Den ohnehin verspäteten Einstieg in die neue Saison wollten die Handball-Bosse nicht ins neue Jahr verschieben, ab dem 1. Oktober wird in der Bundesliga wieder um Punkte gekämpft – und teilweise auch wieder vor Zuschauern.
Uwe Schwenker ist seit mehr als vier Jahrzehnten im deutschen Handballsport tätig, doch so eine Situation wie vor dem Startschuss zur neuen Bundesliga-Saison hat er auch noch nicht erlebt. Er verspüre eine „angespannte Vorfreude", sagte der Liga-Präsident – wobei die Betonung klar auf „angespannt" liegt. „Alle wissen, dass eine Vielzahl von Problemen auf die Clubs und die Clubverantwortlichen warten und dass die nicht mit dem Saisonstart behoben werden", sagte Schwenker. „Wir haben eine ganz problematische und schwierige Saison vor uns."
Die Unsicherheiten bezüglich der Besucherzahlen, das umfangreiche und teure Hygienekonzept, die Sorgen vor Corona-Fällen, die enormen Belastungen durch den verspäteten Saisoneinstieg, die finanzielle Not bei vielen Clubs: So viele Probleme wie jetzt hat es wohl tatsächlich noch nie vor dem Anpfiff einer Saison gegeben. Von Euphorie ist daher auch wenig zu spüren, schon eher Erleichterung, dass die handballfreie Zeit endlich vorbei ist und die Sportart aus dem Corona-Schlaf erwacht. „Wir müssen so schnell wie möglich wieder auf die Plattform", sagte Bob Hanning. Der Geschäftsführer der Füchse Berlin war einer der größten Befürworter für den Saisonstart am 1. Oktober, auch wenn dann noch längst nicht alle Unwägbarkeiten geklärt sein werden. Vor allem von den Spitzenclubs THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt hatte es zuletzt Forderungen gegeben, den ersten Spieltag erst im Januar stattfinden und dafür die Weltmeisterschaft in Ägypten (13. bis 31. Januar) ausfallen zu lassen. Das aber, so Hanning, wäre „völlig verkehrt". Die Mehrheit der Bundesliga-Verantwortlichen schloss sich dieser Meinung an. „Wir sind bei unserem Beschluss geblieben, wohl wissend, dass es nicht ganz unproblematisch sein wird, aber aus unserer Sicht gibt es keine Alternative dafür", sagte Schwenker.
Und so kommt es am 1. Oktober zu den ersten Anwürfen in der HBL, an jenem Tag trifft unter anderem der SC Magdeburg zu Hause auf den Bergischen HC. Zwei Tage später treten die Füchse bei der HSG Nordhorn-Lingen an. Am 4. Oktober greifen die beiden Topfavoriten Kiel (gegen HC Erlangen) und Flensburg (bei HSG Wetzlar) ein, die zuvor am 26. September im Supercup den ersten Titel ausspielen. Viel erwartet wird auch von den Rhein-Neckar Löwen um Weltklasse-Linksaußen Uwe Gensheimer.
