Donald Trump stemmt sich mit allen Mitteln gegen eine Wahlniederlage
Amerika, – nein, die Welt – erlebt einen Trump-Orkan. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neuer Nachrichten-Knaller die Runde macht. Erst nominiert der US-Präsident die streng konservative Richterin Amy Coney Barrett für das Verfassungsgericht. Ein Schachzug, um der Kammer auf Jahrzehnte hinaus eine rechte Schlagseite zu verpassen.
Dann enthüllt die „New York Times", dass Trump nur eine lächerlich geringe Summe an den Fiskus auf Bundesebene überwiesen hat. Und schließlich die Sensation, dass sich der Präsident mit Corona infiziert hat. Der große Virus-Leugner und -Verharmloser in der Seuchenfalle.
Doch die internationale Öffentlichkeit hat kaum Zeit, Atem zu holen. Kurz nach der Trump-Ansteckung heißt es: Wann wusste der Präsident davon? Einen ersten positiven Corona-Test hat er offenbar verschwiegen. Danach zirkuliert die Frage, wie viele Menschen aus seinem Umfeld das Virus abbekommen haben. Am Ende verlässt Trump das Militärkrankenhaus Walter Reed und kehrt in Triumph-Pose ins Weiße Haus zurück. Er erklimmt die Treppe und salutiert ohne Maske. Jeder Schritt ist choreografiert. Trump, der Corona-Bezwinger, lautet die Botschaft.
Es ist Trumps Corona-Zirkus royal. Der Kampf um die Präsidentschaftswahl am 3. November thematisiert nicht die besten Wege, um Amerikas Zukunft zu sichern. Trump diktiert das Geschehen im täglichen Like/Dislike-Theater.
Politik in Zeiten von Twitter, Facebook oder Instagram ist ein Spiel mit Emotionen und Ressentiments. Reflektiert wird reichlich wenig. Das ist genau das, was der Präsident will. Er lebt seinen krankhaften Narzissmus aus. Alles dreht sich nur um ihn.
Egal, wie die Corona-Infektion für Trump ausgeht: Er wird ein Narrativ vorlegen, das ihn als Gewinner darstellt. Wenn Covid-19 nur einen leichten Verlauf nimmt wie beim brasilianischen Staatschef Jair Bolsonaro, wird er prahlen: „Seht her, alles nicht so schlimm, wie euch die ‚linken Panik-Politiker‘ weismachen wollen."
Setzt ihm die Krankheit heftig zu, ohne ihn aber dauerhaft außer Gefecht zu setzen, wird er mit der Legende aufwarten: „Ich habe das Virus besiegt, nun wird Amerika es besiegen." Die mehr als 210.000 Corona-Toten im Land fallen bei derlei Propaganda-Mythen einfach unter den Tisch.
Der Präsident sucht die politische Seifenoper als Bühne, weil ihm in den Umfragen die Felle davonschwimmen. Trump setzt alles daran, die Wahl zu delegitimieren. Er fährt eine völlig faktenfreie Kampagne gegen das Instrument der Briefwahl. Die Abstimmung per Post birgt für viele Menschen in Zeiten der Pandemie weniger gesundheitliche Risiken. Vor allem Sympathisanten der Demokraten dürften so ihr Votum abgeben.
Der zweite Hebel des Präsidenten ist die indirekte Drohung mit Gewalt, sollte er verlieren. In der ersten TV-Debatte gab er einer bekannten rechtsextremen Gruppierung praktisch einen Blankoscheck: „‚Proud Boys‘, haltet euch zurück und haltet euch bereit." Eine Reihe von waffenstarrenden Milizen warten nur auf ein Signal, um ihr Idol im Notfall zu „verteidigen".
Die wahrscheinlichste Variante, dass Trump die Macht abgibt, wäre ein Erdrutsch-Sieg Bidens. Sollte das Ergebnis aber knapp für den Demokraten ausfallen, wird der Präsident alle juristischen Hebel in Bewegung setzen, um das Resultat anzufechten. Deshalb die im Eilverfahren durchgezogene Nominierung für den Supreme Court. Hier erhofft er sich einen Erfolg in letzter Instanz.
Die Zeit nach der Wahl wird ein Demokratie-Test für Amerika. Wie er ausfällt, ist heute offen. Zumindest gibt es zwei kleine Lichtblicke, dass die Selbstheilungskräfte des Rechtsstaats noch nicht versiegt sind. Das US-Verfassungsgericht sprach im Juli in einer 7:2-Entscheidung Trump „absolute Immunität" ab und gewährte der Bezirksstaatsanwaltschaft Manhattan Einsicht in dessen Steuerunterlagen. Zudem sagte der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, einen „geordneten Machtwechsel" zu, egal wie die Amerikaner am 3. November abstimmen.
Nicht nur die Institutionen, auch die US-Gesellschaft könnte die Demokratie nachhaltig stärken. Es ist im Prinzip ganz einfach: Man müsste sich von der Sensations-Show des Präsidenten emanzipieren, mehr nachdenken und um Ideen streiten. So würde aus dem Trump-Orkan ein viel weniger spektakuläres Gesäusel.