Der gelungene Saisonstart und die auf den ersten Blick hervorragende Transfer-Bilanz machen Union Berlin stolz. Der Club wirkt deutlich gefestigter als der kommende Gegner Schalke 04.
Kapitän Christopher Trimmel arbeitet nebenbei als Tätowierer? Längst bekannt! Neuzugang Loris Karius ist mit Model Sophia Thomalla liiert? Darüber hat schon jedes Boulevard-Blatt berichtet! Stürmer Max Kruse spielt in seiner Freizeit gern Poker? Ein alter Hut! Wer wirklich Neues über die Spieler von Union Berlin, ja über den ganzen Verein erfahren will, der sollte sich das Buch „Wir werden ewig leben“ von Christoph Biermann besorgen. Der Autor hat Union ein ganzes Jahr begleitet und aus nächster Nähe interessante Anekdoten, Geschichten und Eindrücke gesammelt. In dem Buch erfährt der Leser, wie die Eisernen in der Premierensaison der Bundesliga das kleine Wunder Klassenerhalt geschafft haben, was das Erfolgsmodell mit der ostdeutschen Geschichte zu tun hat – und natürlich auch das eine oder andere nette Detail über die Profis. Verteidiger Florian Hübner zum Beispiel ist ein passionierter Videogamer, er reist mit einem Koffer, in dessen Deckel ein Bildschirm eingebaut ist, in der anderen Hälfte befinden sich Spielkonsole und Steuergerät. Unions Kommunikationschef Christian Arbeit sagt in dem Buch: „Fußballprofis sind die letzten Menschen, die sich noch langweilen.“ Das bezieht sich natürlich nur auf die Zeit zwischen den Spielen und Trainingseinheiten, denn auf dem Platz ist der moderne Fußball durch eine aberwitzige Geschwindigkeit und einen enormen Handlungsdruck gekennzeichnet.
Die Länderspielpause tat den Unionern gut
Und so tat die Länderspielpause den Unionern gut – zumindest denjenigen, die nicht zur Nationalmannschaft einberufen wurden. Die ersten vier Pflichtspiele sind absolviert – und die Köpenicker können mit dem Saisonstart mehr als zufrieden sein. Im Pokal ist die zweite Runde erreicht, in der Liga steht man mit vier Punkten und Platz neun über dem Soll. „Gratulation zum Klassenerhalt, Union Berlin!“, lautete eine Überschrift in der „B.Z.“ nach dem dritten Spieltag. Und im Text hieß es: „Union kann gar nicht absteigen, so schlecht kann das Jahr nicht laufen.“
Man kann sich bildlich vorstellen, wie Trainer Urs Fischer gezetert hat, falls der Artikel ihn erreichte. Doch Fakt ist: Union präsentiert sich bislang deutlich gefestigter als die Konkurrenz im Abstiegskampf. Im Auswärtsspiel am Sonntag (18. Oktober, 18 Uhr) beim noch punktlosen Tabellenschlusslicht Schalke 04 kann Union seinem Ziel einen großen Schritt näher kommen. Bei einem Sieg würde der Vorsprung auf die Knappen sieben Punkte betragen, das wäre schon eine Hausnummer. Die Schalker sind gewarnt – nicht nur wegen ihrer 19 Spiele andauernden Sieglos-Serie. „Für uns geht es zunächst einmal darum, wettbewerbsfähig zu werden und Union Berlin im nächsten Spiel Paroli bieten zu können“, sagte S04-Sportvorstand Jochen Schneider. Übersetzt heißt das: Nach den jüngsten Eindrücken sah Schneider sein Team nicht auf Augenhöhe mit Union. Diesen Respekt hat sich der vermeintliche Underdog hart erarbeitet – auf dem Platz und auf dem Transfermarkt. Trainer Fischer hat sein Team erneut zu einer Einheit geformt, die sich mittlerweile nicht nur auf das kompakte Verteidigen und auf Standards versteht. Beim 4:0 im vergangenen Ligaspiel gegen Mainz 0:5 sahen die 5.000 Fans Spielzüge zum Zungeschnalzen.
