Seit dem Amtsantritt von Trump sind die Beziehungen zwischen Deutschland und den USA auf dem Tiefpunkt. Daran sei nicht nur der US-Präsident schuld, sagt Thomas Kleine-Brockhoff, Vizepräsident des German Marshall Fund, sondern auch die deutsche Kompromisslosigkeit.
Herr Kleine-Brockhoff, wie ist denn im Moment der Zustand der transatlantischen Beziehungen zwischen den USA und Deutschland?
Aus deutscher Sicht so schlecht wie seit unvordenklichen Zeiten nicht mehr. Das liegt an beiden Partnern. Donald Trump stärkt die Partnerschaft nicht, sondern ist dabei, sie zu zerstören. Aber auch Deutschland legt die Axt an die Beziehungen. Das ist sicher für viele Deutsche eine eher überraschende Feststellung. Beim German Marshall Fund sind wir in einem Seminar dieser Frage nachgegangen, indem wir Deutsche und Amerikaner gleichermaßen damit konfrontiert haben. Die deutschen Teilnehmer waren sich einig, dass Donald Trump für die Krise der Beziehungen verantwortlich sei. Die Amerikaner kamen, übrigens gleich welcher politischen Couleur, zum Ergebnis, dass Deutschland verantwortlich sei.
Warum sehen dies die Amerikaner so?
Deutschland sucht amerikanischen Schutz, verhält sich aus amerikanischer Sicht aber nicht immer wie ein guter Alliierter. Ich kann zumindest nachvollziehen, wo das herkommt. Es gibt nämlich mittlerweile eine ganze Reihe von Fragen, bei denen Deutschland keine wirklichen Bemühungen unternimmt, die Probleme auszuräumen. Ein Beispiel: Deutschland hat sich auf drei Nato-Gipfeln dazu verpflichtet, seine Verteidigungsausgaben bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzunähern. Wir haben aber gar nicht ernsthaft versucht, genau das zu tun, wozu wir uns international verpflichtet haben. Die Bundesrepublik, gerade das Land, das immer Multilateralismus und Vereinbarungstreue predigt, verweigert sich damit der gemeinschaftlichen und fairen Lastenteilung. Wir behaupten stattdessen: 1,5 Prozent ist gleich 2 Prozent. Das kommt der Mathematik eines Donald Trump sehr nahe und erodiert das Vertrauen, das Alliierte ineinander haben müssen. Meine Sorge ist, dass dieses unsolidarische Verhalten Folgen haben wird und schon hat. Und es ist ja nicht mal der einzige große Dissens mit den Vereinigten Staaten.
Welche weiteren Baustellen sehen Sie?
Nord Stream, die russische Gaspipeline zur gezielten Umgehung Osteuropas, ist sicherlich die größte Baustelle. Wir können uns über die Iranpolitik nicht mehr einigen. Wir können uns zu den Fragen der nuklearen Abschreckung, der nuklearen Teilhabe, der Reaktion auf die jahrelange russische Verletzung des INF-Vertrages meist nur auf Formelkompromisse einigen. Zur Frage der amerikanischen Truppenstationierung in Deutschland und Europa herrscht Funkstille. Wir erleben einen erheblichen Handelskonflikt, in dem Donald Trump zwar auf das unakzeptable Mittel eines Zollkrieges verfallen ist. Aber die Ursachen dieses Handelskonflikts sind nicht allein in Washington zu suchen. Und schließlich haben wir offene Fragen bezüglich des Verhältnisses zu dem chinesischen Konzern Huawei, allgemein zum Verhältnis zwischen dem Westen und China. Das ist, zusammengenommen, ein ganz erheblicher Fragenkatalog. Es scheint aber nicht mehr erste Priorität der Bundesregierung zu sein, mit unserem wichtigsten Alliierten Kompromisse zu suchen. Wir verstecken uns in unserer Unwilligkeit, uns selbst zu bewegen, hinter der Person Donald Trump.
Aber Donald Trumps Agenda verkompliziert in personam die Lösung dieser Fragen.
Natürlich, Trump macht alles komplizierter, manches unmöglich. Aber zeigen Sie mir umgekehrt ein Beispiel, bei dem die Bundesrepublik versucht hat, einen der großen Konflikte abzuräumen.
Möglicherweise in der Erkenntnis, dass mit Donald Trump diese Fragen nicht zu lösen sind, und man deshalb den Ausgang der Wahlen abwartet?
Sie haben natürlich recht, ich möchte Ihr Argument auch nicht einfach wegwischen. Tatsache bleibt aber, man kann sich nun mal nicht die Regierung aussuchen, mit der man es zu tun hat. Und wie lange wollen sie warten, wenn klar ist, dass die andere Seite des amerikanischen politischen Spektrums zumindest einige dieser Fragen ähnlich sieht, etwa das Zwei-Prozent-Ziel, Nord Stream oder Huawei? Und wenn dann noch dazu kommt, dass viele der europäischen Freunde Deutschlands in diesen Fragen auch nicht an der Seite Deutschlands stehen. Irgendwer muss doch mal versuchen, den Kurs der deutschen Selbstisolierung zu korrigieren.
