Einmischung von außen befeuert den Konflikt um Bergkarabach
Was kümmert uns der Kaukasus? Konflikte, die sich zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meer abspielen, mögen für Europäer weit weg erscheinen. Doch die Kriege in Georgien und Tschetschenien in den 90er- und 2000er- Jahren wirkten sich auch geopolitisch aus. Und gelegentlich kommen die Einschläge ganz nah.
Man denke nur an den Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin. Im August 2019 wurde Zelimkhan Khangoshvili, ein Exil-Tschetschene georgischer Abstammung, am helllichten Tag erschossen. Er hatte im Zweiten Tschetschenienkrieg gegen russische Sicherheitskräfte gekämpft. Laut Bundesanwaltschaft wurde er im Auftrag der Zentralregierung in Moskau getötet.
Tschetschenien ist nicht nur ein politischer Unruheherd. In der russischen Kaukasusrepublik ließen sich islamistische Kämpfer für den „heiligen Krieg" ausbilden, bevor sie nach Syrien, in den Irak oder nach Afghanistan zogen. Sie standen mit Terrorgruppen weltweit in Verbindung, gaben Informationen weiter und zündelten mit ihrem Hass.
Nun lodert in Eurasien ein alter Konflikt neu auf. Armenien und Aserbaidschan, beides ehemalige Sowjetrepubliken, streiten um das Gebiet Bergkarabach. Seit Beginn der Woche schießen beide Länder aufeinander, Panzer und Kampfflugzeuge wurden eingesetzt, viele Menschen wurden getötet.
Es geht um Religion, Ethnien und alte Feindschaften. In Armenien leben Christen, in Aserbaidschan Muslime. In Bergkarabach waren über viele Jahrhunderte beide Religionsgemeinschaften vertreten, heute wird es mehrheitlich von christlichen Armeniern bevölkert. Das Gebiet hatte in der UdSSR den Status einer autonomen Region Aserbaidschans.
Die Armenier fühlten sich jedoch diskriminiert. In den 60er-Jahren brachen Unruhen aus, 1988 eskalierte der Konflikt zu einem Kleinkrieg. Nach dem Zerfall des kommunistischen Imperiums erklärte sich Bergkarabach 1991 für unabhängig. Doch es wurde international nicht anerkannt und gilt heute völkerrechtlich als Teil von Aserbaidschan. 1992 kam es zur offenen militärischen Konfrontation zwischen Aserbaidschan und Armenien. Auf beiden Seiten gab es Gemetzel und Plünderungen. Bis zum Waffenstillstand 1994 wurden bis zu 35.000 Menschen getötet.
Die aktuelle Krise fällt wesentlich heftiger aus. Gefährlich ist die Einmischung von außen. Die Türkei hat das öl- und gasreiche Aserbaidschan in den vergangenen Jahren bei der Modernisierung seiner Armee unterstützt. Nach dem Beginn der neuesten Gefechte sicherte Ankara dem muslimischen Bruderland umgehend Hilfe zu. Staatschef Recep Tayyip Erdogan präsentierte mit breiter Brust gleich eine Maximalforderung: „Wenn Armenien sofort das Gebiet verlässt, das es besetzt, dann wird die Region zu Frieden und Harmonie zurückkehren."
Nach Angaben der Regionalregierung von Bergkarabach griff Ankara aktiv in die Kämpfe ein: Die türkische Armee habe Waffen, Soldaten und Söldner nach Aserbaidschan entsandt, heißt es in Baku. Die Türkei ringt in der Region mit Russland um Einfluss. Moskau hat freundschaftliche Beziehungen zu beiden Seiten. Es unterhält in Armenien einen Militärstützpunkt, schickte aber auch Waffen nach Aserbaidschan.
Russland und die Türkei sind taktische Verbündete – mehr nicht. Im Astana-Prozess verhandeln beide Länder zusammen mit dem Iran über Lösungen im Syrienkrieg. Erdogan bietet dieser Schulterschluss den strategischen Vorteil, dass er in Nordsyrien eine Pufferzone ohne Kurden schaffen kann.
Dabei stehen die Türkei und Russland in verschiedenen Konflikten auf unterschiedlichen Seiten. Erdogan begreift sich als Gegner des syrischen Machthabers Baschar al-Assad, Kremlchef Wladimir Putin als dessen wichtigster Allianzpartner. In Libyen rüstet Ankara Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch auf, Moskau liefert hingegen Waffen und Söldner an dessen Kontrahenten General Haftar. Und im Streit um Bergkarabach greift Erdogan den Aserbaidschanern unter die Arme, Putin in erster Linie den Armeniern.
Bei seinen teuren Militäreinsätzen wird der türkische Präsident von dem Ehrgeiz getrieben, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen: Er will eine Neuauflage des Osmanischen Reiches schaffen, dessen Machtbereich sich von Nordafrika bis zum Nahen Osten und nach Eurasien erstreckte. Im Konflikt um Bergkarabach wirkt das gerade als Brandbeschleuniger.