Berlins einzige Seilbahn nahm vor drei Jahren pünktlich zur Eröffnung der IGA ihren Betrieb auf. Heute transportiert sie immer noch Ausflügler über die Gärten der Welt und den Kienbergpark. Ganz oben reicht die Sicht weit über die Stadt.
Knatternd biegt die Kabine um die Ecke, ein großes Rad an der Decke bremst das Führungsseil ab. Dann ruckelt es noch ein wenig, die Türen springen auf, und schon sitzt man drin – in der einzigartigen Berliner Seilbahn bei den Gärten der Welt in Marzahn-Hellersdorf. Sie war die große Attraktion der Internationalen Gartenausstellung (IGA) 2017 und hat damals über drei Millionen Besucherinnen und Besucher transportiert. Drei Jahre danach fährt oder besser schwebt sie immer noch über die Gärten, hoch zum Kienberg und über den gleichnamigen Park hinweg bis hinunter zur Station Kienberg der U-Bahn-Linie 5. Gefühlt ist die ganze Anlage weit draußen, oder „jottwedee", doch von hier aus ist man in 25 Minuten am Alexanderplatz.
Das Überraschende ist die Ruhe, die einen in diesen Kabinen umfängt. Kein Motorgeräusch, kein metallisches Quietschen von Stahl auf Stahl – man lehnt sich zurück, lässt den Blick schweifen und bestaunt die Welt von oben. Die technischen Details trägt Jens Sölter nach: „Sieben Stahlgittermasten halten ein Drahtseil, das die Benutzer durchschnittlich 30 Meter über der Parklandschaft schweben lässt. Die Geschwindigkeit beträgt maximal sechs Meter in der Sekunde." Sölter ist der Marketingmann der Betreibergesellschaft, der Tiroler Firma Leitner GmbH.
Die Gipfelstation der Seilbahn ist der „Wolkenhain", der sich auf dem 106 Meter hohen Kienberg erhebt. Der filigran wirkende Turm steht auf Stahlstützen, die drei Plattformen tragen, und bringt die Besucher auf 120 Meter über Normal Null. Das ist für Berlin schon fast schwindelerregend, und tatsächlich überblickt man die riesige Stadt auf der einen Seite bis zum Fernsehturm. Auf der anderen Seite reicht die Sicht bis zu den Müggelbergen ins Brandenburgische. Sechs ältere Herren freuen sich, dass sie es mit dem Wetter so gut getroffen haben, und fachsimpeln über Bahnstrecken von und nach Berlin – sie feiern den 49. Jahrestag ihres gemeinsamen Studienabschlusses als Eisenbahningenieure. Solche Besuchergruppen sind an diesem Tag viele unterwegs, dazu natürlich auch viele Schüler auf Klassenausflug, die ganz hibbelig an den Kassen warten und mit ihren Smartphones Selfies machen, was der Akku hergibt.
„Den Turm kann man mieten, er ist auch als Treffpunkt für Events beliebt", erzählt Sölter. „Der Love-Parade-Erfinder Dr. Motte hat hier seinen Geburtstag gefeiert." Den ganzen Tag über bis zum späten Abend unter freiem Himmel wurde gefeiert, umgeben von sattem Grün und bunten Blumen. Wegen Corona wurde daraus zwar nicht das große Sommer-Open-Air, aber auf dem Turm leuchtete die halb durchsichtige Außenhaut der Treppen und der Plattformen in magischem Licht.
Vom Gipfelpunkt geht es dann steil hinab zur Station auf der Seite, wo die U-Bahn ankommt. Tatsächlich muss der Besucher einfach nur aus der U-Bahn raus über die Straße, dann ist er schon am Kassenhäuschen. 6,50 Euro kostet die Fahrt. Es gab mal Pläne, die Seilbahn in die BVG zu integrieren, doch das scheiterte an den Kosten für den Betrieb.
„Dabei sind Seilbahnen die idealen Verkehrsträger", argumentiert Sölter. „Wir können in einer Stunde 3.000 Fahrgäste befördern. Das ist mehr als jedes andere Transportmittel." Dazu komme eine kurze Bauzeit von einem Dreivierteljahr, wenig Umweltbelastung und ein einziger, aber sehr starker Elektromotor, der das Stahlseil in seine Umlaufbahn zieht. Immerhin 14 Millionen Euro kosteten Bau und Betrieb der Seilbahn, eine Summe, die das Unternehmen Leitner selbst aufgebracht hat.
