Polnische Mode mit dem gewissen Etwas ist mutig und experimentierfreudig. Ein Blick in die Geschichte polnischer Eleganz und Avantgarde bringt Erstaunliches zutage.
Die Polin hat von allen Reizen die exquisitesten vereint. Womit die anderen geizen, bei ihr als Bukett erscheint", heißt es in der Operette vom Bettelstudenten. Über die viel zitierte modische Polin erfahre ich mehr in Breslau. „Die Blume Europas", wird die Stadt genannt. Hier treffen Menschen verschiedenster Nationen und Kulturen aufeinander.
In der Cocktail Bar „Speak easy" auf dem Altmarkt lerne ich Kornelia und Joanna kennen. „Wir lieben das Anziehen und Umziehen und das Sich-hübsch-machen", meint die 35-jährige Kornelia. „Das liegt uns im Blut. Schon meine Mutter und Großmutter sahen immer extravagant aus. Sie trugen hochhackige Schuhe und toupierten sich die Haare", fügt Joanna hinzu. Es waren keine wohlhabenden Frauen. Sie trugen oft noch dieselben Kleider, ohne dass sie aus der Mode kamen, zuerst von der Urgroßmutter, dann der Großmutter und der Mutter. Es waren keine wohlhabenden Frauen. Im sozialistischen Polen hatten die Läden nicht viel anzubieten. Deshalb ließen viele Polinnen beim Schneider ihre Kleider nähen. Die Stoffe waren knapp. Fast jede zweite Frau hatte eine Nähmaschine zuhause.
Wenn es Kleider von Barbara Hoff, eine der bekanntesten Modeschöpferinnen aus den 80er-Jahren zu kaufen gab, gab es lange Schlangen vor den polnischen Geschäften. Barbara Hoff entwarf die polenweit erste Marke prêt-à-porter. Im Gegensatz zur Haute Couture wurde die Bekleidung dabei nicht maßgeschneidert, sondern in Standardgrößen auf den Markt gebracht. Die begehrten Kollektionen des bekannten Modelabels waren für die durchschnittliche Polin jedoch unerschwinglich und meist für den Export bestimmt. In die Läden kamen nur aussortierte Reste.
Designer-Mode war unerschwinglich
„Moda Polska", das sozialistische Modehaus, gegründet 1958, war das Syno-nym für eleganten Stil, für Chic und Luxus. Es kreierte den Stil des neuen sozialistischen Bürgers. Das Unternehmen propagierte in der staatlichen Kleidungsindustrie die aktuellen Moderichtungen. Die Geschichte der polnischen Mode prägten politische Vorgaben, technologische Einschränkungen und die künstlerischen Intentionen der Designer.
Die Mode sei Ausdruck der Kreativität ihrer Schöpfer, meint Małgorzata Możdżyńska-Nawotka. Die Kunstwissenschaftlerin interessiert nicht die Mode der Straße, sondern das, was die modebewussten Frauen Polens inspirierte, und das seien die Geschichten der Menschen, meint die Kennerin der Modebranche. So habe es nach dem Krieg vor allem weite Männerhosen, wattierte Jacken, Mützen im Lenin-Stil, Kopftücher, Arbeitsschürzen oder gestrickte Kleider gegeben. Wer stricken konnte, war im Vorteil, denn eine Strickweste ließ sich auftrennen, das Material waschen und aufs Neue zu einem Schal umwandeln. „Die Frauen improvisierten. Viele Kleider wurden noch aus Fallschirmseide aus Kriegszeiten genäht, und aus den auf Seide gedruckten Luftfahrtfluchtkarten wurden Blusen angefertigt. Sogar die Seile der Fallschirme eigneten sich gut, um daraus einen Jacquardpullover zu stricken. Kleider aus Fahnenstoffen und Soldatenmäntel entstanden oder aus Morgenmänteln aus den sogenannten UNRRA-Paketen mit Blumen bemalte Abendkleider.
Im kommunistischen Polen wurde aus der Not eine Tugend gemacht. Weil alles geplant wurde, konnte auch die Mode nicht dem Individuum überlassen bleiben. Małgorzata Możdżyńska-Nawotka gehörte in den 80er-Jahren zur polnischen Avantgarde. Es sei eine schwierige Zeit gewesen, erinnert sie sich. „Ich war jung und wollte mich, wie alle meine Freundinnen, auf außergewöhnliche Art kleiden. Doch es fehlte an allem."
