Die Sozialreformerin Octavia Hill kam 1895 auf die Idee, eine Stiftung für das Gemeinwohl zu gründen, den National Trust. Um so Naturgüter zu schützen und Kulturdenkmäler zu erhalten und sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Mount Stewart gilt als einer der schönsten Gärten des Vereinigten Königreichs. Dieses grüne Refugium in Nordirland ließ Edith, wie Lady Londonderry von den Gästeführern in dem exquisiten Herrenhaus genannt wird, nach dem Ersten Weltkrieg anlegen. Nach ihrem Tod 1959 übernahm der National Trust den fantasievoll gestalteten Garten und später – nach dem Tod von Ediths Tochter – auch das Herrenhaus samt seiner Inneneinrichtung. So blieb nicht nur der Landsitz samt Zaubergarten, sondern auch die Erinnerung an die legendäre Lady erhalten.
Der National Trust hat sich der Wahrung historischer Häuser, Gärten und Landschaften verschrieben. Der volle Name der gemeinnützigen Organisation lautet: „National Trust for Places of Historic Interest or Natural Beauty", was auf Deutsch etwa so viel heißt wie: „Nationale Stiftung für Orte von historischem Interesse oder natürlicher Schönheit." In England wird die urenglische Institution meist kurz „Trust" genannt.
Ein Kulturgut „für jeden, für immer"
Bereits 1895, also vor 125 Jahren, hatten Sozialreformerin Octavia Hill und zwei weitere Mitstreiter die Stiftung für das Gemeinwohl gegründet. Die Philanthropin aus der Zeit Queen Viktorias machte sich Sorgen über die Zerstörung der englischen Landschaft durch die Industrialisierung. Es klingt fast ein bisschen, als hätte sie auch die Corona-Pandemie vorhergesehen, war sie doch schon damals der Überzeugung, dass „das Bedürfnis nach Ruhe, frischer Luft und Bewegung, sowie danach, den Himmel und Dinge wachsen zu sehen, allen Menschen eigen" sei.
Das Ziel des National Trust wurde klar definiert: Natur- und Kulturgüter in England, Wales und Nordirland zu erhalten und sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sein Slogan: „For ever, for everyone." Seine Mission lautet also, Großbritanniens wertvollste Orte zu erhalten, für immer und für jeden. „Für jeden" heißt, dass die Liegenschaften der Öffentlichkeit größtenteils zugänglich sein müssen. Und „für immer" bedeutet, dass die Immobilien und Ländereien des National Trust für unveräußerlich erklärt wurden. Sie dürfen also nicht wieder verkauft werden.
Zum Trust zählen inzwischen mehr als 500 historische Häuser, Burgen, Gärten sowie Parks und Naturreservate, neun Leuchttürme und sogar 39 Pubs. Einer von ihnen ist „The Crown Liquor Saloon" im Zentrum von Belfast. Die außergewöhnliche Inneneinrichtung aus dem 19. Jahrhundert macht die Edelkneipe zum schützenswerten Kulturgut. Abends drängen sich die Gäste in dem Raum mit aufwendigen Fliesen, Glasmalereien und Holzarbeiten, um ein Bier zu trinken. Es sind vor allem Einheimische. Ein Zeichen dafür, dass der Pub Teil der Stadtkultur ist.
Dennoch werden die meisten der historischen Gebäude des National Trust wie Museen besichtigt. Knapp 28 Millionen Besucher zählte man in der Saison 2018/19. Millionen von Touristen und britischen Schulkindern durchwandern die ehrwürdigen Häuser. Dabei gehört Sir Winston Churchills idyllischer Landsitz Chartwell in der Grafschaft Kent mit fast 250.000 Gästen zu den besucherstärksten Highlights im Portfolio der Organisation.
Auf dem weitläufigen Anwesen mit dem Panoramablick durfte der berühmte britische Politiker Privatmann sein. Als er 1946 in finanzielle Nöte kam und das Haus kaum mehr halten konnte, sammelten seine Freunde Geld, mit dem der National Trust das Anwesen kaufte. Dem zweimaligen Premierminister wurde ein lebenslanges Pachtrecht gewährt. So war Churchill bis zu seinem Tod im Jahr 1965 Mieter in seinem einst eigenen Haus.
