Dank ihrer rauen, drei Oktaven umfassenden Stimme stieg die vor 50 Jahren verstorbene Texanerin Janis Joplin in einer Blitzkarriere zum ersten weiblichen Rockstar auf. Sie wurde zur Ikone der Hippie-Kultur – und reihte sich in den berüchtigten „Club 27" ein.
Als „Me and Bobby McGee", eine Coverversion des Country-Songs von Kris Kristofferson, im März 1971 die Spitze der US-Billboards erstürmte, war die Interpretin schon fast eines halbes Jahr nicht mehr am Leben. Auf ihrem dramatischen Highway to Hell hatte sie am 4. Oktober 1970 in Los Angeles die falsche Abzweigung genommen und war im „Landmark Motel" an einer Überdosis Heroin verstorben. Sie schien immer auf der Überholspur zwischen Selbstzweifeln, Gefühlen des Ungeliebtseins und Minderwertigkeitskomplexen auf der einen und dem sie gleichsam mitreißenden Strom des Erfolgs als erstem weiblichen Superstar der Rockgeschichte auf der anderen Seite zu sein. Das Klischee von „Sex and Drugs and Rock and Roll" hatte sie in vollen Zügen adaptiert und damit eine bis dahin rein männliche Domäne für sich erobert.
Das Lebensmotto der Hippie-Dekade, „Lebe schnell, liebe heftig, stirb jung", wurde ihr erst im Nachhinein übergestülpt, weil es diesbezüglich Parallelen zur Vita von Musik-Titanen wie Jimi Hendrix oder Jim Morrison gab. Diese waren wie Joplin schon im Alter von gerade mal 27 Jahren verstorben. Später erhielten sie im „Club 27" noch Zuwachs von Kurt Cobain und Amy Winehouse. Wobei es verblüffende Übereinstimmungen in Biografie und Schicksal zwischen Joplin, die Queen des weißen Bluesrock, und Winehouse, die gefeierte Soulsängerin, gab. Beide konnten sich zuletzt der Sucht nach Heroin oder Alkohol nicht mehr erwehren.
Joplin pflegte sich Unmengen von Southern Comfort, einem Whiskeylikör, einzuflößen, wofür sie vom Hersteller sogar mit einer Werbeprämienzahlung in Höhe von 6.000 Dollar belohnt wurde. Das wäre ihr bei ihrem Auftritt in Woodstock beinahe zum Verhängnis geworden, weil sie ihren Gig am 16. August 1969 auf der Bühne mit gleich zehn Titeln, von „Summertime" über „Piece of My Heart" bis zu „Ball and Chain", in solch angetrunkenem Zustand absolviert hatte, dass ihre Plattenfirma Columbia Records die Aufnahme ihres mehr als bescheidenen Auftritts in der filmischen Woodstock-Dokumentation zunächst strikt untersagt hatte.
Leonard Cohen verarbeitete Affäre in einem Song
Rastlosigkeit und Übermaß zeichnete auch ihr Liebesleben aus, wobei sie wegen ihrer bisexuellen Neigung wahllos zwischen Männern und Frauen hin- und herwechselte und dabei auch Promis wie Leonard Cohen in ihr Bett gelassen hatte. Der sollte die kurze Affäre später im Song „Chelsea Hotel No. 2" verewigen. Das Heroin war nur die finale Todesursache, wie ihr musikalischer Weggefährte Eric Burdon rückblickend konstatiert hatte, denn, so Burdon: „Janis starb an einer Überdosis Janis." Eine traditionelle Trauerfeier hatte Joplin drei Tage vor ihrem Tod in einer Neufassung ihres Testaments ausgeschlossen. Stattdessen hatte sie verfügt, dass ihre Freunde in einer feuchtfröhlichen Party, auf der unter anderem die Band Grateful Dead spielte, von ihr Abschied nehmen sollten, wofür sie genügend Bargeld auf ihrem Konto bunkern ließ. Ihr sonstiges Vermögen hatte sie ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern vermacht.
Janis Lyn Joplin war am 19. Januar 1943 in einer wohlsituierten Familie im texanischen Port Arthur zur Welt gekommen, einer tristen, prüde-konservativ geprägten Küstenstadt an der Grenze zu Louisiana, in der sich alles um Erdöl drehte. Der Vater verdiente sein Geld bei Texaco, die Mutter hatte ein Gesangs-Stipendium zugunsten eines sicheren Bürojobs eingetauscht. Im häuslichen Umfeld wuchs Janis wohlbehütet auf, wobei die Mutter die musischen Neigungen der Tochter durch privaten Kunstunterricht förderte und sie auch zum Eintritt in den Kirchenchor animierte.
Die schulischen Leistungen von Janis boten keinen Grund zur Klage. Allerdings wurde sie bis zum Abschluss der Highschool 1960 wegen ihrer Pummeligkeit, ausgeprägter Akne und ihrem offenem Umgang mit afroamerikanischen Schülern gemobbt. Dadurch wurde sie nach und nach in eine Außenseiterrolle als „Niggerfreundin" oder „Schulschlampe" gedrängt, was sie seelisch tief verletzte und in ein „Bad Girl" verwandelte. Sie färbte sich beispielsweise die Haare Orange, trug Jungenklamotten und erlernte beim Abhängen mit ihrer Clique in Jazz-Cafés den harten männlichen Tonfall. Da sie in Port Arthur überall angeeckt war, war es für sie ausgemacht, dass sie nach ihrer Ausbildung zur Sekretärin 1961 die Küstenstadt so weit wie möglich hinter sich lassen wollte. In der texanischen Hauptstadt Austin begann sie ein Studium der Kunst. Das war aber offenbar noch zu nah gewesen, was sich 1962 an ihrer Kür zum „Hässlichsten Mann des Campus" durch eine Uni-Satirezeitung ablesen ließ. Janis war unter Missachtung sämtlicher Kleiderregeln, die damals Rock und weiße Kniestrümpfe vorschrieben, in Jeans und ohne BH zu den Vorlesungen aufgetaucht.
