Die Hardrock-Dinos Deep Purple sind nicht totzukriegen: Nach drei Jahren Pause legen die Briten mit „Whoosh!" ein neues Werk vor. Keyboarder Don Airey spricht über den neuen Sound, Vergänglichkeit, Langlebigkeit und seine Zeit mit Ozzy Osbourne.
Sie haben im Lauf Ihres Musikerlebens auf fast 300 Alben von Black Sabbath über Rainbow bis hin zu Deep Purple mitgewirkt. Das neueste heißt „Whoosh!". Ist für Sie jede Platte von gleicher Bedeutung?
Das Bemerkenswerte an meiner Karriere ist, dass ich bislang noch keine einzige einfache Aufnahmesession erlebt habe. Es ist jedes Mal eine Herausforderung, bei der man alles gibt. Ich bin sehr zufrieden mit dem Sound von „Whoosh!". Er ist in sich geschlossen und geht sehr tief.
Ihr Spiel prägt das Album sehr stark. In Songs wie „No Need to Shout", „Nothing at All" und „Remission Possible" dürfen Sie sich so richtig austoben. Wie kam es dazu?
Ja, man kann die Hammond wirklich heraushören. Es ist Deep Purple, was erwarten Sie? Die Aufnahmesessions haben wirklich Spaß gemacht. Das liegt an Bob Ezrin, der uns sehr motiviert hat. Man will doch immer sein Bestes geben.
Ist der Starproducer Bob Ezrin im Studio der unangefochtene Boss?
Nun, er ist der Typ, der will, dass wir wirklich spielen. Als wir ihm das erste Mal begegneten, befanden wir uns in einer Phase der Unsicherheit. Bob riet uns, dass wir uns nicht darauf kaprizieren sollten, kommerzielle Platten mit Hits zu machen. Er sagte: Spielt einfach eure eigene Musik! Sehr weise Worte im Nachhinein. Denn dies ist die beste Platte, die wir mit ihm bisher gemacht haben.
Hat er die Band gerettet?
Bob hat die Fähigkeit, Probleme zu lösen, egal, was gerade mit einer Band los ist. Ich weiß wirklich zu würdigen, was er für uns getan hat, auch wenn ich seine Methoden nicht immer verstehe. Aber das muss ich auch nicht. Bei „Nothing at All" zum Beispiel hatten wir uns aus purer Verzweiflung in eine Art Blutrausch gespielt. Aber Bob meinte, wir sollten jetzt mal relaxen und uns vorstellen, dass wir in einem Danceclub aufträten. Und plötzlich spielte Ian Paice einen der besten Drum-Tracks ein, den ich je gehört habe. Unglaublich subtil.
Ist Bob Ezrin, der mit Pink Floyd, Kiss, Peter Gabriel und Alice Cooper gearbeitet hat, ein altmodischer Produzent?
Ja, er ist Old School. Mein Sohn Mike, der auch mein Keyboardtechniker und unser Stage Manager ist, sagte, er hätte noch nie so jemanden wie Bob getroffen. Ezrin betritt einen Raum, und sofort tanzen alle nach seiner Pfeife. Wir als Band sind daran gewöhnt, wir sind ja auch alte Schule.
Wohin entwickelt sich die Musik von Deep Purple?
Auf diesem Album klingen wir wieder sehr direkt. Wir kommen viel schneller zu den Soli und der Sound ist sehr kohäsiv. Das liegt auch daran, dass wir so gut vorbereitet waren. Die 15 Backing Tracks hatten wir in nur acht Tagen eingespielt. Als Bob dazustieß, eröffnete er uns, dass wir die Aufnahmesessions um fünf Tage verschieben müssen. Sehr seltsam. Er hatte das Gefühl, dass wir noch nicht so weit waren. Er wollte uns einfach dazu bringen, richtig hart an unserer Musik zu arbeiten.
Ist er auch ein Psychologe?
Ja. Das Interessante an ihm ist, dass er als Folksänger mit akustischer Gitarre angefangen hat. Er erzählte uns, dass ihm die Konkurrenz in Toronto damals Angst gemacht hat. Neil Young, Joni Mitchell und Gordon Lightfoot waren zur selben Zeit aktiv wie er. Er fühlte sich ihnen nicht gewachsen, weshalb er sich fortan aufs Aufnehmen von Musik konzentrierte. Darin wurde er immer besser.
Ist „Whoosh!" für Sie nur ein weiteres Deep-Purple-Album? Oder haben Sie es mit dem Gedanken eingespielt, dass es Ihr letztes gemeinsames Werk sein könnte?
Nun, jede Platte könnte deine letzte sein. Man weiß ja nicht, was passiert, wenn man morgens das Haus verlässt. Dessen sind sich viele Musiker sehr bewusst, weshalb sie immer ihr Bestes geben. Wenn sie Pech haben, bekommen sie keine zweite Chance mehr.
Welche Songs der Platte werden es 2021 auf die Setlist schaffen?