Die Frauen wollten westliche Mode imitieren, hatten jedoch keinen Zugang zu den Stoffen und Textilien. „Man wollte uns klar machen, dass die sozialistische Mode hübscher sei. Doch wir sehnten uns nach Freiheit, waren wir Polen in den früheren Jahrhunderten doch oft unterdrückt worden. Außerdem wollten wir auch ein Stück der westlichen Welt angehören, die, wie wir glaubten, mit dem besonderem Chic zu fühlen. Wir waren auf Ideen und Kombinieren angewiesen, Eigenschaften, die man heute als Kreativität bezeichnet. So besorgten wir uns diverse Modezeitschriften aus der DDR, die ‚Sybille‘, ‚Mode für die Frau‘ und mit etwas Glück aus dem Westen die Zeitschrift ‚Burda‘. Viele der Modelle kupferten wir ab, schauten uns um nach brauchbarem Stoff, einer guten Schneiderin oder nähten selbst, wenn wir eine Nähmaschine besaßen."
Aus alten Gardinen entstanden Ponchos oder Sommerkleider. Kein Kleid glich dem anderen. Jedes sei ein Unikat gewesen. „Ungewöhnlich und sehr speziell waren auch die Pullover, gestrickt und verziert mit Motiven aus surrealistischer Malerei und Architektur, mit gotischen Kirchenfenstern oder bunten Blumen." Viel Inspiration holten sich die Frauen auch aus Film und Theater, beobachteten die Künstler, Schauspieler, Musiker und ihre Kostüme und Requisiten. Jedes entworfene Kleidungsstück sollte einmalig sein. Es waren Träume, die sich die Polinnen angesichts des allgegenwärtigen Mangels darin zu erfüllen versuchten. „Wir waren Individualisten und selbstbewusst. Hatten das Gefühl, die Königin von England zu besuchen und eine Tasse Tee mit ihr zu trinken", erinnert sich Małgorzata Możdżyńska-Nawotka mit Augenzwinkern. „Die Polin ist die Pariserin des Ostens", hieß es oft. Irgendwie stimmt das auch. Die Pariser Mode hat eine lange Tradition. Und wir wollten eben auch intelligente, aufsehenerregende Mode tragen.
Frauen legen Wert auf Chic und Anmut
Die Breslauerin Magdalena Korzeniowska lebt in Berlin und ist für das Polnische Fremdenverkehrsamt tätig. Schon mit sechs Jahren bekam sie von der Mutter selbst genähte Kleider mit Rüschen oder Schleifen. Mit 15 färbte sie dann selbst Windeln zu Batik-Mustern. „Ich habe mir von meiner Mutter viel abgeguckt. Sie ging immer zur Schneiderin, trug schöne Kleider, Ketten und Ohrringe. Wir besorgten uns die Schnittmuster und nähten das ‚Gewisse Etwas‘ dazu. Obwohl wir im Beruf unseren Mann stehen mussten, haben wir unsere Weiblichkeit nicht verloren. Nach der Arbeit in Küche und Haushalt lackierten wir die Nägel und gingen dann in die Kirche", erinnert sich Magdalena Korzeniowska.
„Es tut mir weh, wenn Menschen heute Kleidungsstücke wegwerfen. Mode ist auch Erinnerung. Wann habe ich das Stück gekauft, zu welchem Anlass getragen, zu einem Rendezvous oder Geschäftstermin? Die Sachen leben und sie überleben. Ich ändere um, schneidere neu. Lasse mir Zeit bei der Anprobe. Sortiere. Hänge um. Überlege: Passt der Schuh zum Kleid, das Armband zur Kette? Nicht für andere, für mich muss es stimmig sein. Das ist genauso, als würde ich den Tisch für meine Gäste decken, mit Kerzen, Blumen, Geschirr."