Im Milieu der Künstler wurde sie akzeptiert
Im Künstlermilieu des örtlichen Wohnblocks „The Ghetto" wurde sie akzeptiert und schloss Bekanntschaften mit Musikern, wodurch sie schließlich Sängerin in der Akustikband The Waller Creek Boys wurde. Ihren ersten öffentlichen Auftritt hatte sie schon Ende 1961 im „Halfway House" in Beaumont unweit ihrer Heimatstadt absolviert. Obwohl sie gelegentlich auch in Houston auf der Bühne stand, galt sie mit ihrer prägnanten, rauen Stimme bald als beste Sängerin Austins. „Whisky-Stimme" war nicht nur ein Ehrentitel, sondern spielte auf ihren reichlichen Konsum des Getränks an, dessen berauschende Wirkung sie gelegentlich durch Speed steigerte.
Musikalische Fortschritte brachten ihr Schnuppervisiten in Los Angeles 1961/1962, wo sie wahrscheinlich ihre Vorliebe für Blues- und Soul-Sängerinnen wie Bessie Smith, Aretha Franklin oder Odetta entdeckt hat. Wobei es als ein kühnes Unterfangen angesehen werden konnte, dass sich damals eine junge weiße Mittelklassen-Lady vor der Aufhebung der Rassentrennung den Stil schwarzer Soul- und Blues-Meisterinnen autodidaktisch aneignen wollte. Der Durchbruch ließ trotz erster Songaufnahmen im Juni 1964 mit Jorma Kaukonen, dem späteren Gitarristen von Jefferson Airplane, auf sich warten. Deshalb pendelte Janis Joplin bis 1966 zwischen San Francisco und Port Arthur und probierte dabei auch wieder diverse College-Studiengänge aus. In dieser Zeit hatte der Drogenkonsum, nun auch erweitert um Heroin, schon bedrohliche Ausmaße angenommen.
Dem Musik-Promoter Chet Helms, der Joplins sängerisches Riesentalent schon 1963 erkannt hatte, war es zu verdanken, dass sie im Frühjahr 1966 als Frontsängerin bei Big Brother and The Holding Company in San Francisco einsteigen konnte. Als Manager der Band konnte Helms ihr einen Plattenvertrag beim Label Mainstream Records vermitteln. Das den Bandnamen tragende Debütalbum wurde im Dezember 1966 fertiggestellt und im Sommer 1967 veröffentlicht. Und zwar wenige Tage nach Joplins Mega-Durchbruch beim legendären Monterey International Pop Festival, wo die Band am 18. Juni 1967 fünf Songs präsentiert hatte, darunter auch die erfolgreiche Singleauskoppelung „Down on Me". Die kam aber erst 1968 auf den Markt, nachdem Columbia Records die Band übernommen und das Debütalbum in leicht abgeänderter Form nochmals herausgebracht hatte. Dank Monterey wurde Joplin schlagartig zum weiblichen Rock-Superstar, wobei das Publikum vor allem die Coverversion des Big-Mama-Thornton-Songs „Ball and Chain" zu Begeisterungsstürmen hingerissen worden war.
Das Debütalbum war definitiv kein Verkaufsschlager
Dennoch war das Debütalbum alles andere als ein Verkaufsschlager. Das sollte sich beim zweiten, 1968 erschienenen Album „Cheap Thrills" grundlegend ändern, das Platz eins der Billboard-Bestenliste erklimmen sollte, die Singleauskoppelung „Piece of My Heart" schaffte es bis auf Platz zwölf. Janis Joplins zuweilen röhrende, röchelnde, rauchig-kreischende Stimme hatte sich endgültig den schwarzen Blues einverleibt, was die „Newsweek" zum Anlass nahm, Joplin im Mai 1969 mit der Coverseite zu würdigen. Musikalisch konnte es für Joplin mit der bisherigen Band, die keineswegs nur aus Profi-Musikern bestand, nicht mehr weiter vorangehen, weshalb sie ihre Solokarriere als Bandleaderin mit anderen Formationen fortsetzen musste.
Mit der von ihrer Plattenfirma zusammengestellten Kozmic Blues Band ging sie auf eine zweimonatige Europatournee und veröffentlichte 1969 das Album „I Got Dem Ol’ Kozmic Blues Again, Mama!". Es beinhaltet Evergreens wie „Try (Just a Little Bit Harder)" oder „To Love Somebody" und die Singleauskopplung „Kozmic Blues"/„Little Girl Blue". Es erreichte zwar Goldstatus, wurde aber durch das kurz vor Joplins Tod weitgehend fertiggestellte, mit der Full Tilt Boogie Band produzierte und nach Joplins Kosenamen betitelte Album „Pearl" merkantil weit in den Schatten gestellt. Auf dem hatten neben „Me and Bobby McGee" auch die Joplin-Klassiker „Mercedes Benz" und „Cry Baby" ihren Platz gefunden.