Bei Handball-Drittligist HG Saarlouis sind unterschiedliche Transformationsprozesse im Gang. Einer findet an der Spitze statt: Dr. Holger Groß führt als direkter Nachfolger das Team an, das den langjährigen Vorsitzenden Richard Jungmann ersetzen soll.
Dr. Holger Groß, ein Orthopäde und Sportmediziner aus Saarlouis-Lisdorf, trat im Sommer 2020 in große Fußstapfen. Wohl in die größten, die es im Saar-Handball in jüngerer Vergangenheit gab. Seit 1. Juli ist Groß nämlich erster Vorsitzender des Drittligisten HG Saarlouis und damit Nachfolger von Richard Jungmann, der den Verein über Jahrzehnte prägte.
„Richard hatte mich vor anderthalb Jahren erstmals angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, die Position des ersten Vorsitzenden zu übernehmen. Ehrlich gesagt, habe ich damals nicht direkt zugesagt", berichtet Groß, der sich zunächst Bedenkzeit erbat.
Gegen Ende 2019 wurden die Gespräche schließlich konkreter: „Dabei habe ich festgestellt, dass es nicht mehr so sein wird, dass alles an einer Person hängen würde, sondern dass es inzwischen ein funktionierendes Team an der Spitze gibt, das sich die Arbeit gut aufteilt", sagt Groß und stellt fest: „Alleine wäre das nicht machbar gewesen." Insbesondere nennt Groß Geschäftsführer Franz Hoffmann und den sportlichen Leiter Mathias Ecker, der sich „mit unglaublichem Engagement und auch Sachkenntnis" um die Erste Mannschaft kümmere und dabei einen „hervorragenden Job" mache. Diese Konstellation erlaubte Groß die Übernahme der verantwortungsvollen Aufgabe, ohne Gefahr zu laufen, „gleich unter die Räder zu kommen", wie er sagt: „Man kann schon sagen, dass der Verein ohne funktionierendes Team Corona nicht überlebt hätte." Jungmann steht ihm und dem Verein als Beisitzer weiter zur Verfügung. „Wer Richard kennt, der weiß, dass er nicht hinter dem Berg hält, wenn es was zu sagen gibt", beschreibt Groß. Für die Tipps seines erfahrenen Vorgängers ist er dankbar: „Gerade beim Thema Sponsorenakquise war es sehr wichtig, jemanden an Bord zu haben, der die Ansprechpartner und Vereinbarungen kennt. Hier hat er richtig mitgearbeitet. Er lässt uns nicht im Regen stehen, und wir sind froh, dass wir ihn haben."
Holger Groß ist 49 Jahre alt und kommt ursprünglich aus dem Saarlouiser Stadtteil Lisdorf. Vereinsmitglied beim SC Saargold Lisdorf, der zusammen mit der DJK Roden die HG Saarlouis bildet, ist er schon lange. Genauer gesagt hat ihn sein Vater schon kurz nach der Geburt angemeldet. Nach seinem Medizinstudium in Heidelberg und der Arbeit an unterschiedlichen Standorten kehrte Groß 2003 ins Saarland zurück, wo sich der Orthopäde und Sportmediziner 2004 in Saarlouis mit eigener Praxis niederließ. „Seit ich wieder hier lebe, habe ich fast kein Heimspiel verpasst", merkt er an. Die Rolle des Zuschauers gefällt ihm dabei ganz gut: „Ich hatte während meiner Grundschulzeit ein bisschen Handball mit meinen Freunden gespielt", erinnert sich Groß und ergänzt schmunzelnd: „Hierüber könnte Jörg Kaiser (Mannschaftsverantwortlicher bei der HG, Anm. d. Red.) mehr erzählen. Jedenfalls: Er konnte es, ich nicht, und deshalb habe ich es auch irgendwann sein lassen." Trotzdem engagierte er sich im Verein, seit anderthalb Jahren offiziell als Mannschaftsarzt. Einen Konflikt zwischen den Rollen als Arzt und damit Vertrauensperson für die Spieler und gleichzeitig deren Arbeitgeber sieht er nicht. Hier sorge der sportliche Leiter Mathias Ecker, der sich zum Beispiel um vertragliche Dinge kümmert, als Puffer. „Das funktioniert gut. Ich sehe mich hier in erster Linie als Arzt und der Gesundheit der Spieler verpflichtet. Wenn ich hier eine Entscheidung zu treffen habe, dann geht die Gesundheit natürlich immer vor", stellt Groß klar.
