Für Pedelecs gibt es in Deutschland keine Altersbeschränkung. Während Unfallforscher scharfe Kritik üben, begründen Hersteller den Bedarf an Mini-E-Bikes. Unser Autor macht den Selbstversuch – mit den eigenen Kindern.
Adrian reißt das Klebeband ab, löst Klammern, die den Kartondeckel halten, hilft dabei, das 20-Zoll-E-Bike aus der Verpackung zu heben. Er hilft beim Festschrauben von Lenker und Pedale. Mein sechsjähriger Sohn kann es kaum abwarten, das kleine Elektrorad auszuprobieren.
Die ersten Runden auf dem Testrad vom deutschen Hersteller Ben-E-Bike dreht Adrian ohne Motorunterstützung. Erst mal ein Gefühl fürs Rad bekommen, auch für die hydraulischen Scheibenbremsen, die kräftiger zubeißen als Felgenbremsen – das sei wichtig, sage ich ihm. Er nickt erwartungsvoll. Als Adrian mit Tretunterstützung losdüst, gibt er Laute von sich, als säße er im „Power Tower" auf der Kirmes. Und als er heranbraust, verkündet er: „Das ist toll! Auf dieses Fahrrad will ich sparen!" Ich kalkuliere im Kopf, wie viele Wochen Taschengeld das wären und komme auf über 30 Jahre.
E-Bikes für ihre Kragenweite finden Kinder offenbar spitze. Und Hersteller wittern ihre Chance, neue Bedürfnisse zu wecken. Conway, Bergamont, KTM, Orbea der Cube – viele Marken bieten bereits E-Mountainbikes im Format 20- oder 24-Zoll an, empfohlen teils ab sechs Jahren.
Das österreichische Kinderfahrrad-Start-up Woom flankiert den Marktstart seiner ersten E-Bike-Modelle mit in einem Blog-Beitrag über „5 Gründe, warum E-Bikes auch für Kinder geeignet sind". Einer davon lautet, mit elektrischer Unterstützung könnten Kinder auf Touren mit den Eltern mithalten. „Wenn Mama und Papa ein E-Bike fahren, wie soll das Kind ohne eines motiviert sein?", sagt Woom-Bike-Chef Christian Bezdeka. Er behauptet: „Wir sind die Gegenthese zu Handys und Screens." E-Bikes würden Kinder „ganz sicher" von den Devices wegbringen.
Für meinen größeren Sohn Jakob haben wir zu Testzwecken das Woom-Pedelec Up 5 bestellt, ein 24er-Modell für Kinder ab sieben, das statt des Heckmotors wie am Ben-E-Bike von einem Mittelmotor angetrieben wird. Sonst nicht unbedingt ein großer Fan des Fahrradfahrens, stimmt der Zehnjährige einer Tour durch den Wald sofort zu. Aber würde ich ihn mit eingebautem Turbo allein zur Schule fahren lassen?
Ich rufe Siegfried Brockmann an, der beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft die Unfallforschung leitet. Von den Mini-E-Bikes hält der gar nichts: „Der Dauerspeed, den sie ermöglichen, ist nicht verantwortbar." Auf einem normalen Fahrrad erreichten Kinder zwar auch 20 km/h, bei denen unsere Testbikes die Tretunterstützung einstellen. „Aber doch nur unter Anstrengung", mahnt Brockmann.
Da werden die Kinder direkt zum Fahrrad-Fan
Anhaltend hohe Geschwindigkeit sei das eine Problem, die kräftige Beschleunigung das andere. Kinder würden quasi in Gefahrensituationen katapultiert, denen sie nicht gewachsen seien: „Der Perspektivwechsel, die Fähigkeit, sich in andere Verkehrsteilnehmer hineinzuversetzen, ist frühestens ab zwölf, manchmal sogar erst ab 16 Jahren ausgeprägt." Zudem fehle es Kindern oft an Gefahrenbewusstsein. Auch Roland Huhn vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) warnt: „Bis zu einem gewissen Alter können Kinder nicht einmal stehende von bewegten Autos unterscheiden." Erhebungen zu Sonderrisiken im E-Bike-Kontext fehlen jedoch bislang.
Auf den Waldwegen begegnen wir keinem Auto. Steigungen, die uns als Familie sonst zum Schieben gezwungen hätten, surren wir hoch. Wir nehmen Trampelpfade, und ich gebe zu: Auch mir macht es Spaß, diese Erfahrung als Vater mit den Kindern zu teilen. Zurück im Stadtverkehr bitte ich die Kinder, den Motor auszuschalten. Vor allem der anzugskräftige Heckmotor, der ausgerechnet das kleinere Bike antreibt, ist mir zu riskant. Ich möchte vermeiden, dass mein Nachwuchs auf dem Bürgersteig unkontrolliert Passanten umfährt – denn dort sind die beiden – Motor-Boost hin oder her – rechtmäßig unterwegs.
