Der AfD-Landesverband Saar gilt seit Jahren als politischer Pflegefall. Eine Familie dominierte die Partei, anstelle konkreter Politik zettelte man unentwegt Machtkämpfe an. Nun will der Bundestagsabgeordnete Christian Wirth aus Neunkirchen die AfD an der Saar neu organisieren.
Herr Wirth, wie reanimiert man politisch eine Saar-AfD nach desaströsen fünf Jahren Dörr-Dynastie?
Na, das ist natürlich keine einfache Aufgabe, aber sie ist machbar. Vor allem, weil wir im Saarland eine Regierung haben, die uns von der AfD praktisch die Themen ja von allein präsentiert. Also wieder zurück zu den Sachthemen und Politik machen für die saarländischen Bürger.
Wo sind die Angriffspunkte?
Wir haben gerade durch die ausgerufene Corona-Krise ganz schwerwiegende Themen im Saarland. Denn für uns an der Saar steht einmal die Autoindustrie im Mittelpunkt, da geht es um Tausende von Arbeitsplätzen, die gerade reihenweise gestrichen werden. Es geht um die Stahlindustrie, die mit immer neuen Umweltauflagen drangsaliert wird. Da ist die Gastronomie, die nicht mehr richtig arbeiten kann. Das Saarland ist auch ein Tourismusland. Doch wo ist die bundesweite Kampagne, wo sind die Plakate zum Beispiel hier in Berlin, wo ist das Saarland, das für sich als Tourismusland wirbt? Ich habe noch keines gesehen. Alle anderen Länder machen das, wir nicht. Und das in einer Zeit, wo die führenden Bundespolitiker zum Urlaub in Deutschland aufrufen.
Noch mal zurück zum „System Dörr", das im Landesverband viele Freunde gehabt haben muss. Droht nicht jetzt ein regelrechter Schwund von AfD-Mitgliedern?
Nein, ganz im Gegenteil, wir haben jetzt einen erheblichen Mitgliederzuwachs. Dazu muss man das „System Dörr" verstehen. Denn das beruhte ja zum einen darauf, alle, die eine andere Meinung hatten, aus der Partei rauszuekeln. Jeder, der nicht der Meinung des großen Landesvorsitzenden war, wurde schlicht und ergreifend weggemobbt. Beziehungsweise der AfD-Landesverband Saar hat jahrelang Leute gar nicht erst aufgenommen, die den Delegierten-Proporz zugunsten Dörr hätten gefährden können. Jetzt können wir wieder Leute aufnehmen, und das machen wir, denn es gibt politisch viel zu tun.
Was gibt Ihnen denn die Zuversicht, dass auch der Zuspruch aus der Bevölkerung für die AfD wieder zunimmt?
Also, der Zuspruch hat immer bestanden. Wir sind trotz der ganzen Querelen der letzten Jahre bei den Wahlen und aktuell in den Umfragen deutschlandweit ganz stabil. Und dieser Zuspruch wird zunehmen, denn die anderen Parteien, vor allem aber die Regierung von Tobias Hans und Anke Rehlinger, haben bereits jetzt schon keine Antworten mehr auf die drängenden Fragen. Was ich gerade angesprochen habe: Arbeitsplatzverluste bei Auto, Stahl, Gastro-Gewerbe und Tourismus. Und ich befürchte, die kommenden Monate werden für die Saarländer nicht einfacher. Die Arbeitslosigkeit zum Beispiel wird steigen und die Stimmung wird dann auch ganz schnell kippen.
Ich merke das jetzt schon, zum Beispiel bei der Maskenpflicht für Schüler. Ein wirres System, das kein Mensch versteht, schon gar nicht die Betroffenen selbst. Die Auswirkungen sehen sie ja bereits jetzt schon bei den Beliebtheitswerten der Grünen.
Vor einem Jahr noch der absolute Liebling in den Umfragen.