(lacht) Wir sollten vielleicht erst mal die Pandemie abwarten, bevor wir an einer neuen Setlist arbeiten. Ich würde aber vermuten, dass „Throw My Bones", „Nothing at All" und „The Power of the Moon" dabei sein werden. Die meisten Titel auf dem Album sind Rock’n’Roll-Tracks. Hier in England werden sie oft gespielt. Die Leute scheinen die Platte zu mögen.
Können Sie die Zwangspause auch ein wenig genießen oder fühlen Sie sich arbeitslos?
Ich muss gestehen, ich genieße die Pause. Vor Corona haben wir lange Zeit hart am Limit gearbeitet. Leider hatte unsere Regierung die Pandemie anfangs nicht im Griff. Ich hoffe, dass wir bis Ende des Jahres wissen, wie es weitergeht. Etwas Vergleichbares habe ich bisher noch nicht erlebt. Ich kenne Krankenhausärzte, die von diesem Virus regelrecht entsetzt sind. Niemand weiß, ob jemals ein Impfstoff oder Medikament gefunden werden wird.
Wie viele Menschen in Ihrem persönlichen Umfeld sind bisher an Covid-19 erkrankt?
Einige. Ich habe an einem einzigen Tag zwei Freunde verloren. Sie starben im Zeitraum von einer halben Stunde. Einer war Musiker, der andere Arzt. Deshalb passe ich sehr gut auf mich auf. Ich bin seit über 40 Jahren verheiratet. Aber ich habe in der Zeit nicht mehr als zwei Wochen am Stück zu Hause mit meiner Frau verbracht, weil ich immer so viele Studio- und Konzertverpflichtungen hatte. Im Moment genieße ich die Zeit mit meiner Liebsten und meinen Enkeln. Ich hoffe, meiner Frau geht es genauso. (lacht)
Mit keiner anderen Band haben Sie so lange gespielt wie mit Deep Purple. Was ist der Grund für diese Langlebigkeit?
Ich stieß 2001 zu Deep Purple. Am Tag, bevor Jon Lord krankheitsbedingt eine Tour abbrechen musste. Es passierte so plötzlich, dass uns nur eine halbe Stunde Zeit zum Proben blieb. Wir spielten lediglich „Woman from Tokyo" und einen anderen Song. Am Ende sagte Bassist Roger Glover zu mir: „Willkommen in der Band!" Es fühlte sich einfach richtig an. Trotzdem war es für alle bitter, als Jon die Band endgültig verließ.
Benutzen Sie noch manchmal Jon Lords berühmte Hammond-C3-Orgel?
Das habe ich nur am Anfang getan. Leider war sie in keinem guten Zustand, als ich sie übernahm. Sie war verrostet. Ich wollte natürlich lieber auf meinen eigenen Instrumenten spielen, weil ich das gewohnt war.
Haben Sie diesmal nach Keyboardsounds gesucht, die für Deep Purple eher unüblich sind?
Ich stehe im Gegensatz zu Jon Lord sehr auf Synthesizer-Sounds. Aber bei dieser Platte hatte ich kaum die Chance, sie einzusetzen. Ich spiele hauptsächlich auf der Orgel.
Im Booklet danken Sie Johann Sebastian Bach. Wie hat er Sie beeinflusst?
Bei „Nothing at All" verwende ich vor dem Solo eine kurze Passage von Bach. Deshalb wollte ich ihn erwähnt haben. Aber welchen Musiker hat Bach nicht beeinflusst? Wer Bach versteht, versteht auch, wie Musik funktioniert.
Wie haben Sie zu Ihrem Sound bei Deep Purple gefunden?
Ich habe eine andere Herangehensweise an die Hammondorgel als Jon Lord. Seine Sounds unterscheiden sich sehr von meinen. Ich benutze zum Beispiel auch einen Gitarrenverstärker, was viel ausmacht. Die größte Veränderung kam aber zustande, als Ian Paice klagte, dass er seinen Drum-Sound nicht mehr hinbekam. Er erzählte, dass er sein Schlagzeug früher immer direkt auf den Bühnenboden gestellt hatte. Das haben wir dann getan – und zwar auch mit meiner Orgel. Und siehe da: Ians Drums klangen plötzlich sehr knackig und meine Orgel ganz laut und rau.
„Whoosh!" umschreibt den Sound einer Rakete oder eines Schnellzugs. Was hat das mit Deep Purple zu tun?
„Whoosh!" bezieht sich eher auf die Existenz des Menschen auf Erden. Die Lebensspanne unserer Spezies ist im Vergleich zum Alter des Planeten nur ein Vorbeirauschen. Dieser Titel war Ian Gillans Idee. An dem Tag, als ich eine Kopie des fertig gemixten Albums bekam, saß ich in meinem Garten und erblickte einen riesigen Bussard. Er wurde von Krähen attackiert, weshalb er ganz plötzlich zum Sturzflug ansetzte. Ich erinnere mich genau an den Sound, den er beim Fliegen machte. Es war ein sehr lautes „Whoosh". Dann hörte ich mir zum ersten Mal das fertige Album an.
Die Improvisation ist Ursprung eines jeden Deep-Purple-Songs. Gilt das auch für die neue Platte?
