Die deutsch-französische Skulpturenlandschaft, die der saarländische Bildhauer Paul Schneider von 1986 bis 1992 mit 34 Bildhauerinnen und Bildhauern aus 16 Ländern auf den Höhen des Merziger Saargaus gestaltete, hat auch heute nichts von ihrer Schönheit verloren – wie ein Spaziergang zeigt.
Goldschimmernde Weizenfelder, saftige Wiesen und Obstbäume prägen im Sommer die Landschaft auf der Höhe des Saargaus zwischen dem saarländischen Merzig (mit seinen Gemeinden Wellingen und Büdingen) und dem französischen Launstroff. Die Grenzsituation dieser atemberaubenden Landschaft lässt sich für einen Spaziergänger ohne Landkarte nicht unmittelbar erfassen. Man muss schon mit aufmerksamem Blick den im Abstand von hundert Metern gesetzten, alten Grenzsteinen von 1830 – jeweils rechts und links der Grenze (mit Buchstaben F oder D) – folgen, wenn man den Grenzverlauf erkennen will.
In seiner 1958 erschienenen Autobiografie „Das Ohr des Malchus" hat der gebürtige Merziger Schriftsteller Gustav Regler von Spaziergängen mit seinen Geschwistern und seinem Vater hier oben im „Niemandsland" erzählt, „wo es keine Geografie mehr gab" und der Vater – der nicht an Grenzen glaubte – die Kinder zur „alten viel umstrittenen Grenze zwischen Deutschland und Frankreich" lenkte, sie zuweilen das Obst probieren ließ und dann die Frage stellte: „Welcher Apfel ist französisch?"
Genau in diesem von Regler zitierten „Niemandsland" hat der saarländische Bildhauer Paul Schneider in sieben Symposien von 1986 bis 1992 sein Projekt „Steine an der Grenze" mit 26 Skulpturen von Bildhauerinnen und Bildhauern aus 16 Nationen – ergänzt durch acht weitere Skulpturen, die in späteren Projekten bis ins Jahr 2010 hinzukamen – realisiert.
Als der Merziger Stadtrat im Jahr 2013 dem Bau eines Windparks grünes Licht erteilte, wurden viele Stimmen laut, die die Schönheit des Saargaus mit ihrer eingebetteten Skulpturenlandschaft gefährdet sahen. Das ist verständlich – und doch hat die Landschaft nichts von ihrer Faszination eingebüßt.
Skulpturenstraße im Saargau
Paul Schneider, der mittlerweile 93-jährige Initiator des Projektes „Steine an der Grenze", entdeckte bei einer Wanderung im Jahr 1981 das Grenzgebiet zwischen Merzig und Launstroff und entwickelte die Idee zu einem Symposion mit dem Motiv „Grenze". Bereits 1971 hatte er am Bildhauersymposion „Straße der Skulpturen" von Leo Kornbrust in St. Wendel und ein Jahr später am „Symposion Europäischer Bildhauer" im Steinbruch von St. Margarethen/Österreich teilgenommen und das gemeinschaftliche Arbeiten mit anderen kennen- und schätzen gelernt.
Mithilfe eines Trägervereins, der 1986 gegründet wurde, konnte Paul Schneider im Herbst des Jahres vier Bildhauer und eine Bildhauerin für mehrere Arbeitswochen zum ersten Symposion einladen. Einer der ersten realisierten Symposionbeiträge aus dem Jahr 1986 ist die als „Sonnenwende" betitelte Skulptur des Franzosen Marc Linder. Wie ein Portikus, bestehend aus zwei vier Meter hohen Sandsteinpfeilern mit zwei Querträgern, begrüßt sie die Spaziergänger des Saargaus. Von hier aus erblickt man bereits die nächste Skulptur: Thomas Wojciechowiczs zu einem Dreieck arrangierten Sandsteinplatten, die das Thema „Grenze" geradezu schelmisch aufgreifen. Er hat einen alten Grenzstein mit den Sandsteinplatten gewissermaßen „überdacht", dem Grenzstein einen behausten Ort gegeben, und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf das frühere Grenzrelikt.
Beim zweiten Symposion im Jahr 1987 wurden fünf Künstler eingeladen und diesmal war Paul Schneider nicht nur als Organisator, sondern auch als Künstler beteiligt. Seine Granitpyramide steht auf einem runden Kalksteinsockel auf dem zusätzlich ein getreppter Sockelrandstein, ein gekrümmter Stein (als „Mondhorn" bezeichnet) und ein Kubus mit neun eingravierten Quadratfeldern platziert sind. Der Kubus mit quadratischer Ritzung ist gewissermaßen Schneiders steingewordene Signatur. Die Pyramide hat in ihrer Spitze drei Durchbohrungen, die zum haptischen Erkunden einladen. Je nach Betrachterstandpunkt wirken die Bohrlöcher wie Augen und die Pyramide wie ein geheimnisvolles Wesen, das Außerirdische hier zurückgelassen haben. Die ausgeklügelte Geometrie und die unterlegte Zahlensymbolik mag eine kunsthistorische Abhandlung erfassen und würdigen, für Erwachsene, die die Sockelplatte zum Ausruhen benutzen, wie für Kinder, die die Skulptur mit Freude erklettern und sich Geschichten zum Mondhorn ausdenken, spielt
das keine Rolle.