„Etwas mehr Potenzial als in der letzten Saison"
Das Fortführen des Transformationsprozesses von einer Ein-Mann- zu einer Mehrpersonen-Spitze bei der HG gehört zu seinen Hauptaufgaben. Abgeschlossen ist der nämlich noch nicht. Ebenso, wie der Rückschritt von der Zweiten Liga in die Dritten Liga. Zwar stieg die HG schon 2018 aus der 2. Bundesliga ab und geht nun schon in ihre dritte Drittliga-Saison, aber gewisse Altlasten waren bis vor Kurzem noch nicht abgetragen. „Der Verein wurde wirtschaftlich konsolidiert, wir stehen sauber da, und bei uns könnten sich viele Vereine in der Liga eine Scheibe abschneiden. Hier haben Franz Hoffmann und Richard Jungmann hervorragende Arbeit geleistet", betont Groß und erklärt: „Noch letzte Saison haben wir mit Vollprofis gearbeitet und das ist nun vorbei. Nur so konnten wir den Verein auf wirtschaftlich gesunde Beine stellen, was sich in der Corona-Krise schon bewährt hat."
Fehlende Zuschauereinnahmen durch den vorzeitigen Abbruch der Saison standen weiterlaufenden Kosten gegenüber. „Solch eine Situation hat es vorher noch nie gegeben, und die hat alle kalt erwischt. Elementar war für uns der freiwillige Gehaltsverzicht der Spieler. Ihnen gilt an dieser Stelle ein ganz großes Lob", sagt Groß und fügt an: „Sie haben sich als Team zum Verein bekannt und ihn damit durch diese Krise getragen."
Die Ungewissheit spielt trotzdem weiter mit. Wenigstens dürfen dank eines tragfähigen Hygienekonzeptes bei Heimspielen bis zu 350 Zuschauer in die Stadtgartenhalle – die Einhaltung des Mindestabstands und der Kontakt- und Hygieneregeln vorausgesetzt. Abendkassen wird es nicht geben, die Anzahl der Dauerkarten-Besitzer entspricht gerade so der maximalen Anzahl an Plätzen. „Früher kamen rund 1.600 Zuschauer in die Halle, jetzt nicht einmal mehr ein Viertel davon. Das trifft uns schon sehr, aber es hilft uns, dass wir die Planungen rechtzeitig begonnen haben", erklärt Groß nicht ohne Stolz und merkt an: „Wir werden trotz der Einbußen wirtschaftlich über die Runden kommen und keine neuen Schulden machen." Zu dieser Situation beigetragen haben auch die Sponsoren, die dem Verein die Treue halten und sich laut Groß „in unveränderter Form engagieren und auch in der nächsten Saison an unserer Seite bleiben werden. Hier kann man einfach nur ‚Danke‘ sagen."
Auch mit Blick auf die sportlichen Voraussetzungen ist Holger Groß zuversichtlich. „Wir haben einen starken Kader mit vielen Spielern, die aus der eigenen Jugend stammen und dazu unseren A-Jugendbundesliga-Nachwuchs mit Talenten die Marco Grgic und Konrad Wagner, die behutsam aufgebaut werden", fasst er zusammen: „Ich sehe großes Potenzial – sogar etwas mehr als letzte Saison." Das erklärte Ziel: eine schlagkräftige Mannschaft mit großem Identifikationspotenzial aufzubauen, „mit der wir in der nächsten Saison vorne angreifen können. Wir wollen unter die ersten Sechs", stellt der neue Vorsitzende klar. Bei der HG hat man sogar schon auf dem Schirm, dass die talentierte Mannschaft für eine positive Überraschung gut sein könnte.
Über allem schwebt aber erst mal noch Corona. „Wir werden zum Jahreswechsel sehen, dass so manche Profimannschaft aus der Ersten, Zweiten und Dritten Liga nicht mehr dabei sein werden", findet Groß, „daher kann es durchaus sein, dass wir schon in der aktuellen Saison plötzlich ganz vorne dabei sein werden. Sollte dem so sein, werden wir natürlich daran arbeiten, eine Mannschaft und vor allem auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Zweitliga-Saison 2021/2022 zu schaffen."