Bei den Umfrageergebnissen zur US-Präsidentschaftswahl liegt Joe Biden als Kandidat der Demokraten klar vor dem amtierenden Donald Trump. Eine Garantie für den Machtwechsel im Weißen Haus liefert dieses Stimmungsbild allerdings nicht. Der Wahlausgang ist von vielen weiteren Kriterien abhängig.
Das aktuelle Meinungsbild der US-Wähler ähnelt dem, welches sich auch vor vier Jahren abgezeichnet hat. Damals, im Jahr 2016, lag die Kandidatin der Demokraten, Hillary Clinton, in den Umfragen deutlich vor Herausforderer und Politikneuling Donald Trump. Bis zuletzt lag die Wahrscheinlichkeit ihres Sieges laut den Hochrechnungen der US-amerikanischen Nachrichtenwebsite mit den Schwerpunkten Statistik und Datenjournalismus „FiveThirtyEight“ bei über 70 Prozent. Genützt hat dieser gigantische Vorsprung innerhalb der Bevölkerung trotzdem nichts: Der amerikanische Unternehmer, Entertainer und Milliardär Donald Trump wurde der 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Bei der Wahl zum 46. Präsidenten der USA, die in wenigen Wochen stattfinden wird, sind die Umfrageergebnisse der Prognoseplattform „FiveThirtyEight“ noch eindeutiger. Laut ihrer Analyse liegen Bidens Chancen, das Rennen um das Präsidentschaftsamt zu gewinnen, bei über 86 Prozent. Seinem republikanischen Kontrahenten, dem derzeitigem US-Präsidenten Donald Trump, bleiben somit lediglich 14 Prozent Wahrscheinlichkeit, um im Weißen Haus zu bleiben und damit auch seine zweite Amtsperiode anzutreten. Für eine ausgelassene Feier im Lager der Demokraten ist es dennoch viel zu früh. Das liegt unter anderem auch an den Besonderheiten des amerikanischen Wahlsystems.
539 Wahlmänner und -frauen entscheiden die Wahl
Im Gegensatz zu Deutschland können die Amerikaner ihren gewünschten Präsidentschaftskandidaten nicht direkt wählen. Diese Aufgabe übernehmen die 539 Wahlmänner und Wahlfrauen im Electoral College, die von insgesamt 50 Bundesstaaten entsandt werden. Neben dem künftigen Präsidenten der USA wählen diese Delegierten übrigens auch den Vizepräsidenten. Wer das Rennen um das Präsidentenamt für sich entscheiden möchte, braucht also deren Mehrheit, nicht die der Wähler. Für eine Mehrheit im Electoral College sind 270 Wahlleute erforderlich. Dabei werden die meisten Bundesstaaten der USA von einem Mehrheitswahlrecht bestimmt: Der Kandidat, für den sich die meisten Wähler ausgesprochen haben, bekommt auch alle Stimmen aus dem jeweiligen Bundesstaat zugesprochen. Die Knappheit des Ergebnisses spielt in diesem Fall keine Rolle. Im Jahr 2016 führte das beispielsweise dazu, dass Donald Trump sich in einigen Staaten mit hauchdünner Mehrheit behaupten konnte und deshalb alle Stimmen der Wahlleute abräumte. Ob er auch diesem Jahr einige überraschende Stimmen erhalten wird, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen. Dennoch spricht der Ist-Zustand aktuell für Biden: Laut den Hochrechnungen von „FiveThirtyEight“ rechnen die Statistiker aktuell mit einem Anteil von 346 Wahlleuten für den Demokraten, für Trump lediglich mit 193. Eine weitere tragende Rolle beim Rennen um das Präsidentschaftsamt übernehmen die sogenannten Swing States. Dazu zählen unter anderem Florida, Pennsylvania und Wisconsin. Im Gegensatz zu anderen Bundesstaaten – wie beispielweise Texas, das seit Jahrzehnten traditionell an die Republikaner geht, und Kalifornien, das sich seit Jahren mehrheitlich für den liberalen Kandidaten entscheidet – herrscht in den Swing States weder die strukturelle Mehrheit der Republikaner noch die der Demokraten. Aufgrund dieser schweren Einschätzung, für welchen Kandidaten die Entscheidung fallen wird, wird ihnen eine ganz besondere Bedeutung bei den Wahlen zugesprochen. Das spiegelt auch der Machtkampf der beiden Kandidaten wider, der sich vor allem auf diese Bundesstaaten konzentriert. Schaut man sich die Analyse der Politikplattform „RealClearPolitics“ an, lassen sich schon Tendenzen der Swing States festlegen. Biden überzeugt in Arizona, Florida, Iowa, Michigan, Nevada, New Hampshire, North Carolina, Ohio, Pennsylvania, Virginia und Wisconsin. Trump konnte bisher dagegen nur in Georgia einen Vorsprung herausholen. Doch auch hier gilt dies nicht als Garant für den Sieg. Dafür sind die Wahlen noch zu weit entfernt.
Der Machtkampf konzentriert sich auf die Swing States
Die größte Hürde für die Wiederwahl Trumps sehen die amerikanischen Politik-Experten jedoch in seiner Persönlichkeit: Trump fehlt der Rückhalt in der breiten Bevölkerung. Besonders deutlich zu sehen war dies während der Proteste gegen Polizeibrutalität und Rassismus. Trump habe viel relativiert und die tödliche Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA heruntergespielt. So hätte er beispielsweise die Frage eines Journalisten, warum Schwarze in den USA immer noch von Polizisten getötet würden, einfach mit dem Kommentar „Was für eine schreckliche Frage!“ erstickt. Neben der sozialen Spaltung der Gesellschaft – die unter Trump noch gigantischere Ausmaße angenommen hat – kommt die wirtschaftliche Instabilität des Landes hinzu. In den vier Jahren sei die Wirtschaft zwar stärker, in der Corona-Krise jedoch dramatisch schwächer geworden, bis sie nun laut den US-Experten ihren Tiefstand erreicht hat. Hinzu kommt der Mangel an großen außenpolitischen Erfolgen und erst kürzlich aufgedeckte Skandale des amtierenden Präsidenten, wie etwa mutmaßliche Steuerhinterziehung. Auch seine fragwürdige Haltung gegenüber der Corona-Pandemie und nun seine Covid-19-Erkrankung könnten bei der Wahl eine entscheidende Rolle spielen und die Bevölkerung weiter von ihrem Präsidenten entfernen. Was passiert also, falls Trump die Wahl zum 46. Präsidenten tatsächlich verliert? Es scheint, als hätte das amtierende Staatsoberhaupt der USA bereits einen Plan in der Tasche. So äußerte sich Trump bereits mehrfach kritisch zu den anstehenden Briefwahlen, die seiner Meinung nach „extrem anfällig für Manipulationen“ seien. Diese Aussagen schaffen die Basis für eine mögliche Anfechtung der Wahl, falls sie nicht zugunsten von Trump ausfallen sollte. Eins machte der übrigens schon im Vorfeld klar: Eine geordnete Übergabe der Macht werde es bei seiner Niederlage nicht geben.