Seit 1966 ist Chartwell als Museum öffentlich zugänglich – im Inneren des Herrschaftshauses gewinnt der Besucher den Eindruck, Churchill hätte eben erst den Raum verlassen. Sogar sein Nobelpreis für Literatur, den er 1953 erhielt, kann noch bestaunt werden. Den hatte der National Trust ebenfalls übernommen, wie auch die originale Möblierung samt seiner selbst gemalten Gemälde.
Interessant ist, dass der National Trust auch Wünschen der früheren Besitzer von Anwesen nachkommt. So verfügte der Katzenfreud Churchill vor seinem Tod, es solle auf Chartwell immer eine rotgefleckte Katze namens „Jack" leben. Es stehen somit nicht nur Menschen, sondern auch Tiere im Dienste des National Trust.
Gärten, Burgen und sogar eine Kneipe
Auch das Anwesen von Churchills Nachbarin, der Schriftstellerin Vita Sackville-West, mit der er befreundet war, gehört heute dem National Trust. Der Sissinghurst Castle Garden in der Grafschaft Kent, der in den Jahren von 1930 bis 1962 entstand, zählt zu den berühmtesten Gärten der Welt überhaupt und steht auf der „Bucket List" passionierter Gartenfans.
Dabei ist dem National Trust klar, dass der Auftrag des Bewahrens sich nicht der Veränderung verweigern darf. „Veränderung ist notwendig, um lebendig zu bleiben", sagte Troy Scott Smith, der von 2013 bis 2019 als Head Gardener von Sissinghurst tätig war. Zuvor war der Garten zum Denkmal geworden, zu einem Museum, durch das Busladungen von Besuchern liefen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängerinnen versuchte Obergärtner Troy Scott Smith, den Garten ungestümer, weniger perfekt zu gestalten und reichte damit näher an Vita Sackville-Wests unkonventionelle Pflanzwut heran. Ihr ging es – ebenso wie dem heutigen Obergärtner Scott – um wilde Schönheit, Romantik und Emotion.
Ob renommierter Gartengestalter, Hausmeister oder Spendeneintreiber – insgesamt 9.000 Angestellte sind für den National Trust tätig. In der Sommersaison kommen nochmals 5.000 Mitarbeiter dazu. Und trotzdem wäre die Arbeit des National Trust ohne die Hilfe der „Volunteers" nicht zu bewältigen. 65.000 ehrenamtliche Helfer packen mit an. Ohne diese Menschen, die sich tagtäglich in ganz Großbritannien ohne Entgelt für die Sache der Kultur und Natur einsetzen, würde die Idee des National Trust nicht aufgehen.
Das bestätigt auch der Chefgärtner von Bodnant Garden in Wales. „Wir beschäftigen 24 feste Gärtner und 200 ehrenamtliche Helfer", sagt John Rippin. „Ohne die Hilfe der Volunteers wäre die sorgsame Pflege des Gartens nicht zu schaffen." In kaum einem Anwesen gibt es so ein großes Gärtnerteam. Doch Bodnant Garden in der hügeligen walisischen Landschaft ist eben ein Ort der Superlative. Er misst insgesamt 32 Hektar. Fünf Generationen einer Familie pflegten den herrschaftlichen Garten bis zur Übergabe an den National Trust im Jahr 1949. Berühmt ist das Pflanzenparadies für seinen Tunnel aus Goldregen, der vermutlich längste und mit gut 140 Jahren auch der älteste im Land.
An anderen Orten führen ältere Damen ehrenamtlich durch Herrenhäuser und erzählen detailreich Geschichten über die einstigen Bewohner. Im Fenton House beispielsweise, eines der wenigen Anwesen des National Trust in der Hauptstadt London, packen Frauen jeden Herbst die wertvollen historischen Musikinstrumente wie Spinette und kunstvoll gestaltete Harfen für die Winterpause ein und im Frühjahr wieder aus. So schützen die Ehrenamtlichen die kostbare Sammlung der Instrumente vor zu viel Staub. Aber auch junge Leute engagieren sich. Sie roden etwa wilde invasive Rhododendronbüsche in Wäldern oder helfen beim Unkrautjäten in den Gärten. In organisierten Aktionen schleppen Leute in ihrer Freizeit schwere Steine, um die für die englische Landschaft so typischen Trockenmauern zu bauen. Das Ehrenamt für den National Trust ist in der britischen Gesellschaft tief verwurzelt. Selbst Filmstar und Oscarpreisträger Antony Hopkins engagiert sich für den National Trust. Und selbst aus dem Ausland kommen Freiwillige angereist, um auf einem der historischen Anwesen Arbeitsferien zu verbringen.
