Pamela Hansen ist Pastorin auf Helgoland, Deutschlands einziger Hochseeinsel. Doch die 48-Jährige verteilt nicht nur kirchlichen Segen. Sie hat einen Blog, ist Gast in Talkshows und hat ein Buch über ihr Leben geschrieben.
Gerade in einer Zeit, in der sich Urlaub vor allem in der Heimat abspielt, ist Helgoland so beliebt wie nie.
Laut Mythologie befand sich im Jahr 1200 v. Chr. die sagenumrankte Königsinsel Atlantis in Sichtweite, die schließlich im Meer versunken sein soll. Knapp 2.000 Jahre später, 700 n. Chr., berichtete der Heilige Willibrord, Bischof von Utrecht, über das „Land der friesischen Gottheit Fosite" und den vergeblichen Versuch einer Christianisierung seiner Bewohner. Gemeint war damit ein von Wellen umtoster Buntsandsteinfelsen mitten in der Nordsee.
Heute gibt es eine evangelische Pastorin und einen katholischen „Ferienpriester", Kriegshistorie in unterirdischen Bunkern, unzählige auf den Klippen brütende Basstölpel sowie Lummen-Meeresvögel, deren Nachwuchs sich todesmutig und flugunfähig in die rauen Wogen stürzt. All das gehört zu den Besonderheiten eines Urlaubs auf Helgoland.
Das Abenteuer Hochsee beginnt bereits in Hamburg, sogar ganz standesgemäß mit der Übernachtung in einer ehemaligen Seemannsmission. Ab Mitte der 50er-Jahre bot das „Stella Maris", wie das Drei-Sterne-Hotel heute heißt, evangelischen und katholischen Kapitänen, Offizieren, Matrosen und Reisenden, wie auch jenen, die keine Heimat im christlichen Glauben fanden, einen sicheren Hafen. Noch heute erinnern maritime Relikte aus der Seefahrt an frühere Zeiten. Älteren Gästen kommen dabei nicht selten die musikalischen Ohrwürmer von Hans Albers und Freddy Quinn in den Sinn.
In unmittelbarer Nähe des Hotels liegt der Katamaran Halunder Jet jeden Morgen an den Landungsbrücken. Knapp vier Stunden sind es bis zum Urlaubsziel. Diejenigen, die als Kind auf Helgoland waren, erinnern sich mit Grauen an die Übelkeit in kleinen Kähnen. Heute gehört das der Vergangenheit an, denn die Größe des Katamarans garantiert eine angenehme und ruhige Fahrt.
Es ist Sonntagmorgen. Der Gottesdienst in der evangelischen St.-Nicolai-Kirche ist fast zu Ende. Insulaner feiern ihn zusammen mit Feriengästen, der nötige Abstand wird eingehalten. Daher ist auch eine vorherige Registrierung nötig. Pastorin Pamela Hansen breitet ihre Arme zum Segen aus. Sie trägt einen weißen Talar. Die sogenannte Albe gehört zu den liebgewonnenen Relikten aus ihrer Zeit in den USA. „Da wird die Robe von lutherischen Pfarrern getragen. Die Farbe Weiß wird mit der Taufe in Zusammenhang gebracht. Mir hat das sehr gefallen." Doch durfte die ehemalige Kieler Studentin der evangelischen Theologie eine Albe auch in Deutschland tragen? „Seit 2010 erlaubt das die nordelbische Landeskirche."
Sie spricht gerne über die Jahre in zwei kleinen Gemeinden in der Nähe von Detroit. Die gebürtige Eutinerin war nach dem Vikariat auf der Insel Föhr erst einmal arbeitslos. „Zwar habe ich zwischendurch Religion unterrichtet, doch das war nicht das Richtige", gibt sie zu. Ganz überraschend kam der Brief eines Kollegen aus den USA: Ein evangelischer Pfarrer werde gesucht. „Ich habe gleich meine Mutter angerufen, so aufgeregt war ich!"
Mit ihrem Mann engagiert sie sich in der Feuerwehr
Zwei Pfarrstellen hatte Hansen schließlich inne: Ab 2006 diente sie in Hartland und ab 2009 in Southgate. Noch heute schwärmt sie von diesen doch so „ganz anderen Erfahrungen", der Hilfsbereitschaft der Menschen, der Lebendigkeit der Kirche und der Freundlichkeit untereinander. So etwas kannte ich überhaupt nicht aus meiner norddeutschen Heimat. „Als mein erster Mann schwer erkrankte, war die Hilfe überwältigend. Die Nachbarn stellten Suppen und Aufläufe vor unsere Haustüre", erzählt sie. „Sogar mit den passenden Aufwärmtipps! Man merkt, dass die USA ein Einwanderungsland ist und jeder jedem helfen will."
Eines ihrer amerikanischen Lieblingssouvenirs ist der Heilungssegen, den sie auf Helgoland in ihre Predigten integriert. Wer wollte, konnte in ihrer amerikanischen Wahlheimat als zusätzliche Station nach dem kirchlichen Abendmahl zum Laienseelsorger gehen und sich diesen Segen holen. Doch was hat es damit genau auf sich? „Ich wollte ihn zusätzlich zu meiner Predigt anbieten und habe eine passende Liturgie zum Aspekt der Heilung gebastelt. Die Gläubigen, die zu mir kommen, segne ich mit einem Kreuzzeichen auf Hand und Stirn und mit Handauflegen", erklärt die 48-Jährige. Und ihre Social-Media-Aktivitäten auf Facebook, Youtube, Snapchat, Instagram und Twitter tun ein Übriges, neue Gemeindemitglieder anzuziehen.
