Nach der Corona-Verspätung soll es nun kommen: Das sogenannte Post-Cotonou-Abkommen zwischen Europa, den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten. Es erneuert ein 20 Jahre altes Abkommen, das Handel, Wirtschaft und Entwicklungspolitik regelt – zu Ungunsten Afrikas, sagen Kritiker.
Blickt die Europäische Union nach Afrika, sieht sie vor allem eines: wachsende Absatzmärkte. Dementsprechend steht in den Abkommen der EU mit Afrika, aber auch mit Staaten in der Karibik oder im Pazifik (AKP-Staaten), vor allem der Abbau von Zollschranken. Die European Partnership Agreements (EPA, Europäisches Partnerschaftsabkommen) sollten Freihandelszonen zwischen der EU und den 78 AKP-Staaten festlegen. Grundlage der EPA ist wiederum das Cotonou-Abkommen, das die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zwischen der Union und den Staaten Afrikas, der Karibik und im Pazifik grundsätzlich regelt. Dieses Abkommen ist mittlerweile 20 Jahre alt und sollte eigentlich im Oktober erneuert werden. Coronabedingt verschiebt sich dies nun ins neue Jahr. Klar aber scheint eines: Die beteiligten Staaten und die EU sind sich sicher, dass der neue Vertrag zustande kommen wird.
Dass Afrika eine neue Priorität seitens der Europäischen Kommission erhält, zeigte sich bereits kurz nach Amtsantritt der neuen Kommissionspräsidentin: Ursula von der Leyen flog auf ihrer ersten Auslandsreise nicht etwa in die USA, sondern nach Äthiopien. Kein Wunder: Nach Angaben der EU-Kommission ist die EU schon jetzt größter Handels- und Investitionspartner Afrikas. Der Warenhandel zwischen den 27 EU-Staaten und dem Kontinent entsprach 2018 demnach einem Wert von 235 Milliarden Euro. Das sind 32 Prozent des gesamten Handelsvolumens Afrikas. Der Handel mit China habe einen Wert von 125 Milliarden, der mit den USA von 46 Milliarden Euro.
Fair war der Handel jedoch nie. Beispiele wie Tomatenmark, Hähnchenteile oder Milchpulver zeigen, dass EU-Exporte ganze Produktionszweige in den afrikanischen Staaten zerstören, weil Produkte innerhalb der EU teils subventioniert, teils mechanisiert hergestellt und damit noch inklusive Transport billiger sind als in Afrika selbst hergestellte. Kamerun, Senegal, Ghana und Südafrika leiden besonders unter der Schwemme billiger gefrorener Euro-Hähnchen. Laut der südafrikanischen Wochenzeitung „Mail & Guardian" mussten 70 Prozent der senegalesischen Hühnerproduktion mittlerweile eingestellt werden. In Ghana verloren 120.000 Menschen ihre Jobs auf oder rund um Hühnerfarmen.
Vor allem in Afrika, das den Großteil der AKP-Staaten stellt, aber auch in anderen Regionen stellt sich ein zunehmendes Ungleichgewicht zugunsten der EU ein, zum Nachteil aufstrebender Industrieländer auf dem afrikanischen Kontinent. Journalisten, Politiker und Wissenschaftler mahnen seit Jahren, dass die subventionierte Nahrungsmittelproduktion der EU mit dem afrikanischen Absatzmarkt inkompatibel ist.
Strom aus dem Kongo für Deutschland?
„Im Post-Cotonou-Abkommen steht der Absatz, dass die EU den Handel vertiefen möchte – das ist irreführend, denn es gibt so gut wie keine EPA-Abkommen", erklärt der Theologe und Philosoph Dr. Boniface Mabanza Bambu von der Kirchlichen Arbeitsstelle Südliches Afrika. Viele Handelsabkommen sind gescheitert, vor allem in Afrika, wo Staaten wie Nigeria, Tansania, Gambia oder Mauretanien ihre Unterschrift verweigert haben. Tansania argumentiert, eine Handelspartnerschaft werde seine fortschreitende Industrialisierung abwürgen. Nigeria befürchtet, dass EU-Hähnchen der einheimischen Produktion schaden könnten. Grundsätzlich sei es vor allem in Verhandlungen mit Ostafrika nicht gelungen, afrikanische Agrarprodukte vor den viel besseren Voraussetzungen der hochtechnisierten Landwirtschaft Europas zu schützen, so Mabanza. Schutz gewähre nur eine Importquote – oder Zölle. Aber genau diese will die EU mithilfe ihrer Handelsabkommen mit Afrika verhindern.
Im März dieses Jahres hatte die EU-Kommission ein Strategiepapier als Verhandlungsgrundlage für ein neues AKP-Abkommen vorgelegt. Darin erkennbar: Der Fokus der EU liegt mittlerweile woanders. Digitalisierung und Klimawandel stehen auf der Agenda der Zusammenarbeit mit Afrika, der Karibik und den Pazifikstaaten ganz oben. Konkret sieht der Vorschlag der EU-Kommission zur Klimawende vor, dass beide Seiten gemeinsam daran arbeiten. Zudem soll der digitale Wandel in Afrika beschleunigt werden. Ökologische, soziale und nachhaltige Investitionen sollten gefördert und das Umfeld für Investitionen von Unternehmen verbessert werden. Kinderarbeit solle unterbunden, soziale Rechte gestärkt und Friedensbemühungen durch eine strukturiertere Zusammenarbeit verstärkt werden. Bei allem sollten auch Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Gleichstellung berücksichtigt werden.
Schöne Worte. Allein es gibt noch zahlreiche ungeklärte Fragen. Zum Beispiel existiere in vielen afrikanischen Staaten überhaupt kein Gesetz, dass den Datenschutz regelt, erklärt Boniface Mabanza. Die Technologie werde ohnehin nicht von Europa kontrolliert, hier kämen vielmehr US-amerikanische Multis wie Google zum Zug. Dennoch stecke hier großes Potenzial für mehr Arbeitsplätze. Gleiches gelte für den Klimawandel. Hier sollen die Investitionen in afrikanische Staaten deutlich erhöht werden – zum Beispiel in das Megaprojekt eines kongolesischen Staudamms namens Inga-3. Von dort aus soll sehr günstig Strom nach Europa exportiert werden, mit dem beispielsweise Wasserstoff hergestellt werden kann. Der Afrikabeauftragte der Kanzlerin, Günther Nooke, hat bereits erste Gespräche geführt. Ob dieses Projekt jedoch wirklich den Menschen im Kongo hilft, bleibt abzuwarten. Für den Staudamm müssten 37.000 Menschen umgesiedelt werden, kritisieren Menschenrechtler schon jetzt.