Pokal-Aus, drei Punkte aus drei Ligaspielen, die letzten Wunschtransfers nicht vollzogen bekommen – nun stehen bei Hertha BSC alle in der Pflicht.
Erstmals seit Beginn seiner Amtszeit im April 2020 wirkte Bruno Labbadia zuletzt nachhaltiger frustriert, denn der Saisonstart bis zur aktuellen Länderspielunterbrechung hatte eher das altbekannte Gesicht von Hertha BSC zu Tage gefördert. Zum frühen Pokal-Aus bei Eintracht Braunschweig gesellten sich drei Bundesligaspiele mit Aufs und weiteren Abs. Ein erfolgreicher Start nach der ersten Enttäuschung wurde als umso wichtiger eingeschätzt – und sollte mit dem 4:1-Sieg bei Werder Bremen gelingen. Die vage Frage blieb jedoch, wie der Erfolg bei einem nicht sonderlich starken Widersacher einzuschätzen sei. Der erste richtige „Lackmustest“ mit dem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt ging dann 1:3 verloren – und ließ Herthas Trainer ungewohnt ratlos zurück. „Total schade“, befand Labbadia, dass die Niederlage verdient ausgefallen war, denn er habe die Mannschaft vorher auf die Stärken der Frankfurter hingewiesen. Auf dem Platz aber setzten seine Schützlinge der Eintracht dann vor allem in der ersten Halbzeit wenig entgegen, weil die im Training erarbeitete Strategie zu selten umgesetzt wurde. Dazu nahm das Team vor der Pause die geforderte Körperlichkeit nicht an – oder, wie Torwart Alexander Schwolow es anschließend drastisch formulierte: „Da haben wir wie eine Schülermannschaft gespielt.“ Für den schon als Spieler stets leidenschaftlich auftretenden Labbadia eine besonders bittere Erkenntnis. Keinen Trost vermochte da auch eine Woche später die ansprechende Leistung in München zu spenden – nach der 4:3-Niederlage in letzter Minute beim FC Bayern erklärte der 54-jährige Hertha-Coach jedenfalls: „Vielversprechende Niederlagen gibt es für mich nicht.“
Labbadia ärgerte sich öffentlich über Ablöseforderungen
Als weitere Quelle für Frust erwies sich in Reihen von Hertha BSC der Transfermarkt. Trotz gut gefüllter Kasse dank der Windhorst-Investitionen tat sich dort unter dem Strich nicht genug bei den Blau-Weißen. Torwart Schwolow (vom SC Freiburg) und Rechtsverteidiger Deyovaisio Zeefuik (FC Groningen/Niederlande) war zunächst mit Jhon Cordoba (1. FC Köln) der gewünschte zweite Kandidat neben Krzysztof Piatek für die Position in der Sturmzentrale gefolgt. Der Kolumbianer konnte dabei mit bereits zwei Treffern in den ersten 165 Einsatzminuten, aber auch mit seiner körperlichen Präsenz nachweisen, was in ihm steckt. Zuletzt standen aber immer noch Zugänge für das offensive Mittelfeld und die linke Außenbahn auf der Agenda – doch in die Verhandlungen sollte keine entscheidende Bewegung mehr kommen. Bruno Labbadia ärgerte sich dabei öffentlich über Ablöseforderungen, die sicher auch mit den allseits bekannten finanziellen Möglichkeiten bei Hertha BSC zusammenhängen. Michael Preetz (Geschäftsführer Sport) schlug in dieselbe Kerbe und verkündete, angesichts der Pandemie und ihren Auswirkungen auf das Fußballgeschäft, verantwortungsvoll mit den Investitionen umgehen zu wollen. So winkte man im Poker um Wunschkandidat Jeff Reine-Adelaide von Olympique Lyon schließlich bei der Forderung von über 30 Millionen Euro ab. Die Taktik schien aufzugehen, denn der siebenfache französische Meister lenkte zunächst ein und zeigte Bereitschaft zum Preisnachlass. Am Ende jedoch kam der Transfer – laut Gerüchten aufgrund (zu) hoher Beraterforderungen – nicht zustande: Reine-Adelaide wechselte zunächst für ein Jahr auf Leihbasis zu OGC Nizza. Auch das Interesse an Christian Eriksen beziehungsweise Radja Nainggolan (blieben bei Inter Mailand), Marko Grujic (ging zum FC Porto) oder Moussa Sissoko (Tottenham Hotspur) sollte nicht zum Ziel führen. Die am „Deadline Day“ (6. Oktober) noch vollzogenen Aktivitäten fielen da hingegen eher in die Kategorie Ringtausch: für Karim Rekik (zum FC Sevilla) wurde mit Omar Alderete vom FC Basel ein eben solcher Linksfuß als Innenverteidiger geholt. Der Paraguayer könnte angesichts des aktuell verletzten Jordan Torunarigha sogar gleich zum Startelfkandidaten werden. Auf Leihbasis kommt außerdem Matteo Guendouzi von Arsenal London zu Hertha – quasi als hochwertige „Aushilfe“ für den nach Bielefeld verliehenen Arne Maier. Und auch Eduard Löwen, dessen länger geplante Episode beim FC Augsburg beendet wurde, kehrt als Alternative für das defensive Mittelfeld zurück. Offensiv blieb jedoch nach Ende des Transferfensters nur noch die zarte Hoffnung auf eine Lösung mit dem vereinslosen Mario Götze – der Weltmeister von 2014 entschied sich dann aber für die PSV Eindhoven.
Neuzugänge für die verkündeten Positionen also: Fehlanzeige. Der vom Trainer attestierte, mangelnde Konkurrenzkampf im Kader aufgrund fehlender Alternativen wurde so nicht behoben – und es stellt sich die Frage, ob die Verantwortlichen trotz der coronabedingten Problematik, aber eben doch angesichts der finanziellen Ausstattung auf dem Markt weniger rational hätten operieren sollen. Schließlich gilt es aktuell, das Team für höhere Ansprüche fit zu bekommen. Ob es in dieser Situation opportuner gewesen wäre zu handeln beziehungsweise weiter zu gestalten, wird sich da möglicherweise schon bald weisen. In den Partien bis zu den nächsten Länderspielen – gegen Stuttgart (am Samstag, 15.30 Uhr) und Wolfsburg zu Hause sowie in Leipzig und Augsburg – sollten die Blau-Weißen jedenfalls ihr Potenzial schon nachdrücklicher auf den Rasen bringen oder zumindest ausreichend punkten. Anderenfalls könnte es zur Vorweihnachtszeit ungemütlich werden, denn ab Ende November geht es hintereinander gegen Dortmund, Leverkusen, mit dem Derby gegen Union und in Mönchengladbach weiter. Da hätte Bruno Labbadia nach den Eindrücken des Saisonstarts jetzt natürlich gern mit dem gesamten Kader gearbeitet, doch ein Dutzend Hertha-Profis war in der Ligapause für ihre jeweilige Nationalmannschaft unterwegs. Gerade bei den Neuzugängen zählt zum schnellen Lernerfolg jede Einheit, da kam etwa die Nachnominierung Cordobas durch Kolumbiens Nationaltrainer aus Vereinssicht eher ungelegen. Die „Last-Minute“-Verpflichtungen Alderete (Paraguay) und Guendouzi (Frankreich U21) erschienen sogar nur kurz zu ihrer Präsentation in der Hauptstadt – und machten gleich wieder den Abflug zu ihren Auswahlteams.