Highlight am Rand von Berlin
„Bisher hat sich die Bahn auch gut amortisiert", sagt Sölter. „Bis zu diesem Jahr, als die Corona-Pandemie ausbrach und wir alles stilllegen mussten. Die 700.000 bis 800.000 Besucher, die wir bräuchten, um die Finanzierung zu sichern, bekommen wir in diesem Jahr nicht mehr zusammen. Deswegen wäre es für uns gar nicht so verkehrt, wenn der Staat einsteigt."
Leitner ropeways, die damals die Ausschreibung für den Bau der Seilbahn gewannen, ist ein auf diesem Gebiet erfahrenes Unternehmen mit langer Tradition. Im Jahre 1888 in Sterzing (Südtirol) gegründet, baut Leitner schon lange nicht mehr nur für Wintersportler, sondern auch für Millionenstädte wie Mexiko, Santiago de Cali (Kolumbien), Südkorea und Ankara Seilbahnen. Die Verlagerung des Verkehrsflusses von der Straße in die Luft hat den Vorteil, dass die Bahn immer ihre eigene Fahrbahn hat, dass sie wenig Platz braucht und dass sie nur einen Bruchteil von den Kosten für eine U-Bahn oder eine Straßenbahn beansprucht. Damit wirbt die Firma auf ihrer Webseite – und sie hat so auch die Berliner Verkehrsexperten zum Träumen gebracht. Jens Sölter: „So war mal im Gespräch, eine Seilbahn nach Tegel zu bauen, wenn der Flughafen stillgelegt und dort ein neues Viertel entstanden ist. Oder eine quer über den Wannsee nach Kladow, und auch Köpenick und Pankow interessierten sich." Zu befürchten wird wohl sein, dass der Senat nicht das Geld in die Hand nimmt, so etwas wirklich mutig anzugehen.
Mittlerweile steht die Rückreise an: Wieder geht es auf den Kienberg hoch, und dann ganz allmählich hinunter zum Blumberger Damm, wo der Haupteingang der Gärten der Welt sich befindet. Rechts öffnet sich das Gelände. Gepflegte Wege, Springbrunnen, Baumgruppen, Sträucher und jede Menge Blumenbeete. Alles ist schon ein wenig herbstlich verblasst in diesem frühen Herbst, dem ein zu trockener Sommer voranging. Doch zu sehen gibt es immer noch sehr viel internationale Gartenbaukunst: ein italienischer Renaissancegarten, unter anderem ein chinesischer, ein japanischer, ein koreanischer Garten, ein Heckenlabyrinth, eine Freilichtbühne, eine Blumenhalle und das Besucherzentrum mit Ausstellungsbereich und angeschlossener Gastronomie.
Ursprünglich zur 750-Jahr-Feier Berlin im Jahre 1987 errichtet, wurde der Park nach der Wende 1991 in Erholungspark Marzahn umbenannt. Verwaltung und Pflege übernahm die Grün Berlin GmbH. Anfang der 1990er-Jahre entstanden große Spiel- und Liegewiesen sowie neue Spielplätze, und weitere Bäume wurden gepflanzt. 2008 beschloss der Berliner Senat, sich für die Internationale Gartenausstellung 2017 zu bewerben, bekam den Zuschlag und entschied sich für das Tempelhofer Feld als Ausstellungsort. Doch das passte den Veranstaltern der Internationalen Modemesse „Bread and Butter" nicht, die für mehrere Jahre den Hangar gemietet hatten. Und die Berliner selbst zeigten wenig Neigung an einer Blümchenschau auf dem riesigen Freigelände. Zum Glück wählte man 2012 den Erholungspark Marzahn aus und wertete damit entschieden die Berliner Peripherie auf. Das Gelände wurde von 21 auf 53 Hektar erweitert und in nur fünf Jahren neu gestaltet. Pünktlich zur Eröffnung der IGA am 13. April 2017 nahm auch die Seilbahn ihren Betrieb auf.