Dank des Rekordsieges gegen Mainz geht Union Berlin mit einem Hochgefühl in die Länderspielpause. Vor allem Neuzugang Max Kruse kann mehr als zufrieden sein.
Selbst Urs Fischer ging nach dem höchsten Bundesligasieg der Vereinsgeschichte nicht einfach so zur Tagesordnung über. „Gefeiert haben wir nicht", sagte der Trainer von Union Berlin einen Tag nach dem 4:0-Erfolg zu Hause gegen den 1. FSV Mainz 05, „aber wir haben noch darauf angestoßen." Keine Frage: Der deutliche Sieg gegen einen direkten Konkurrenten im Kampf um den Klassenerhalt hat viel Druck bei den Eisernen gelöst. Schon der verdiente Punktgewinn eine Woche zuvor bei Champions-League-Starter Borussia Mönchengladbach hatte Hoffnungen gemacht, doch der schwungvolle Auftritt gegen Mainz toppte alles. „Wir haben gegen Gladbach gezeigt, dass wir auch gegen große Gegner fußballerisch mithalten können. Das hat uns natürlich Auftrieb gegeben, wir haben sehr guten Fußball gespielt", sagte Angreifer Max Kruse, der sein starkes Startelf-Debüt mit dem Führungstreffer krönte. Wann genau er sein letztes Tor in der Bundesliga erzielt hatte, wusste der 32-Jährige im ersten Interview nicht mehr so genau. Der Fragesteller konnte helfen: Es war im April 2019, damals noch im Trikot von Werder Bremen.
Nicht nur wegen seines Tores erinnerte der 64-Minuten-Auftritt des Ex-Nationalspielers an seine Zeit im grün-weißen Trikot. Kruse war immer anspielbar, ballsicher, er spielte intelligent und mannschaftsdienlich. „Man hat gesehen, dass er eine Qualität mitbringt, die uns helfen kann", sagte Fischer. Kruse sei in der Vorwärtsbewegung kreativ gewesen, habe im richtigen Moment aber auch „das Tempo rausgenommen". Der Stürmer war ein verkappter Spielmacher – genau wie zu seiner besten Zeit in Bremen. „Er hat ein bisschen den Takt angegeben", gab Fischer zu.
Kruse war immer anspielbar, ballsicher und spielte intelligent
Der Schweizer ist keiner, der Einzelspieler zu sehr lobt. Der Teamgedanke steht bei ihm über allem, deswegen wurde Fischer auch etwas ungehalten bei der Frage, inwieweit Kruse das Team verändert habe. „Auch Max muss seinen Teil zur Balance beitragen", betonte der Trainer. „Aber natürlich profitieren wir von seiner Erfahrung, nicht nur auf dem Platz, sondern auch daneben." Dass der ausgewechselte Kruse nach dem Schlusspfiff nicht mit den Teamkollegen vor den 5.000 Fans in der Alten Försterei feierte, wollte Fischer nicht zu hoch hängen. Viel wichtiger war ihm, dass sein Neuzugang nach langwierigen Problemen mit dem Sprunggelenk etwas mehr als eine Stunde durchgehalten hatte. Am Ende lief Kruse nicht mehr ganz so rund, zudem ließ er eine Großchance zum 2:0 aus – doch das sei „völlig wurscht", sagte der Angreifer. „Dass ich aber noch nicht bei hundert Prozent bin, ist auch klar."
Kruses Herausnahme war keine Schwächung – im Gegenteil. Der für ihn eingewechselte Joel Pohjanpalo brauchte nur 35 Sekunden, um den 4:0-Endstand zu erzielen. Der Neuzugang von Bayer Leverkusen hatte kaum mit seiner neuen Mannschaft trainiert, „aber man hat bei ihm gesehen, dass Qualität da ist", sagte Fischer. Zu seinem Leidwesen verabschiedete sich Pohjanpalo sofort wieder, um mit der finnischen Nationalmannschaft Länderspiele zu bestreiten.
