Mundschutz ja oder nein – eines der Streitthemen in Corona-Zeiten. Dabei sind Maskenträger beispielsweise in vielen Museen ohnehin in guter Gesellschaft – denn auch auf so manchem Gemälde wird Gesichtsschutz getragen.
So kann, wer die Gemäldegalerie der Oldenburger Landesmuseen besucht, das Fragment eines Altarbildes von Lucas Cranach dem Älteren betrachten. Auf dem ist eine weibliche Figur zu sehen, die einen Mundschutz trägt, der den heutigen Anti-Corona-Masken verblüffend ähnelt. Wer die prächtig gekleidete und prominent in der Bildmitte platzierte Dame ist, wissen Kunsthistoriker nicht genau. Einige vermuten, dass es sich um Martin Luthers Ehefrau Katharina von Bora handelt. Der Renaissancemaler Cranach war mit dem Reformator und dessen Frau bestens bekannt, war sogar Trauzeuge bei ihrer Hochzeit.
Auch darüber, warum die Dame Maske trägt, wurde lange Zeit gerätselt. Doch ein Buch über die Kleiderordnung der damaligen Zeit hat Aufklärung gebracht. Solch eine Mundbedeckung gehörte nämlich in einigen deutschen Regionen zur Witwentracht. Ein ähnliches Accessoire tragen auch die Frauen auf einem Gemälde, das Cranach 1525 für den Leipziger Tuchhändler Ulrich Lintacher malte und das heute in der Obhut des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig ist.
Das Gemälde zeigt die „Verklärung Christi". Das Bild bestellte der betuchte Auftraggeber zur Ausschmückung seiner eigenen angedachten Grabstätte. Vermutlich auf Lintachers Wunsch fügte der Maler der biblischen Szene am unteren Bildrand die Familienmitglieder des Auftraggebers hinzu. Schwarzgewandet stehen dort die erste und die zweite Ehefrau sowie die erwachsenen Töchter Lintachers mit weißer Binde, die einige unter dem Kinn, andere über den Lippen tragen. Trauerbinden dieser Art waren in manchen Gegenden Bayerns noch bis ins 18. Jahrhundert hinein üblich. Der Zweck erklärt sich von selbst, schränkte die Gesichtsbedeckung doch die Aufnahme sozialer Kontakte und die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ein.
Mit einer Maske seine Identität wechseln
Genau den gegenteiligen Effekt haben die Masken, die man in Venedig schon seit Jahrhunderten während des Karnevals trägt. Die zauberhaften Gesichtsbedeckungen ermöglichten ihren Trägerinnen und Trägern in früherer Zeit, für ein paar Stunden, Tage oder Nächte in eine andere Identität zu schlüpfen, die strengen sozialen und moralischen Schranken zu durchbrechen. Inspirieren ließen sich Karnevalisten und Maskenbauer unter anderem von den Figuren der Commedia dell’arte, der Stegreifkomödie, die sich im Italien des 16. Jahrhunderts entwickelte und von Schauspielern landauf, landab auf Jahrmärkten aufgeführt wurde. Die Charaktere dieser Komödien waren bald einem riesigen Publikum bekannt, allen voran „Arlecchino", der naive Spaßmacher mit dunkler Maske und kunterbuntem Kostüm, „Pagliaccio", der tollpatschige Knecht mit der obligatorischen gelben Maske, „Colombina", die gewitzte Dienerin, kokett gekleidet, das wahre Gesicht hinter einer Larve versteckt, und „Pantalone", der dumme, eingebildete Kaufmann, den das Publikum an den roten Beinkleidern erkannte. Maler unterschiedlicher Epochen haben sich vom venezianischen Karneval und auch von den Figuren der Commedia dell’arte inspirieren lassen. So verewigte der Zeichner und Kupferstecher Jacques Callot im 17. Jahrhundert in seinen Stichen das maskierte Komödienpersonal. Später kamen Harlekin und Konsorten auch in Gemälden des venezianischen Barockmalers Giovanni Battista Tiepolo, des französischen Rokoko-Malers Antoine Watteau, des Impressionisten Paul Cézanne und beim Jahrhundertgenie Picasso zu Ehren – um nur einige der ganz Großen zu nennen.
Das Faszinierende an der Maskerade war, dass man hinter ihr Kritik an der Gesellschaft äußern konnte. Mächtige und eitle Zeitgenossen ließen sich so mitunter ungestraft verspotten. Denn den maskierten Narren wurde einiges verziehen. Dass die Commedia dell’arte nicht nur ein beliebtes Volksspektakel war, sondern durchaus auch an den Adelshöfen diesseits und jenseits der Alpen für Unterhaltung sorgte, zeigt zum Beispiel die „Narrentreppe", ein imposantes Treppenhausgemälde auf Burg Trausnitz im bayerischen Landshut. Über vier Stockwerke erstreckt sich die Malerei mit den lebensgroßen Maskenträgern, mit denen ein bayerischer Erbprinz seine Burg vor über 400 Jahren von einem italienischen Künstler ausschmücken ließ.
Die Maske zeigt das wahre Gesicht
In den künstlerischen Strömungen des frühen 20. Jahrhunderts machte die Maske als Stilmittel Karriere. Expressionisten, Kubisten, Symbolisten – die Pioniere der Moderne wendeten sich ab von der akademischen Lehrdoktrin ihrer Zeit und suchten nach neuer Formensprache. Dabei halfen ihnen die Masken außereuropäischer Kulturen, die damals in den Völkerkundemuseen von Paris, Berlin, Wien und in anderen europäischen Metropolen gezeigt wurden. Picasso, Matisse, Schmidt-Rottluff und viele ihrer Künstlerkollegen machten Anleihen bei den Vorlagen aus Afrika und Ozeanien. 1907 vollendete Picasso sein legendäres Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon". Die Gesichter der Prostituierten ähneln verblüffend den Plastiken, die Picasso kurz zuvor im Trocadéro, dem ethnologischen Museum von Paris, studiert hatte. In den Masken der „primitiven", also von westlicher Zivilisation weitgehend unberührten Kulturen manifestieren sich auf plastische Weise psychische Zustände: Todesangst, Schmerz und Trauer. Und genau das ist auch das Anliegen der europäischen Avantgardekünstler. In ihren Portraits und Selbstportraits wollen sie das Innerste des Menschen, die Gefühlswelt, nach außen kehren.
Als „Maler der Masken" ist der Belgier James Ensor in die Kunstgeschichte eingegangen. Der 1860 in Ostende geborene Maler stand zunächst unter dem künstlerischen Einfluss der Impressionisten, brachte stimmungsvolle Landschaften auf die Leinwand. Ab Ende der 1880er-Jahre aber tummeln sich befremdlich maskierte Gestalten auf seinen Gemälden. Die Karnevalsmasken, die Ensors Mutter in ihrem kleinen Laden in Ostende verkaufte, mögen Quell der Inspiration gewesen sein. Doch mit ausgelassenem Karnevalstreiben haben Ensors Masken nichts zu tun. Sie decken vielmehr die seelischen Abgründe auf, die sich hinter manch bürgerlicher Fassade verbergen. Die fiesesten Fratzen grinsen dem Betrachter auf Ensors Gemälde „Die Intrige" entgegen. Indem er sie maskierte, riss der belgische Symbolist seinen selbstgerechten Zeitgenossen die Maske herunter und zeigte ihr wahres Gesicht.