Neben grundsätzlichen Sicherheitsbedenken sieht Josef Weiß, Verkehrspädagoge von der Deutschen Verkehrswacht, aber einen deutlichen Unterschied: Sicher Fahren lernen dauere auf einem normalen Fahrrad Jahre – seiner Ansicht nach eine Voraussetzung für den Umstieg auf ein E-Bike.
Steigungen surrt man einfach hoch
„Aus pädagogischer Sicht würde ich als Eltern außerdem die größere Anstrengung vorziehen. Das gibt dem Kind das Gefühl, etwas geschafft zu haben, und stärkt sein Selbstvertrauen." Als wolle Jakob dies belegen, fährt er mit dem Woom im Stand-by-Modus durch eine Senke mit tiefem Sand und freut sich danach: „Ich habe es geschafft – ohne Motor!"
Dennoch betrachten Hersteller wie Woom ihre E-Bikes auf die „kindlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten" zugeschnitten. Kindgerecht sei der Antrieb, behauptet Woom über den eingebauten Mittelmotor des bayerischen Herstellers Fazua, weil dieser die Muskelkraft nur moderat unterstütze. Jakob nimmt den Unterschied zum kräftigen Hecknabenantrieb am Ben-E-Bike deutlich wahr: „Er ist nicht so krass." Grundsätzlich meint der Zehnjährige zur Motorunterstützung aber: „Man kann nicht so gut kontrollieren, weil es nicht die eigene Kraft ist."
Angesichts der Rechtslage dürfen Eltern selbst entscheiden, ab welchem Alter sie ihr Kind aufs E-Bike setzen und wo sie unter Einhaltung der Verkehrsregeln fahren. Pedelecs sind Fahrrädern rechtlich gleichgestellt, sagt ADFC-Rechtsexperte Huhn. Seiner Ansicht nach spreche zwar nichts dafür, Kindern ein Fahrzeug an die Hand zu geben, „das ihre körperlichen und kognitiven Fähigkeiten überfordert." Dennoch sieht er keine Notwendigkeit für eine Altersgrenze. Diese „würde für Kinder, die zum Beispiel wegen einer Behinderung ein Pedelec fahren, eine Ausnahmegenehmigung nach medizinischer Begutachtung erforderlich machen."
Eltern entscheiden selbst, ab wann das Kind fahren darf
Ben-E-Bike Geschäftsführer Andreas Österle berichtet mir von einer Kundin, einer Mutter und ihrem siebenjährigen Sohn, der an einer Muskelerkrankung leide. Nicht mithalten zu können, habe diesen oft traurig gemacht. Mit dem E-Bike begleite er seinen Vater nun auf Touren durchs Siebengebirge. Österle räumt aber ein: „Im Wald und auf dem Trail ist der Einsatz von Kinder-E-Bikes sicher sinnvoller als in der Stadt." Für Anika Meenken jedenfalls, Sprecherin für Radverkehr und Mobilitätsbildung beim Verkehrsclub Deutschland (VCD), kommen Kinder-E-Bikes nur für einen kleinen Nutzerkreis infrage. Elektroräder könnten etwa auch unsportliche Kinder motivieren, sich überhaupt zu bewegen: „Viele denken, E-Rad zu fahren sei kein Sport." Das stimme aber nicht.
Bei unseren Ausfahrten im Wald zeigt die Lernkurve der Söhne im Umgang mit der Extra-Power nach oben. „Um Strom zu sparen", schaltet der Kleine den Motor zwischendurch interessanterweise immer wieder auf Stand-by – gleichwohl lässt er sich von der Bedieneinheit ablenken. Und er sagt Sätze wie: „Man muss damit umgehen können in den Kurven, verstehst Du?" Als wir wieder auf dem Bürgersteig fahren, sagt der Große: „In der Stadt schalte ich den Motor lieber wieder aus."
Später frage ich mich, wie wir und andere Eltern Kinder-E-Bikes finanzieren würden. Das Ben-E-Bike kostet 1.699 Euro, das Woom mit 2.890 Euro legt noch eine Schippe drauf. Bei meinen Söhnen flaut die Begeisterung nach ein paar Tagen übrigens merklich ab. Jakob meint zur Motorpower: „Brauch ich nicht, ist aber manchmal ganz gut." Er lobt dafür die guten Rolleigenschaften des Woom und findet sogar wieder Gefallen daran, ohne Zusatzantrieb zu fahren. Und Adrian widerlegt das Urteil, E-Bikes seien für Kinder schlecht zu handeln, da zu schwer. Er kommt mit dem E-Bike klar, wie mit seinem eigenen Rad. Aber ich ahne es schon: Wenn es an den Rückversand geht, werde ich die Bikes vielleicht alleine einpacken müssen. Aber wer weiß.