum Mitnehmen? Bei solch aufwendigen und intensiven Saucen weiß frau, weshalb Profis in Profiküchen am Werk sind: Wer wollte sonst schon etliche ganze Zwiebeln im Ofen rösten und den Jus zwei Tage lang auf dem Herd köchelnd einreduzieren? Geht schon in Ordnung, es dann doch lieber und ausschließlich an Ort und Stelle zu verzehren.
Bei Skirtsteak und Petersilienwurzel zeigt sich die Richtung, die Vicenzo Broszio mit seinen fünf Mitarbeitern seit Februar einschlägt: Regionale und saisonale Produkte. Gern werden auch die nicht ganz so prominenten Teile vom Tier zubereitet. Dafür darf das Ganze überraschend dargeboten werden. Janina Atmadi nennt den Ansatz „open minded kitchen". Sie zitiert das Credo des Küchenchefs, der im wohlverdienten Urlaub weilt: „Wenn du eine Kartoffel hast, dann koche oder brate sie nicht, sondern mach etwas Neues damit." Mach also beispielsweise eine dünnflüssigere, geräucherte Creme mit Nussbutter daraus. Ungewöhnlichere Produkte wie Kalbshirn oder Seeteufelleber finden sich eher auf der Abendkarte mit den Fünf- oder Sieben-Gang-Menüs mit Fleisch und Fisch wieder. Die Alternative sind fünf Veggie-Gänge. Auf der Lunch-Karte gibt’s ohnehin immer eine vegetarische Variante. Die abendlichen Menüs werden für 79 und 99 Euro serviert.
Dekonstruierter Cheesecake rundet das Menü ab
Vor dem Dessert singen wir erst einmal für Sunny Bruchwalski vom Service spontan ein Geburtstagsständchen. Sie umsorgt uns durch die vielen Gespräche und Notizen längliches Mittagessen hindurch herzlichst. „Gastronomie-Geburtstag", sagt sie lachend, als wir wissen wollen, weshalb sie an diesem Tag arbeitet. Abends werde aber ein bisschen gefeiert. Wir erheben unsere Dessertlöffel gern auf sie und machen uns über einen dekonstruierten Cheesecake her. Große halbierte Stachelbeeren und eine Nocke Stachelbeereis wurden mit Anis aromatisiert, „damit der Nachmittag lustiger wird", wie Bruchwalski sagt. Vergnüglich ist er ohnehin schon. Kekstaler aus Cornflakes ahmen den klassischen, crunchigen Boden nach. Das Herzstück, eine Cheesecakecreme, die sich an Früchtchen und Taler ankuscheln darf, wird durch eingebauten Pfeffer noch etwas herzhafter.
Auch in dieser Schale gilt: kein Chichi, kein Selbstzweck. Keine Zutat oder Note sind zu viel oder zu wenig. Alles ist fein austariert. Gewürz- oder Frucht-Spitzen dürfen etwas vorlauter „Hier!" rufen. Wir nehmen dazu gleich den „Nachmittagskaffee" von einer der avancierten Röstereien der Stadt. „Five Elephant" sorgt für den charakteristischen, leicht säuerlichen Espresso in Maschine und Tasse, den wir uns mit etwas Milch als Macchiato schaumig bedecken lassen.
Die Absicht ist klar, die Botschaft eindeutig und ganz gewiss niemand verstimmt: Wer mittags im „No Name" speist, wird auf die denkbar feinste und unaufdringlich raffinierte Art für den Abend angefüttert. Die Wiederkehr zu einem ausführlicheren Dinner oder mindestens einem weiteren Lunch sowie zu einem zwanglosen Streifzug durch die Weine und die alkoholfreien Drinks ist nachgerade unausweichlich.