Union will die Pause bis zum nächsten Ligaspiel am 18. Oktober beim noch punktlosen Tabellenschlusslicht Schalke 04 dennoch nutzen, um die verbliebenen Neuzugänge weiter zu integrieren und an den Automatismen zu arbeiten. Denn genau das ist aktuell der Vorteil von Union im Vergleich mit den Schalkern: Es scheint jeder genau zu wissen, was er zu tun hat. Dies liegt auch daran, dass Fischer keine Selbstzufriedenheit zulässt. Auch beim höchsten Ligasieg der Clubgeschichte habe er „Dinge gesehen, die man besser machen kann". Die entsprechenden Videosequenzen dazu zeigte er den Spielern schon nach dem Auslaufen. „Es war ein wichtiger Sieg, aber es gilt, auf dem Boden zu bleiben", warnte Fischer. Dem neunten Tabellenplatz schenkte er kaum Beachtung.
Oliver Ruhnert wird die Länderspielpause sicher zum Durchschnaufen nutzen. Der Manager war auf dem höchst ungewöhnlichen Transfermarkt umtriebig und hatte in Kruse, Abwehrchef Robin Knoche und Torwart Loris Karius drei Profis verpflichtet, die man im Vorfeld nicht der Kategorie „Union" zugeordnet hätte. Doch das Trio trägt nun das Trikot der Eisernen und erhöht genau wie Pohjanpalo spürbar die Qualität im Kader. „Wir haben wieder Supertransfers getätigt", lobte auch Kapitän Christopher Trimmel die Arbeit des Managers und der Scouts.
Als Glücksgriff scheint sich auch Nico Schlotterbeck zu erweisen. Der Abwehrspieler kam im Wechsel mit Bruder Keven von Ligakonkurrent SC Freiburg und überzeugte vom Start weg mit seiner Zweikampfstärke, seinem Aufbauspiel und sogar seiner Torgefährlichkeit. Im Pokalspiel beim Karlsruher SC (1:0 nach Verlängerung) und im Ligaspiel bei Borussia Mönchengladbach (1:1) hatte er zwei wichtige Treffer erzielt. Leider verletzte sich der U21-Nationalspieler beim Sieg gegen Mainz am Oberschenkel. Sein Ausfall sollte Union aber nicht aus der Bahn werfen, da der Kader breit und ausgewogen genug aufgestellt ist.
Im Tor zum Beispiel hat Trainer Fischer die Qual der Wahl. Andreas Luthe, der vor der Saison ablösefrei vom FC Augsburg gekommen war, hielt in den ersten Pflichtspielen souverän und durfte deshalb auch gegen Mainz wieder von Beginn an ran. Der später vom FC Liverpool ausgeliehene Karius dürfte aber sicher nicht mit der Aussicht auf die Bank nach Köpenick gewechselt sein. Er will der Bundesliga beweisen, dass er vor einigen Jahren nicht zu Unrecht als möglicher Nachfolger von Manuel Neuer im Tor der Nationalmannschaft gehandelt wurde. Und dass er seine schweren Patzer vom Champions-League-Finale 2018 mit Liverpool gegen Real Madrid längst verdaut hat. „Er ist sehr motiviert, top vorbereitet und körperlich fitter denn je", versicherte Freundin Sophia Thomalla. Das Model wird nun öfter auf der Tribüne der Alten Försterei zu sehen sein –
genau wie früher ihre Mutter Simone Thomalla bei Spielen des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin mit ihrem Freund Silvio Heinevetter im Tor. Ob der Glamourfaktor wirklich zu Union Berlin passt, wird man sehen. Auch sportlich muss sich Karius strecken, um Luthe aus dem Tor zu verdrängen. Einen Zeitungsbericht, wonach die Entscheidung bereits pro Karius gefallen sei, dementierte Fischer halbherzig: „Wenn das immer alles so stimmt, was man in der Zeitung liest …" Er wolle sich jetzt noch nicht dazu äußern, wer gegen Schalke in der Startelf stehen werde. „Wir werden dann sehen, wie unsere Entscheidung ausfällt."