Macht es ein US-Präsident Joe Biden denn einfacher, zu Kompromissen zu gelangen?
Wenn Joe Biden an die Regierung kommt, hat die Bundesregierung andere Herausforderungen. Dann hat sie keinen Grund mehr, sich hinter einer Person zu verstecken. Zu den Punkten, zu denen sie sich bisher weggeduckt hat, müsste sie sich dann gegenüber einem Joe Biden im Weißen Haus positionieren: zur Technologiepartnerschaft mit China, zu Nord Stream, zur Nato, zum Export. Natürlich ist das Umfeld, in dem dies geschieht, dann ein anderes, ein viel besseres. Dann ist der Gesprächspartner jemand, der nicht länger fantasiert, die EU sei als Herausforderer der Vereinigten Staaten gegründet worden. Jemand, der sogar ein sehr viel größerer Atlantiker ist als sein Vorvorgänger Barack Obama. In dieser Hinsicht ist Biden fast ein Wiedergänger einer vergangenen Zeit. Viele behaupten ja, es werde auch mit Joe Biden keinen Status Quo Ante der Beziehungen mit den USA geben könnten. Das ist richtig, aber im Grunde banal. Die Geschichte macht niemals eine Kehrtwende. Eine Restauration scheitert meist irgendwann. Aber es ist trotzdem ein Riesenunterschied, ob ein amerikanischer Präsident ein Ethno-Nationalist ist oder ein westlich geprägter Internationalist. Mit Biden am Ruder gäbe es viele außenpolitische Übereinstimmungen. Wenn Sie nur schauen, was in Bidens Programm dazu steht, könnte vieles davon ebenso gut in Berlin geschrieben worden sein: Wiedereinstieg ins Pariser Klima-Abkommen, Wiederaufnahme der Verhandlungen mit dem Iran, Rüstungskontroll-Initiativen, Stärkung der Nato und des ganzen regelbasierten Systems, Demokratieförderung samt einer Allianz der Demokratien. Hier gibt es große Interessenüberschneidungen. Trotzdem bleiben einige Meinungsunterschiede.
Welche Konfliktlinien sehen Sie über die genannten hinaus unter einer Regierung Biden?
Innenpolitisch ist Joe Biden einen Kompromiss eingegangen: Er ist zwar selber ein Zentrist, ein Internationalist, kein Globalisierungsgegner. Trotzdem hat er eine beinahe an Trump erinnernde Wirtschaftspolitik mit einem Hauch von „America first“ vorgestellt. Das tut er, weil er Kompromisse mit den Gewerkschaften und mit dem linken Flügel seiner eigenen Partei, den Progressiven, eingehen muss. Die vertreten einen „progressiven Protektionismus“. Er braucht den linken Flügel und die Gewerkschaften, um die Wahl zu gewinnen. Also wird die Wirtschaftspolitik stärker links geprägt sein, ebenso stärker protektionistisch. Im Rest der internationalen Agenda, von Klima über China bis hin zu Demokratieförderung, hat der Zentrist und Internationalist Biden wahrscheinlich freie Hand. Dieser innerparteiliche Kompromiss bietet also zunächst nicht die Chance, ein neues Handelsabkommen abzuschließen, sondern nur, den Status Quo zu verwalten. Wenn Zölle und Sanktionsdrohungen vom Tisch sind, wäre aber schon viel gewonnen. Der entscheidende Punkt für Deutschland wird sein, wie Biden zur Welthandelsorganisation WTO steht, zur WTO-Reform und dem Streitschlichtungsmechanismus der WTO. Donald Trump hat Reformen gefordert und zugleich verhindert. Und er hat das wichtige Schiedsgericht lahmgelegt. Wird also Biden nun neue amerikanische Richter ernennen und anderen neuen Richtern zustimmen, damit das Gremium wieder handlungsfähig wird? Das ist wichtig für Deutschland, einerseits um einzuschätzen, inwieweit die USA zum Multilateralismus zurückkehrt; andererseits um gemeinsam gegen den seriellen Regelbruch Chinas vorgehen zu können. Im Übrigen wird erst die Kompromiss-Suche mit Amerika in dieser und all den anderen Fragen zeigen, wie beweglich die Bundesrepublik ist, ob sie bereit ist, Joe Biden Erfolge zu ermöglichen, die seinen Internationalismus in Amerika populärer machen und den Übergang des transatlantischen Verhältnisses in eine Zeit hinein ermöglichen, in der Amerika nicht mehr die einzige Supermacht ist und das Zentrum der geopolitischen Aufmerksamkeit in Ostasien liegt.