Ganz genau. Und jetzt sind sie wieder auf ein normales Maß gestutzt worden. Umweltschutz ist richtig und wichtig und ich als konservativer Politiker kämpfe für den Erhalt der Schöpfung. Aber man muss doch immer ein bisschen drauf achten, dass man nicht eine gesamte Volkswirtschaft abwürgt. Es werden in den kommenden Monaten leider Gottes viele Saarländer merken, wie verheerend die ganzen Umweltmaßnahmen sich auf unseren Alltag auswirken.
Wo bietet denn Ministerpräsident Tobias Hans für Sie politisch die größte Angriffsfläche?
Was mich seit Jahren stört, und nicht erst, seitdem der jetzige Ministerpräsident angetreten ist, ist diese Berlin-Hörigkeit. Was ja nicht verwunderlich ist, da ja im Bund und hier im Land eigentlich immer die gleichen Parteien regieren. Da kommt das Saarland seit Jahren immer zu kurz. Nehmen sie die Verhandlungen der Kohlekommission. Nicht nur Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen sind aus der Kohle ausgestiegen, sondern auch das Saarland. Doch von dem 40-Milliarden-Paket für den Kohleausstieg kommt nicht ein Euro im Saarland an. (Das Saarland erhält projektbezogen 128,5 Millionen Euro, Anm. d. Red.) Wer verhandelt denn so? Wir sind 2014 bei unserem Kohleausstieg aus der Portokasse abgespeist worden. Jetzt geht es um Milliardensummen, und da wäre es nur fair gewesen, dem Saarland für Infrastrukturmittel Geld davon abzugeben. Ganz abgesehen von dem leidigen Thema gleichwertige Lebensverhältnisse. Wird in jeder Sonntagsrede gefordert. Doch hier auf der politischen Bühne in Berlin höre ich davon wenig.
Ihr Ziel ist der Landesvorsitz der AfD Saarland. Wenn das klappt, sind Sie dann politisch auf Bundesebene eher bei Jörg Meuthen oder Tino Chrupalla?
Tino Chrupalla kenne ich besser, er ist ein Fraktionskollege von mir hier im Bundestag. Von Jörg Meuthen bin ich nach den letzten sechs Monaten doch etwas enttäuscht, denn er hat einige Böcke geschossen. Aber ich bin jemand, der gerne vermittelt, der versucht bei unterschiedlichen Standpunkten dann einen Kompromiss zu finden. Also ich kann mit beiden, auch wenn ich von Prof. Meuthen, wie gesagt, etwas enttäuscht bin.
Meinen Sie mit „Bock geschossen" den Rauswurf des brandenburgischen Landeschefs Andreas Kalbitz?
Auch das ist so eine Geschichte, die juristisch problematisch ist und uns an den ordentlichen Gerichten während des Wahlkampfes beschäftigen wird. Letztlich hat sich das Thema Kalbitz durch seinen Fausthieb politisch in der Partei wohl erledigt. Aber kurz zuvor hat Meuthen öffentlich über eine Spaltung der Partei fabuliert. Das macht man als Sprecher der Partei nicht. Grundsätzlich sollten wir uns mit kritischen Geistern lieber innerhalb der Partei auseinandersetzen als diese auszuschließen. Man darf nicht vergessen, dass die Menschen in Ost und West oft noch anders ticken und einen unterschiedlichen politischen Sprachgebrauch pflegen. Allerdings darf es für nationalsozialistische Tendenzen keinen Raum geben.
Wie verorten Sie sich selbst denn politisch? Sie kommen ursprünglich aus der FDP. Sind Sie ein liberaler Patriot im Sinne der bürgerlichen Revolution von 1848?
Ich komme aus der nationalen FDP-Ecke um Graf Lambsdorff und Möllemann. Also, liberaler Patriot trifft es schon ganz gut. Man darf immer eines nicht vergessen: Nicht ich habe mich so grundsätzlich verändert, sondern das Land hat sich verändert, also auch die damalige FDP hat sich verändert.
Und darum habe ich nun meine Heimat in der AfD gefunden.