Revolten fegten ab 1789 nicht nur das Ancien Régime hinweg, sondern mit ihm auch die pompöse, europaweit nachgeahmte Mode des Versailler Hofs. Das hatte radikale Neuausrichtungen im Kleidungsstil zur Folge – bei der Männermode noch viel nachhaltiger als in der Damenwelt.
Es ist ziemlich verwunderlich, dass 2020 eine modische Rückbesinnung ausgerechnet auf jene rund 230 Jahre zurückliegenden Zeiten stattgefunden hat. Bis zum Ausbruch der Französischen Revolution galt die vorbildhafte Rolle des Versailler Hofs in allen Fragen des vornehmen Kleidungsstils europaweit verbindlich und war unbestritten. In der Damenmode und im Hair-Style des Jahres 2020 spielten Madame de Pompadour und Königin Marie Antoinette als Inspirationsquelle eine wichtige Rolle. In Teilen der Menswear waren deutliche Anleihen beim Look der französischen Edelmänner zu erkennen, der einstmals reichlich feminine Akzente aufgriff. Und im vergangenen Juni hatte das traditionsreiche Modehaus Dior zur Präsentation seiner Herbst-Winter-Kollektion 2020/2021 auf ein Medium zurückgegriffen, das vor allem während der Epochen des Barocks und im Rokoko in die wichtigsten europäischen Staaten zur möglichst getreuen Nachahmung des Versailler Mode-Stils versandt worden war: die Modepuppe.
Eigentlich wurden sie schon im 14. Jahrhundert erfunden und aus Holz oder Pappmaschee gearbeitet, um den Pariser Hochadel über die neuesten Trends auf dem Laufenden zu halten. Auf den Namen „Mannequins“ getauft, sollten die „Poupées de Mode“ vor allem im 17. und 18. Jahrhundert die Führungsrolle Frankreichs in allen Modefragen untermauern.
Schon früh Vorreiter von Fashion Weeks
Es handelte sich jeweils um zwei Puppen, die „Pandora“ genannt wurden: Die große Pandora war ein lebensgroßes Puppenmodel und präsentierte die neueste französische Staatstoilette, die kleine Pandora war in die aktuellsten Negligé-Teile gehüllt. Selbst nach der Französischen Revolution blieben die Modepuppen en vogue. Der französische Modezar des 19. Jahrhunderts, Charles Frederick Worth, pflegte mit ihnen in seinem Pariser Atelier zu arbeiten, bevor er mit seinen viermal jährlich abgehaltenen Modeschauen den Prototyp der heutigen Fashion Weeks schaffen sollte.
Was die Beweggründe für das Interesse der Designer an der heute absolut nicht mehr zeitgemäßen Rokoko-Mode angeht, so dürften dabei zwei Aspekte im Vordergrund stehen. Erstens eine Sehnsucht nach Opulenz und Maximalismus als Reaktion auf Funktionalismus und Minimalismus im modernen, von Athleisure geprägten Streetstyle. Und zweitens der im Zuge der Gender-Debatte viel diskutierte Ansatz zur (Wieder-)Abschaffung der modischen Geschlechtergrenzen.
Ansonsten kann man eigentlich nur froh darüber sein, dass die Französische Revolution nicht nur die politische und soziale Gesellschaftsform Europas grundlegend verändert hat, sondern auch einen radikalen Schnitt, einen bis dahin nie dagewesenen Bruch mit modischen Traditionen, zur Folge hatte. Betroffen waren davon hauptsächlich die höchsten, bis dahin in Modefragen ausschließlich tonangebenden Adelskreise. An der Kleidung des einfachen Volkes, den Klamotten der durch Bauern und der wachsenden Arbeiterschar im Zuge der Frühindustrialisierung geprägten Unterschicht, hatte sich hingegen vergleichsweise wenig geändert. Allerdings war es nach Abschaffung der strikten Standestrachten möglich, dass sich jeder Franzose nach eigenem Gusto einkleidete.
In historischen Publikationen zur Französischen Revolution fristet das Kapitel Mode-Umbruch in der Regel nur ein Nischendasein. Nur das Schlagwort „Sansculottes“ darf natürlich nirgendwo fehlen, da das Tragen einer langen, röhrenförmigen Hose namens Pantalon in erster Linie Ausdruck einer politischen Meinung war. In dieses waren Matrosen schon seit dem 15. Jahrhundert geschlüpft – anstelle der Culottes oder Kniebundhose, die als typisches Kleidungsstück des Adels galt. Dass die Pantalon in Kombination mit dem aus der Militärkleidung hervorgegangenen Herrenrock namens Justaucorps, der sich über den Umweg eines schlichten schwarzen Tuchrocks um 1800 in den Gehrock verwandeln sollte, die Basis für den modernen Herrenanzug und den Frack legen sollte, konnte damals noch niemand erahnen. In den anfänglichen Revolutionswirren wagten es sogar Frauen, in die Pantalons zu steigen. Das war für die männlichen Aufständischen dann doch zu viel des Guten und wurde 1800 durch eine Polizeiverordnung sogar ausdrücklich verboten. Das weibliche Hosentragen sollte daher erst als Folge des Ersten Weltkrieges nach und nach salonfähig werden.