Angenommen, Donald Trump trägt im Electoral College den Sieg davon. Wie verändern sich die trans-atlantischen Beziehungen dann in den nächsten vier Jahren?
Bei der Wahl in den USA handelt es sich meiner Ansicht nach um eine Weltordnungswahl, an der wir Deutsche leider nicht teilnehmen können. Es gibt zwei Thesen über die zweite Amtszeit: Die eine lautet, Trump sei dann nicht mehr angetrieben durch den Versuch, wiedergewählt zu werden und deshalb seine innenpolitische Allianz zusammenzuhalten. Dadurch werde er berechenbarer. Also mehr vom Gleichen, aber keine Zuspitzung. Nennen wir es einen verantwortungsbewussteren Ethno-Nationalismus. Die zweite These, der ich eher anhänge, geht davon aus, dass es keinen verantwortungsbewussten Ethno-Nationalismus gibt. Viel eher wäre eine weitere Zuspitzung zu erwarten. Durch die Wahl würde Trump sich in all seinen Haltungen bestätigt sehen. Vor allem, wenn er nun, die Krankheit überwindend, den Rückstand aufholt und die Wahl doch noch gewinnt. Dann wird der Mann vor Kraft kaum laufen können. Ich gehe dann davon aus, dass der sektenartige Teil seiner Anhängerschaft dem Glauben an eine göttliche Vorsehung anhängen wird. Diese Vorstellung wird ihm Flügel verleihen. Es wird säuberungsartige Aktionen geben, um alle, die scheinbar nicht loyal sind, aus dem Regierungsapparat zu verbannen. Ein Sieg Trumps wird Folgewirkungen auf den Senat und das Repräsentantenhaus haben, denn dort werden Abgeordnete und Senatoren sitzen, die ihre Wahl auf Donald Trump zurückführen. Und die republikanische Partei wird, sofern man das nicht schon jetzt der Fall ist, endgültig zum Trump-Verein. All jene politischen Ideen, die Trump vertritt, aber bislang nicht durchsetzen konnte, wird er mit neuer Macht durchsetzen wollen: die Mauer nach Mexiko, die Annäherung an Russland und die Schwächung oder Zerstörung der Nato.
Wie würde dies die Welt verändern?
Im Augenblick befinden sich alle 190 Länder dieser Welt in einer Art Warteposition. Am Tag nach der Wiederwahl von Donald Trump werden die Dominosteine fallen. Die Länder werden unterschiedliche Konsequenzen ziehen. Zum Beispiel werden sich die Zentrifugalkräfte innerhalb der EU verstärken. Bislang gibt es zwar viele Stimmen, die mahnten, angesichts von Trumps Angriffen auf Europa müsse die Union stärker zusammenstehen – beobachtbar ist aber das Gegenteil. Damit wird deutlich, welch starken Rückversicherungscharakter die amerikanische Unterstützung in 70 Jahren europäischer Einigung hatte. Fällt diese Rückversicherung nun aus, wird geopolitische Konkurrenz innerhalb und außerhalb Europas wieder virulent und die unterschiedlichen Interessen werden nicht mehr durch die Anwesenheit der USA in Europa moderiert werden. Kurz: ein uneinigeres Europa, das von den USA auch noch politisch attackiert wird – neben Russland und China, die beide Interesse an einem geschwächten, ja einem zerfallenden Europa haben. Zugleich wird der Wettbewerb der Supermächte nationalistisch aufgeladen und damit in eine neue Phase eintreten.
Wer macht dann letztlich das Rennen – Trump oder Biden?
Wenn Wirtschaftskrise und Coronavirus die beherrschenden Themen bleiben, sind die Chancen von Biden gut. Wenn es Trump gelingt, das Thema zu ändern und gestärkt aus seiner Erkrankung an Covid-19 hervorzugehen, dann hat er Chancen auf ein Comeback. Thema ändern bedeutet: Er wird die Konservativen in den USA überzeugen müssen, dass man Trump nicht mögen muss, es aber gute Gründe dafür gibt, einen Republikaner zu wählen: die Richterernennung am Supreme Court beispielsweise. Gelingt es ihm, das Thema bis zum Wahltag in den Vordergrund zu schieben, um damit einen langfristigen Widerstand gegen eine vermeintlich linksgerichtete Kulturrevolution im Obersten Gerichtshof zu etablieren, hat er Chancen. Zumal wir unter Bedingungen von Covid-19 nicht wissen, wie viele Menschen zur Wahlurne gehen, trotz der zurzeit guten Umfragewerte von Biden. Hier sind im Moment Kräfte am Werk, die wir nicht einschätzen können. Vorstellen kann ich mir, dass Trump noch knapp gewinnt, ebenso kann ich mir einen Erdrutschsieg von Biden vorstellen. Ich kann Ihnen da nur schwer als Kristallkugel dienen.