Neuzugang Kruse hilft der Mannschaft mit seiner Erfahrung und Spielintelligenz, der flinke Sheraldo Becker ist kaum wiederzuerkennen, und ein absoluter Leistungsträger, Robin Knoche füllt auf Anhieb souverän und abgezockt die Rolle des Abwehrchefs aus, und der gerade erst verpflichtete Stoßstürmer Joel Pohjanpalo netzt mit seiner ersten Aktion gleich ein. „Es macht Spaß, mit der Mannschaft zu arbeiten“, sagte Fischer. Der Schweizer glaubt, es sei wichtig gewesen, auf dem Transfermarkt „noch mal nachgelegt“ zu haben. In der Tat gab es auch in diesem Sommer ein großes Kommen und Gehen bei Union – und das, obwohl mit dem Klassenerhalt und 41 Punkten die Ziele weit übertroffen wurden. Doch Stillstand bedeutet für die Union-Verantwortlichen Rückstand, deswegen haben bereits 17 Aufstiegshelden den Club verlassen. Für Sentimentalitäten ist im rauen Bundesliga-Geschäft kein Platz.
Erneut ein XXL-Kader mit insgesamt 27 Profis
Eines hat sich aber auch durch den Umbruch in diesem Jahr nicht verändert: Union hat erneut einen XXL-Kader mit insgesamt 27 Profis. Das größte Gedränge gibt es im Tor, gleich vier Keeper stehen unter Vertrag. Um den Status der Nummer eins kämpfen aber nur zwei: Andreas Luthe, der in den ersten Pflichtspielen souverän agierte, und Loris Karius, der kurz vor Transferschluss vom FC Liverpool ausgeliehen wurde. Wer von beiden im Spiel auf Schalke im Tor steht, wollte Trainer Fischer nicht verraten. Einen Zeitungsbericht, wonach die Wahl auf Karius längst gefallen sei, dementierte er nur halbherzig: „Wenn immer alles stimmt, was in der Zeitung steht …“
Karius hat ohne Zweifel das größere Talent. Vor ein paar Jahren, als er von Mainz auf ausdrücklichen Wunsch von Teammanager Jürgen Klopp nach Liverpool gewechselt war, galt Karius als ein Kandidat, der Manuel Neuer irgendwann einmal im Tor der Nationalmannschaft ablösen könnte. Und lange Zeit lief es auch gut bei den Reds, bis er im Champions-League-Finale 2018 gegen Madrid böse patzte. Seine spätere Erklärung, sein Sehvermögen sei nach einem üblen Check von Real-Raubein Sergio Ramos gegen den Kopf beeinträchtigt gewesen, wollte kaum jemand hören.
Karius flüchtete in die Türkei zu Besiktas Istanbul, jetzt will er sich bei Union Berlin beweisen. „Ich will meine Leistung Woche für Woche abspulen und meinen Teil dazu beitragen, dass wir unser Ziel erreichen“, sagte der 27-Jährige. In der Mannschaft sei er „gut aufgenommen“ worden, „es ist eine Supertruppe, sehr harmonisch“. Beeindruckt war Karius auch von der Stimmung an der Alten Försterei, die er beim Mainz-Spiel von der Bank aus das erste Mal hautnah miterlebte: „Das war eine Superstimmung, und der Sieg hat natürlich alles gekrönt.“
Karius, der bei Umfragen nach dem schönsten Fußballer stets weit vorne steht und, wie bereits erwähnt, mit Sophia Thomalla liiert ist, erhört auch den Glamour-Faktor bei Union. Der Club, der in seiner Premierensaison eine Art Wagenburg-Mentalität an den Tag gelegt hat, wird in der Öffentlichkeit immer interessanter. Das Buch „Wir werden ewig leben“, aus dem Autor Biermann am vorigen Donnerstag in der Alten Försterei im Beisein von Fischer, Kapitän Trimmel und Club-Boss Dirk Zingler vorlas, dürfte dazu auch etwas beitragen.