Wechsel der Moderegentschaft für das Bürgertum
Immerhin brachte die Französische Revolution mit dem Wechsel der Moderegentschaft zugunsten des Bürgertums eine weitgehende Befreiung der Frauen vom Diktat der sogenannten Robe à la française, für die ein auf extreme Taillierung abzielendes Korsett, ausladende Gewänder wegen des stützenden Reifrocks, Puderberge auf Haut und Haar, turmhohe Kunstfrisuren und der sogenannte Stöckchenschuh mit hohem Absatz maßgeblich waren. Die Unbequemlichkeit der vorrevolutionären Versailler Damenkleidung, bei der das offenherzige Dekolleté überraschenderweise abgesehen von kleinen Rüschen aus Spitze oder einem Band um den Hals meist schmucklos geblieben war, ist kaum vorstellbar. Es wurde von Tailleneinschnürungen bis hin zu 30 Zentimetern berichtet. Für die heutige Größe 36 wird von einem Taillenumfang von rund 66 Zentimetern ausgegangen. In einem Galakleid war die Adelsdame bis zu zwei Meter breit, konnte Türen nur seitlich passieren und brauchte beim Sitzen reichlich Freiraum. Die künstlich himmelwärts verlängerten Haaraufbauten waren oft so hoch, dass sich das Kinn in der Körpermitte befand. Beim Kutschenfahren mussten sich die Damen auf den Boden setzen und ihr hochtoupiertes Haupt zusätzlich aus dem Fenster strecken.
Welch ein Kontrast war dagegen die Kombination von schlichten Röcken und Jacken, anfangs in den Farben Blau, Weiß und Rot gehalten, nach 1795 durch Blau, Weiß und Rosé ersetzt. Manche Frauen trugen wie die Männer die phrygische Jakobinermütze oder auch einen hohen Hut. Die Frauengruppe der Merveilleuses präferierte transparente Hemdkleider, bei denen Ober- und Unterteil so geschickt verbunden waren, dass der optische Eindruck einer einteiligen Robe entstand. Für die Wintermonate wurden Damen-Reitmäntel eingeführt, deren Schnitt von Uniformröcken abgeleitet war. An den Füßen gönnten sich viele Republikanerinnen die kleine Extravaganz, Schuhe mit roten Absätzen zu tragen, die vormals den Adligen vorbehalten waren. Kostbare Stoffe wie Seide waren verpönt und wurden durch aus England importierte Baumwolle ersetzt. In der Zeit des Britischen Empires wandelten sich die leichten, weißen Chemisenkleider durch schwerere Stoffe und reichlich Verzierungen wie Stickereien oder Spitze zum noch heute bekannten Empirekleid, wozu lange Handschuhe als Pflicht-Accessoire gehörten. Mit dem Verschwinden des Empirekleids nach 1815 sollte ab 1824 auch das Korsett wieder auf die modische Bühne zurückkehren.
Noch weitaus gravierendere Auswirkungen als in der Damenwelt hatte die Französische Revolution auf die Herrenmode. Denn streng genommen verabschiedete sich der Mann von der Mode und beschränkte sich fortan auf mehr oder weniger funktionale Kleidung. Alles Demonstrative oder Ausgefallene wurde komplett der Damenwelt überlassen, wenn man mal vom Sonderfall des Dandytums in Nachfolge von Beau Brummell absieht. Dabei war diese Entwicklung in Zeiten des Ancien Régimes beim besten Willen nicht absehbar gewesen.
Die Männer trugen knallenge Hosen aus feinsten Stoffen
Am Versailler Hof konkurrierten die adligen Herren in ihrer pfauenhaften Aufmachung mit den ebenso herausgeputzten Damen um den Gipfel der Schönheit. Parfüm, Schminke, Puder, Perücke, Schmuck oder Schönheitspflästerchen („Mouches“ genannt) gehörten ganz selbstverständlich zum Repertoire der adligen Taugenichtse, die ihre durch das vom König erzwungene Nichtstun hervorgerufene Langeweile allenfalls durch raffinierte Vergnügungen aller Art vertreiben konnten. Es blieb ihnen täglich jede Menge Zeit, um an der Perfektionierung ihrer äußeren Erscheinung zu feilen.
Kostbare Stoffe für Weste und Rock wie Samt, Seide oder Brokat kamen dabei ebenso zum Einsatz wie Schleifen, Pailletten-Knöpfe, Stickereien, Bänder, Blumen oder Federn. Ihre Beine pflegten die Herren ganz offensiv zur Schau zu stellen, im unteren Bereich mittels Seidenstrümpfen, darüber mittels knalleng geschnittener Kniebundhosen. Schuhe mit Absätzen und aufwendigen Schnallen sorgten für eine optische Körperverlängerung. Diese offenkundige Vorliebe für Kleidungs- und Schönheitsdetails, die heute gemeinhin den Damen vorbehalten ist, wurde schon zu Zeiten des Ancien Régimes von vielen Vertretern der Aufklärung oder der Reformation heftig kritisiert. Von daher war der vergleichsweise schlichte Männeranzug, dessen Grundlagen im Laufe der Französischen Revolution geschaffen wurden, so etwas wie die größtmögliche Antipode zur höfischen Mode. Dass aktuell wieder einige Menswear-Designer zu einer Fashion mit expressiven femininen Akzenten zurückkehren möchten, mag vor dem historischen Background womöglich weitaus weniger überraschen.