Von organisierter Kriminalität bis zur internationalen Sicherheit: Die großen Herausforderungen sind national nicht zu bewältigen. Die EU entwickelt sich mehr und mehr auch zu einer Sicherheitsunion.
Viele Menschen fühlen sich unsicher. In der Tat, die täglichen Nachrichten können einen ängstigen. Innerhalb unseres Landes und erst recht drumherum ist einiges auf die schiefe Bahn geraten. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hatte in ihrer Antrittsrede angekündigt, die europäische Lebensart und damit die Rechte und Freiheiten der EU-Bürger und -Bürgerinnen zu schützen. Im August hat der zuständige Kommissar Margaritis Schinas ein umfassendes Konzept für eine ‚Europäische Sicherheitsunion‘ vorgelegt. Die Menschen in der EU sollen vor verschiedenen Risiken und Gefahren besser geschützt werden. Viele Probleme lassen sich im nationalen Raum allein nicht mehr befriedigend lösen. Im EU-Verbund können Herausforderungen für die Sicherheit besser angepackt werden, zumal bei offenen Grenzen die Sicherheit eines Landes auch die Sicherheit der anderen Länder mit sich bringt.
Man braucht nicht mit dem Finger auf andere Kontinente zu zeigen, auch in Europa ist jedes Thema präsent. Die organisierte Kriminalität schafft einen Jahresumsatz von 30 Milliarden Euro im Drogenhandel, 35 Milliarden Euro im Menschenhandel oder Schäden von über 40 Milliarden Euro durch Produktfälschungen. Durch Datenklau und Industriespionage gehen jährlich 60 Milliarden Euro verloren.
Europa ist nach wie vor eine Zielscheibe für den internationalen Terrorismus. Die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden über die europäische Polizeiagentur Europol hat schon so manchen Anschlag verhindert. Ein Gesetzespaket ist in Brüssel auf den Weg gebracht worden, um der Mafia und den Terroristen die Geschäfte zu erschweren. So ist das Gesetz zur Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen verschärft worden. Es gibt eine Meldepflicht für den Verkauf von Ausgangsstoffen zur Herstellung von chemischen und biologischen Waffen und die Einfuhr oder Ausfuhr von Schusswaffen. Das Gesetz gegen Geldwäsche soll Licht in das Dunkel der Verschiebung von Finanzmitteln auf verschiedene Bankkonten bringen, um illegal kassierte Gelder zu horten oder eine Straftat vorzubereiten. Auch die europäische Richtlinie zur Sicherheit nationaler Personalausweise und Reisedokumente bringt erhebliche Verbesserungen. Teilweise sind diese Dokumente noch auf einfachem Papier ausgestellt. Jetzt sind fälschungssichere Ausweise mit Fingerabdruck und kontaktlosem Erkennungschip vorgeschrieben.
Ein schnell wachsender Sektor für kriminelle Machenschaften ist das Internet. Cyberattacken können einzelne Institutionen und Firmen lahmlegen oder im schlimmsten Fall auch die gesamte Infrastruktur wie Energie- oder Wasserversorgung. Die EU macht erhebliche Anstrengungen, die Sicherheit im Internet herzustellen. Die Joint Cyber Unit in Brüssel vernetzt korrespondierende Stellen aus den 27 Mitgliedsländern, um schnell Gefahrenquellen ausfindig zu machen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. So sind die Onlinedienste und Internetfirmen verpflichtet, kriminelle und terroristische Inhalte binnen einer Stunde zu löschen, Fake News und Falschinformationen binnen eines Tages. Die Desinformationskampagnen aus Russland und neuerdings auch aus China konnten so schnell identifiziert und auch gekontert werden.
Covid-19 hat den Europäern eine andere Flanke der Verwundbarkeit gezeigt. Nicht nur, dass sich die Gesundheitssysteme in etlichen Ländern in einem blamablen Zustand befinden. Europa ist in einer bedenklichen Abhängigkeit von Lieferketten aus Ländern in Asien. Medizingeräte wie Atemmasken, Ventilatoren und so weiter kommen größtenteils aus China, Medikamente werden überwiegend aus Indien zu uns geliefert. So gibt es in der EU keinen Produzenten, der das Schmerzmittel Ibuprofen herstellt. Hier ist eine Korrektur angesagt. Die EU braucht für solche Fälle strategische Reserven und ein gewisses Maß an Unabhängigkeit bei der Herstellung lebensnotwendiger Produkte.
Ein neues Feld ist das Projekt „sichere europäische Städte". Etliche Vorfälle in den vergangenen Jahren zeigen die Verwundbarkeit urbaner Zentren. Die Sicherheit im öffentlichen Raum ist für die Menschen ein hohes Gut. Die EU will dieses Thema aufgreifen und bewährte Praktiken für städtische Abwehrmaßnahmen fördern. So können die Drohnen, die es mittlerweile in jedem Kaufhaus zu erwerben gibt, eine neuartige Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit sich bringen.
„Eine andere Flanke der Verwundbarkeit gezeigt"
Mehr Sicherheit gibt es durch gegenseitigen Beistand in Notlagen. Der Europäische Zivilschutz Mechanismus (Resceu) wurde schon 13-mal aktiviert, bei großen Waldbränden, aber auch bei Überflutungen, Wirbelstürmen und Erdbeben. Durch die Erfahrungen mit Corona fordert das Europäische Parlament die Ausweitung der gegenseitigen Solidarität in der EU auch auf den Gesundheitssektor. Ein Verbot, anderen Mitgliedstaaten Masken und Ventilatoren zu liefern, sollte nicht mehr vorkommen.
Die Europäische Sicherheitsunion beschäftigt sich nicht nur mit Sicherheitsproblemen innerhalb der EU, sondern auch mit den Gefahren von außerhalb. Die Themen tauchen spiegelbildlich alle wieder auf, Menschen-, Drogen- oder Waffenhandel, Terrorismus, Cyberattacken und so weiter. Aktionspläne und Sicherheitspartnerschaften mit Staaten in der südlichen und östlichen Nachbarschaft sollen Abhilfe schaffen.
Nicht unerwähnt bleiben darf die militärische Sicherheit Europas. Nachdem sich die USA von Europa abwenden und sich auf den pazifischen Raum mit Blick auf China konzentrieren, muss die EU mehr für ihre eigene Sicherheit tun. Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft ist ein Zukunftsprogramm. Erste Schritte mit polizeilichen und militärischen Missionen der EU auf dem Balkan, im Nahen Osten und Nordafrika sind getan. Viel mehr muss noch folgen.
Vorreiter ist die EU bei der ökologischen Sicherheit. Der „European Green Deal" hat eine umfassende Nachhaltigkeit zum Ziel, vom Klimaschutz bis zum Tierwohl und der Biodiversität mit dem Schutz der natürlichen Existenzgrundlagen. Das europäische Beispiel findet hoffentlich nach den Präsidentschaftswahlen einen Partner auch in den USA.
Frieden war das Mantra für die europäische Integration im letzten Jahrhundert. Das ist zwischen den Staaten der EU erreicht. Sicherheit ist das Mantra unserer Zeit. Die Europäische Sicherheitsunion antwortet auf das Bedürfnis vieler Menschen, ein Leben ohne Angst führen zu können.
In dem Maße, wie dieses Ziel erreicht wird, wird die Zustimmung zur gemeinsamen europäischen Politik weiter steigen.