Ich beobachte einen Moment die polnischen Frauen auf dem Marktplatz in Breslau. Dass sie Wert legen auf Chic und Anmut, wird schnell deutlich. Agneska setzt sich zu mir, trägt langes schwarzes Haar, Sandalen mit hohem Korkabsatz und ein Kleid mit rot-schwarz grafischem Motiv. In der einen Hand eine schwarze Lacktasche, in der anderen eine Einkaufstüte mit großen schwarzen Lettern: Second Hand & Vintage. Ich erinnere mich an meine Studentenzeit an der polnischen Grenze in Zittau. Polnische junge Frauen kamen oft über die Grenze und gingen in unsere „An & Verkauf" Läden. Mir fiel auf, wie sie mit ein paar wenigen Accessoires in die Kabine gingen und wie verzaubert heraustraten. Außergewöhnlich elegant. Sie kombinierten die Kleidung auf besondere Weise, banden die Tücher anders, hatten Mut zu ihrem eigenwilligen Stil. „Für uns ist es wichtig, nicht wie alle auszusehen, sondern immer so ein bisschen mit Pfiff", sagt Agneska.
Ort für Schönheit und Ruhe – einkaufen mit einem Lächeln
Den bietet auch das polnische Modegeschäft „Quadrat" in Berlins Mitte. Wer das Besondere zu moderaten Preisen sucht, ist in der Gormannstraße 23 richtig. Zusanna Ormann stammt aus Oppeln, einer Stadt, gelegen zwischen Krakau und Breslau. Sie bietet ausgewählte Damen- und Herrenbekleidung sowie Accessoires, zeitgenössisches polnisches Design aus Warschau, Krakau, Posen und Danzig. Zusanna Ormann setzt auf gutes Handwerk und kreative Neuheiten. Ihr Motto: weniger kaufen, dafür aber Qualität. Stichwort Sustainable Modern Fashion, also Nachhaltige Mode abseits der Wegwerf-Modekultur und für ein ethisch korrektes Wirtschaften. Die Textilien werden ausschließlich von polnischen Modeschöpfern und im eigenen Land entworfen und geschneidert. Sie sind allesamt mit dem Oeko-Tex-Zertifikat versehen.
Sustainable fashion konzentriert sich auf die Materialien, die Herstellungsprozesse und die damit verbundenen Umweltschäden. Ein Aspekt dabei ist Slow Fashion, das heißt, die Kleidung wird nur in begrenzter Zahl gefertigt, es handelt sich nicht um produzierte Massenware. Verwendet werden Stoffe, deren Fasern in der Natur vorkommen. Dazu gehören Wolle, Seide, Baumwolle und Cupro, eine aus Celluloseregeneraten aufgebaute textile Faser. Die Eigenschaften von Cupro sind mit Viskose vergleichbar, sie sind atmungsaktiv und laden sich nicht statisch auf. Und zertifizierte Bio-Baumwolle vermeidet Chemikalien, die natürlichen Stoffe sind erneuerbar und biologisch abbaubar. Angesichts der Schnelllebigkeit von Mode sind sie die bessere Wahl.
Schmuck ist zu bewundern von der Designerin Pola Zag, deren Vater schon Schmuckgestalter war. Sie gehört wie auch die Zwillinge Pavel Pavel zur neuen Generation der Schmuckdesigner. Alle Stücke sind handgefertigt in traditionellen Familienunternehmen und Unikate. Zusanna Ormann zeigt die vielfältigsten Details auf den Kleidern und Jacken. Knöpfe, Bänder, Schleifen, raffinierte Schnitte. Darauf würden die Modeschöpfer besonderen Wert legen. „Die machen die Kleidung erst zu etwas Außergewöhnlichem, zuweilen auch zu etwas Geheimnisvollem."
In Mode gekommen sind wieder die alten Plisseröcke in Mini, Midi oder Maxi. Heute gelten sie als die Styling Stars, die zu T-Shirts und Sweatern mit Logos und Statements getragen werden. Grafik-Designer wie Mateusz Kollek aus Krakau und die Mode-Designerin Pat Guzik, die vor vier Jahren auf der Fashion Week in Hongkong den ersten Eco Chic Design Award gewann, bilden in ihrer Arbeit eine Synthese östlicher und westlicher Kultur ab.
Zusanna Ormann versucht immer wieder ihren Kunden zu vermitteln, dass sie keine Angst-, keine Stresskäufe tätigen, sondern sich die Zeit lassen dürfen, erstmal zu überdenken – brauche ich das Stück wirklich? „Quadrat" ist kein schneller shopping place. Es ist ein Ort für Kommunikation, für ein freundliches Miteinander. Ein Ort für Schönheit und ein Lächeln.