Wir wussten eigentlich ziemlich genau, was wir wollten, als wir vom Übungsraum ins Studio wechselten. Wir haben dann nicht mehr viel an den Songs geändert, höchstens mal ein Intro oder Outro. Wenn man sich im Kontrollraum einmal eine Aufnahme angehört hat, bekommt man sehr schnell ein Gefühl dafür, welche Idee funktioniert und welche nicht. Allenfalls bei dem sphärischen Stück „Man Alive" haben wir ein bisschen herumimprovisiert.
Wann war das letzte Konzert von Deep Purple vor der Corona-Krise?
Mein letztes Konzert mit der Band war am 10. Dezember 2019 in Cluj-Napoca in Rumänien. Im März 2020 hat die Band noch in Mexiko gespielt, aber ich war krank und wurde netterweise durch Jordan Rudess vertreten.
Der einzige Gig meines Lebens, den ich jemals verpasst habe. Jetzt haben wir Zeit, unsere Batterien aufzuladen. Dass es so lange dauern würde, hat natürlich niemand erwartet.
Wie oft telefonieren Sie mit den Kollegen?
Gar nicht so oft. Wir schreiben uns eher E-Mails. Ab und zu spreche ich mit Ian Paice und mit Roger Glover, mit dem ich seit 40 Jahren befreundet bin. Das Geheimnis der Langlebigkeit dieser Band ist der Abstand voneinander. Ich weiß zum Beispiel nicht viel über Steve Morse als Person. Aber als Gitarrist kenne ich ihn in- und auswendig.
Sammeln Sie bereits Ideen fürs nächste Purple-Album?
Tja, man weiß nie, was passieren wird. Die Zukunft ist sehr ungewiss. Wir leben in merkwürdigen Zeiten. Ich weiß, dass es andere Musiker gerade sehr schwer haben. Vielleicht können die gar nicht weitermachen. Meine Tochter arbeitet in der Forschung und beschäftigt sich speziell mit Corona-Tests. Kürzlich kam sie mit einem Lächeln auf den Lippen nach Hause. Sie darf nicht viel sagen, aber es gibt Hoffnung.
Sie schreiben gerade ein Buch über Ihr turbulentes Leben als Musiker. Können Sie sich noch gut an alles erinnern?
Ja, man nennt mich das Gedächtnis! Ich kann mich noch sehr gut an Geschichten erinnern, die vor 30 Jahren passiert sind. Ich denke, es wird ein ganz lustiges Buch, das hoffentlich bis Ende des Jahres fertig ist. Ich schreibe nicht mein Leben auf, sondern eher Anekdoten. Und es wird viele Fotos enthalten. Da sind einige echte Überraschungen dabei.
1979 holte Ritchie Blackmore Sie zu seiner Band Rainbow. Warum haben Sie es mit ihm nur zwei Alben lang ausgehalten?
Nach drei Jahren war ich total erschöpft. Mir hat auch nicht gefallen, in welche Richtung die Band sich entwickelte. Nämlich zu transatlantischem Pop. Es war nicht mehr so schön, seit Graham Bonnet und Cozy Powell ausgeschieden waren. Wir waren nämlich eine fantastische Band.
Deshalb bin ich einfach gegangen, ohne dass mir gekündigt wurde. Ich hatte halt ein besseres Angebot. (lacht)
Sie haben auch eine Weile mit Black Sabbath beziehungsweise Ozzy Osbourne gespielt. War diese Zusammenarbeit ähnlich intensiv wie die mit Deep Purple?
Intensiv? Aber hallo! Bei Ozzy ist praktisch jeden Tag etwas Unglaubliches passiert. Gutes wie Schlechtes. Wir waren eine tolle Band. Ich kann mich nicht erinnern, mit Ozzy jemals eine schlechte Show gespielt zu haben. Es lief damals einfach unheimlich gut. Ich finde, er ist brillanter und cleverer als die meisten anderen Performer und Sänger.
Lebte Ozzy in den 70er- und 80er-Jahren wirklich so wild und gefährlich?
Sobald Ozzy jenseits des Rampenlichts stand, benahm er sich nicht mehr wie ein Wahnsinniger, sondern verhielt sich eher vernünftig. Dafür sorgte schon seine Frau Sharon.
Viele Bands, die permanent Grenzen überschreiten, werden nicht alt. Mein Motto lautet deshalb: Sex & Golf & Rock’n’Roll. Wenn du wie Deep Purple jede Woche sechs Gigs spielen willst, kannst du dir nicht leisten, die ganze Zeit über die Stränge zu schlagen.
Sie waren der einzige Zeuge, als Osbournes Gitarrist Randy Rhoads 1982 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.
Ich schreibe darüber in meinem Buch. Es war eine traumatische Erfahrung.
Wie überlebt man 50 Jahre im Rockgeschäft?
(lacht) Man muss sehr verbissen sein. Es hilft, wenn man nicht zu sehr an das Geschäftliche denkt und sich auf die Musik konzentriert. Das Business kann manchmal schrecklich sein. Ich habe an vielen Sessions teilgenommen und viele neue Dinge entwickelt. Musik hat für mich etwas Therapeutisches.