In unmittelbarer Nähe entdeckt man bereits die nächste Skulptur von Karl Prantl, der mit seinem ersten, im Jahr 1959 initiierten Europäischen Steinbildhauer-Symposion, gewissermaßen als Erfinder der Bilderhauersymposien gilt. Der Sandsteinquader, den Prantl sich auf den Merziger Höhen aussuchte, lag zu diesem Zeitpunkt schon seit einem Jahr dort. Die in der Umgebung befindlichen Apfelbäume und das heruntergefallene Obst hatten den Stein bereits zu einer Art „Gabentisch" werden lassen. Ein natürliches Stillleben, das Prantl sich zu eigen machte. An einigen Stellen glättete er den Stein, an den äußeren Quaderkanten hat er eine Art „Kugelband" (das heute an einigen Stellen beschädigt ist) herausgemeißelt und griff damit die Form des umliegenden Obstes auf.
„Menhirs de l’Europe"
In Sichtweite von Prantls Stein folgen zwei Skulpturen, die erst im Jahr 2005 hinzugekommen sind und das Thema „Grenze" auf ganz besondere Weise in den Blick nehmen: die Skulptur „Barrier" des palästinensischen Bildhauers Ahmad Canaan und eine Skulptur (ohne Titel) des israelischen Bildhauers Moshe Shek. Außerhalb der von 1986 bis 1992 stattgefundenen Symposien waren Canaan und Shek im Jahr 2005 der Einladung von Paul Schneider und der Talat-Alaiyan-Stiftung – eine 2003 in Saarbrücken gegründete Stiftung, die sich zum Ziel gesetzt hat, Versöhnung und Freundschaft zwischen Jugendlichen aus den palästinensischen Autonomiegebieten, Israel und Deutschland zu fördern – gefolgt. Der mittlerweile bereits verstorbene Moshe Shek gestaltete eine Skulptur mit einer für ihn typisch zylindrischen Röhrenform, die in unmittelbarer Nähe zur Skulptur seines palästinensischen Tandem-Partners aufgestellt ist. Canaan hat in seiner auf einem Sockel platzierten Skulptur die Grenzmauer aus dem Westjordanland als Fragment nachgebildet. Die seit 2002 errichtete Grenze seines Heimatlandes (Stahlbetonplatten mit abgetrepptem Verlauf) hat er im verkleinerten Maßstab in den Sandstein gemeißelt, kombiniert mit geometrischen Ornamenten. Man denkt an die Berliner Mauer zurück, die nach ihrer Demontage in Einzelteile zerlegt wurde. Diese Teilstücke des Eisernen Vorhangs gemahnen seither in vielen Städten an die Zeit der deutschen Teilung.
Das Thema deutsch-deutsche Grenze war für einen weiteren Symposion-Teilnehmer ebenfalls von Bedeutung: Der aus Leipzig stammende Volker Baumgart konnte der 1988 ausgesprochenen Einladung zum dritten Symposion nicht folgen, er hatte kein Visum für die BRD erhalten. Erst im Jahr 1989 durfte er einreisen und bereicherte das vierte Symposion mit seinem massiven „Regenbogen-Stein". Zu diesem Zeitpunkt war er noch Bürger der DDR. Wenige Wochen später war auch die deutsch-deutsche Grenze Geschichte.
Beim siebten und letzten Symposion mit vier Teilnehmern schuf die französische Bildhauerin Zoë de L’Isle Whittier aus lothringischem gelbem Sandstein eine „Sonnenbarke", die mit ihrer markanten Formgebung zu einer Landmarke geworden ist. Über fünf Treppenstufen gelangt man zu einer halbkreisförmigen Barke, die vielen Besuchern als Sitz- und Liegefläche sowie als Aussichtsplattform dient. Ästhetisch beeindruckend!
Seit dem Jahr 2002 ist das deutsch-französische Projekt „Steine an der Grenze" ein Teilstück der von Leo Kornbrust initiierten europäischen „Straße des Friedens". Wie wichtig solche grenzüberschreitenden Projekte sind, ist im Frühjahr 2020 erneut deutlich geworden, als mit Ausbruch der Corona-Pandemie innereuropäische Grenzen errichtet wurden, die die bis dahin in unserer Region fest verankert geglaubte deutsch-französische Freundschaft kurzzeitig brüchig werden ließ.