„Angespannte Vorfreude"
Im Härtetest gegen Meister Kiel (25:26) haben aber auch die Füchse Berlin bewiesen, dass sie im Titelkampf ein Wörtchen mitreden können. „Wir brauchen uns vor keiner Mannschaft zu verstecken. Wir werden angreifen, egal welcher Gegner es ist", sagte Neuzugang Marian Michalczik selbstbewusst. Einen Rüffel von seinen Vorgesetzten bekam der Nationalspieler nicht – ganz im Gegenteil. Auch Hanning und Sportvorstand Stefan Kretzschmar wollen in der neuen Saison „die großen Drei" angreifen. „Wir waren letzte Saison Sechster", sagte Kretzschmar, „und ich bin jetzt kein Freund davon zu sagen, wir wollen jetzt Fünfter werden. Das wäre mir zu wenig." Dafür hat der Hauptstadtclub vor der Corona-Krise auch zu tief in die Tasche gegriffen. Die Neuzugänge Michalczik (aus Minden), Milos Vujovic (Tatabanya), und Lasse Andersson (Barcelona) stehen für Qualität – und werden auch entsprechend vergütet. Anfang September wurde zudem der Wechsel von Valter Chrintz (Kristianstad) bekannt. Der wichtigste Neuzugang steht aber an der Seitenlinie: Trainer Jaron Siewert, mit 26 Jahren jünger als viele seiner Spieler, hat sich in der Vorbereitung mit einem klaren Plan und einer viel gelobten Kommunikation Respekt verschafft. Doch die positiven Erlebnisse und Ergebnisse in der Vorbereitung wollte der frühere Essen-Coach nicht zu hoch hängen: „Man darf nicht alles rosarot sehen." Vor allem im Angriffsspiel sieht Siewert noch reichlich Verbesserungspotenzial. Dafür kann er sich auf seine Abwehr um den zuletzt bärenstarken Torhüter Dejan Milosavljev verlassen.
Top-Anwärter auf den Titel ist aber erneut Kiel, das in der vorzeitig abgebrochenen Corona-Saison aufgrund der Quotienten-Regelung zum Meister erklärt worden war. Die Zebras haben sich gut verstärkt, vor allem auf Neuzugang Sander Sagosen dürfen sich die Fans und die ganze Liga freuen. „Er ist ein Weltklasse-Handballer", sagte Kiels Sportlicher Leiter Viktor Szilagyi, „der große Ziele hat. Und die will er mit uns in der stärksten Liga der Welt erreichen." Etwas dagegen hat natürlich der Erzrivale aus dem hohen Norden. Allerdings absolvierte Flensburg eine eher durchwachsene Vorbereitung, bei den drei Testspielen gegen ausschließlich dänische Clubs war viel Schatten und wenig Licht erkennbar. Die Verletzungen der Kreisläufer Johannes Golla (Mittelfußbruch) und Jacob Heinl (Innenbandriss) trüben zusätzlich die Stimmung, genau wie die leere Halle beim Champions-League-Auftakt am 16. September gegen den polnischen Meister Vive Kielce. „Es wird eine Saison mit vielen Fragezeichen", sagte SG-Trainer Maik Machulla, er sprach sogar von der „schwierigsten Phase, seitdem ich da bin". Ein personeller Lichtblick ist immerhin die Leihe von Kreisläufer Domen Sikosek Pelko bis Jahresende.
„Was er macht, hat Hand und Fuß"
Auch die Rhein-Neckar Löwen sind nicht ungeschoren durch die lange Vorbereitung gekommen, Nationalspieler Jannik Kohlbacher verletzte sich zum Beispiel kurz vor Saisonstart am Ellenbogen. „Er hat einen kurzen Schlag am Arm gemerkt, und er hat kurz etwas gehört. Das ist nie ein gutes Zeichen", sagte Löwen-Trainer Martin Schwalb sorgenvoll. Gensheimer ist jedoch davon überzeugt, dass Schwalb eine Lösung für dieses und alle anderen Probleme finden wird. „Was er macht hat Hand und Fuß. Man merkt nicht, dass Martin einige Jahre raus aus dem Trainergeschäft war", sagte der Nationalmannschafts-Kapitän. „Ich kann nur sagen: Martin Schwalb ist ein echter Gewinn für die Rhein-Neckar Löwen." Auch deshalb steigere sich seine Lust auf die neue Saison „mit jedem Tag", so Gensheimer.
Schwenker und die anderen Liga-Bosse werden das gern hören. Und dass bei Vorbereitungsturnieren wie dem BGV-Cup wieder ein paar hundert Zuschauer zugelassen wurden, stimmt ebenfalls positiv. Gemäß der lokalen Corona-Bestimmungen ist auch bei Bundesligaspielen wieder eine bestimmte Anzahl von Hallenbesuchern zulässig. Im deutschen Handball macht sich eine „angespannte Vorfreude" breit.