Mit mehr als fünfeinhalb Millionen Mitgliedern ist der National Trust Europas größte Kultur- und Naturschutzvereinigung. Als Präsident sitzt der britische Thronfolger Prinz Charles der Organisation vor. Dabei arbeitet die gemeinnützige Stiftung unabhängig von der Regierung und ohne staatliche Unterstützung. Sie finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Eintrittsgeldern sowie aus den Einnahmen der Souvenirläden und Cafés. Dort werden jedes Jahr viereinhalb Millionen Tassen Tee serviert.
Ohne den Trust würden viele Häuser verfallen
Die hochkarätigen Immobilien und Grundstücke stammen oft aus dem Nachlass wohlhabender Briten, die sich absichern möchten, dass ihr Erbe der Nachwelt erhalten bleibt. Bei mancher Eigentumsübertragung war aber wohl auch die Idee, Erbschaftssteuer zu sparen, der Vater des Gedankens. Fest steht, dass einige der Herrenhäuser ohne den National Trust wohl verfallen oder zu Hotels umgewandelt worden wären. Da manche Eigentümer sich die kostspielige Instandhaltung ihres Herrenhauses nicht mehr leisten können, schenken sie dem National Trust das Gebäude, nicht ohne sich ein Wohnrecht in einem Seitentrakt zu erhalten. Auch für den National Trust ist der Unterhalt der Grundstücke und Ländereien eine teure Angelegenheit. Im vergangenen Jahr wurden 148 Millionen britische Pfund dafür ausgegeben und weitere 225 Millionen für den täglichen Betrieb.
Im Laufe der Jahre bekam der National Trust mehr Objekte angeboten, als er akzeptieren konnte. Denn für die Stiftung kommen nur Liegenschaften von besonderem nationalen Interesse infrage. Das Anwesen von Erddig in Wrexham in Wales wollte der National Trust erst ablehnen. Schließlich aber übernahm er das Herrenhaus mit Garten dann doch, vor allem wegen des einzigartigen Inventars. Heute können die Besucher durch Jahrhunderte feinster Wohnkultur der britischen Oberschicht schreiten. Gesammelt wurde auf diesem Gut einfach alles: erste Automobile, Hochräder oder mobile Duschen. Das Interesse der Besucher in den Herrenhäusern richtet sich dabei nicht mehr nur auf die Requisiten eines noblen Lifestyles und auf exquisite Kunstwerke, sondern ebenso auf das Leben des Personals im Untergeschoss des Anwesens – „Downtown Abbey" lässt grüßen. In einigen Häusern demonstrieren National-Trust-Mitarbeiter, wie früher in solch einem Haushalt Wäsche gewaschen und gemangelt wurde. In Erddig sind die Wäscherei, die Küche, die Backstube, die Speisekammer, die Spülküche und die Wohnräume der Haushälterin und Dienstmädchen erhalten. Alles ist ausgestattet, als wären die Räume gerade erst verlassen worden. So können sich die Besucher ein Bild vom Alltag in einem Herrenhaus machen, von der Herrschaft und den Bediensteten.
Der National Trust besitzt jedoch nicht nur Gebäude und Gärten, er ist auch einer der bedeutendsten Landeigentümer Großbritanniens. Seen, Berge, Moore – insgesamt 248.000 Hektar Land. Dazu rund 1.200 Kilometer Meeresufer – mehr als die Hälfte der britischen Küste. Mehrere Farmen sind an Landwirte verpachtet, die mit ihren Schafen das traditionelle Landschaftsbild erhalten sollen. Ohne den National Trust wäre so manche reizvolle Landschaft in Großbritannien längst zugebaut.