Auf Helgoland möchte sie sesshaft werden. Auch über den Ruhestand hinaus. Denn dort, wo andere Urlaub machen, ist ihr Zuhause. „Ich kann mir kein schöneres Fleckchen zum Leben und Arbeiten vorstellen." Und vielseitig ist sie als begeisterte Bloggerin, Buchautorin, Geocacherin, Quietscheentensammlerin und passioniertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr auch. „Ich wollte mich engagieren." Dieser Wunsch entstand schon in den USA, wo viele Ehrenamtliche arbeitslos sind, genug Zeit haben und helfen wollen. „Auch wenn es nur mittags in der Suppenküche für die Armen ist. Und ich wusste ja nicht, ob ich in Deutschland gleich wieder Arbeit bekomme." Am Feuerwehreinsatz sei eine Freundin schuld gewesen. Und gemeinsam mit ihrem Mann engagiere sie sich nun auf der Insel, auch wenn es kaum Autos gibt. Trotzdem kann allerlei passieren: Unfälle mit Baukarren, Feuer, Ambulanzeinsätze oder einen verletzten Vogel aus dem Gulli retten.
Und wie kam sie schließlich zu ihrem Blog? „Ich bin keine Freundin von Rundbriefen. Da ist mir ein Blog lieber, denn diesen können die Leute lesen oder auch nicht." Und wer sich mit Helgoland-Lektüre beschäftigt, entdeckt auch das Buch der Inselpastorin. „Eine Literaturagentin hat meine Einträge gelesen und mich daraufhin kontaktiert, ob ich denn nicht ein Buch schreiben möchte." Gesagt, getan. Die Kreativität zum Schreiben entstehe dabei oft in ihrem Strandkorb im Garten, ihrem momentanen Lieblingsort. Früher sei der ganz woanders gewesen, nämlich oben am Kliff mit Blick auf die Lange Anna. „Der Platz ist mitsamt meiner Bank weggebrochen und ins Meer gestürzt!"
Gedenkstein für die Opfer einer Seeschlacht
Die St.-Nicolai-Kirche wurde 1959 gebaut und steht seit 1989 unter Denkmalschutz. An den Mauern, die den Friedhof umgeben, liegen alte Grabsteine. Jene, die vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Ein englischer Fliegerangriff zerstörte 1945 die Insel fast völlig und damit auch den früheren Gottesacker. Zuordnen könne man die Stelen nicht mehr, doch man wolle sie auch weiterhin auf dem Gräberfeld haben. Im Inneren der Kirche sind wertvolle Ausstattungsstücke zu sehen: Schiffsmodelle, ein Jerusalemleuchter. Nikolaus ist der Kirchen- und Inselpatron von Helgoland. Auf dem Siegel, das die Kirche immer noch benutzt, ist er mit drei Fischen auf der Weste abgebildet.
Ein Brauch auf der Insel sieht vor, beim Tod eines Einwohners die Kirchenglocken läuten zu lassen. Die als Ringeln bezeichnete Tradition wird von einem Verwandten des Verstorbenen veranlasst. Außerdem wird am Tag der Beisetzung die Inselflagge am Rathaus auf Halbmast gesetzt. Doch es gibt noch weitere, ganz besondere Gewohnheiten auf Deät Lun, wie die Insel auf Helgoländisch heißt.
Vor einer Taufe versammeln sich Kinder in Inseltracht zu einem Taufumzug. Mit dem Täufling an der Spitze tragen sie silberne Becher mit Wasser in die Kirche und füllen damit das Taufbecken. Danach geht es zurück ins Haus des Täuflings zu Butterkuchen und gekochtem Rotwein. Später wird gemeinsam gespielt. Jedes Neujahr, dem „Wenskedai", treffen sich vormittags die Kinder und nachmittags die Männer und die unverheirateten Frauen, um den verheirateten Inselbewohnerinnen ihre Aufwartung zu machen und mit den helgoländischen Worten „ik wenske di en freeliges Naidjooar, Sinhait, Glik en Seägen en dat‘ et di altids wel gung mai" ein glückliches neues Jahr zu wünschen.
Nach zehn Minuten mit dem Motorschiff erreicht man „Die Düne", Helgolands Naturschutzgebiet. Ein paar bunte Ferienhäuser erinnern an Astrid Lindgrens Bullerbü, außerdem gibt es Schlafstrandkörbe, einen winzigen Flugplatz und lange Strände, wo sich Robben und Seehunde im Sand aalen. Der Naturlehrpfad führt den Besucher zu einem ganz besonderen Kleinod: dem „Friedhof der Namenlosen". Der Blick schweift über die Gedenksteine und schlichten Holzkreuze hinaus aufs offene Meer. Die Friedhofsglocke darf jeder läuten. Aber nur einmal, um die Ruhe der Toten nicht zu stören. Vermutungen legen nahe, dass der Friedhof im 19. Jahrhundert für aus der See angespülte Tote, die nicht identifiziert werden konnten, angelegt wurde. Ein Gedenkstein erinnert an die Opfer der Seeschlacht von 1864 zwischen Preußen, Österreich und Dänemark. Pamela Hansen hält auch hier Open-Air-Gottesdienste an Pfingsten und sommerliche Abendandachten ab. Sehr feierlich sei das jedesmal, inmitten der Dünen und mit dem Meer als Kulisse.
Die Magie von Helgoland lässt sich nur unvollständig in Worte fassen. Ist es die reine Luft, das saubere Meer, der 61 Meter hohe Sandsteinfelsen mit seiner Langen Anna oder sind es die an das Kliff peitschenden Wellen? Jeder Besucher wird eine andere Geschichte erzählen können. Gemein wird allen Erzählungen nur sein, dass keine andere Insel mit Helgoland vergleichbar ist.