Nach dem Schrecken zweier Weltkriege wurde die UN-Charta vor 75 Jahren unterschrieben. Die Geburt einer neuen Weltorganisation sollte endlich für Stabilität sorgen. Doch wie viel Frieden hat die Organisation der Vereinten Nationen der Welt gebracht?
Der Ort für den Aufbruch in eine neue Weltordnung war mit Bedacht gewählt. Die Gedenkhalle für die Kriegsveteranen in San Francisco unterstrich, was die Unterzeichner der Charta der Vereinten Nationen – der UN-„Verfassung" – am 26. Juni 1945 nach zwei Weltkriegen nicht mehr wollten: eine Welt in Trümmern und Millionen Tote und Verletzte. Nach der deutschen Kapitulation sollte eine neue Organisation den diplomatischen Boden für den Weltfrieden, den Schutz der Menschenrechte und die bessere internationale Zusammenarbeit bereiten. Wie gut hat das geklappt?
Der Weltfrieden ist nach wie vor fern, trotzdem aber sprechen die Zahlen für sich. Waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Schätzungen zufolge allein mehr als 100 Millionen Menschen in den beiden Weltkriegen ums Leben gekommen, starb seitdem nur noch ein Bruchteil davon in Konflikten. Die von den Vereinten Nationen mit repräsentierte neue Weltordnung verhinderte trotz Kaltem Krieg eine direkte Konfrontation zwischen den Großmächten. 2001 wurde den UN der Friedensnobelpreis verliehen.
Bewaffnete Konflikte gänzlich zu verhindern ist nach Kriegen unter anderem in Vietnam, in der Golfregion, im ehemaligen Jugoslawien oder noch immer in Syrien bis heute ein Traum geblieben. Doch neben der deutlichen Senkung der Kriegstoten haben die Vereinten Nationen der Welt noch andere Dienste erwiesen. Am deutlichen Rückgang von Hungersnöten und Toten durch Nahrungsmangel waren die UN mit zahlreichen Missionen maßgeblich beteiligt. Angeschlossene UN-Organisationen wie die für Gesundheit (WHO), Handel (WTO) oder Kultur (Unesco) bildeten bewährte Scharniere zwischen den Ländern, die aus der heutigen globalisierten Welt nicht mehr wegzudenken sind. Die UN-Millenniumsziele sorgten für große Fortschritte beim Zugang zu Schulbildung oder der Bekämpfung von Armut und Kindersterblichkeit.
Nackte Zahlen sprechen für die Organisation
In den vergangenen 75 Jahren gab es auch eine Reihe von Desastern, bei denen den UN Versagen vorgeworfen wurde. So sind beim Völkermord in Ruanda Mitte der 90er-Jahre knapp eine Million Tutsis getötet worden. Die Vereinten Nationen hatten eine Friedenstruppe im Land, verhinderten den Völkermord aber nicht. Im ostbosnischen Srebrenica stehen niederländische UN-Blauhelme unter Verdacht, einen Genozid geschehen haben zu lassen, als bosnisch-serbische Truppen unter General Ratko Mladić nach der Eroberung im Juli 1995 rund 8.000 Männer und Jungen töteten – es gilt als das schlimmste Kriegsverbrechen nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa.
Zuletzt war es vor allem der Krieg in Syrien mit Hunderttausenden Toten seit 2011, dem die UN nicht Herr werden konnten. Vor allem das mächtigste UN-Gremium, der Sicherheitsrat, war immer wieder blockiert, Syriens Verbündeter Russland setzte viele Vetos ein. „Der Ruf des Sicherheitsrates hat während des Jahrzehnts der Syrienkrise sehr stark gelitten. Ich denke, Syrien ist ein moralisches Versagen für die UN, vergleichbar mit Bosnien und Ruanda", sagt UN-Experte Richard Gowan von der Denkfabrik Crisis Group. Im Zeitalter der nationalen Alleingänge von US-Präsident Donald Trump und anderen haben die Vereinten Nationen es schwer. Das sieht man auch daran, wie UN-Generalsekretär António Guterres und der Sicherheitsrat sich winden, um wenigstens einen Minimalkonsens zu finden. Zuletzt endete sogar eine angestrebte Corona-Resolution zur Unterstützung eines weltweiten Waffenstillstandes während der Pandemie wegen eines Machtkampfs zwischen China und den USA im Fiasko.
Seit der Gründung gibt es aber auch einige Desaster
„Natürlich gehen die Vereinten Nationen durch eine sehr schwierige Zeit. Aber ich glaube nicht, dass wir uns wieder in einer neuen Situation des Kalten Krieges befinden", sagt Experte Gowan und spielt auf den Wettstreit zwischen den USA und Russland bis zum Ende der 80er-Jahre an, in der sich die Supermächte unversöhnlich gegenüberstanden. So sei 1959 gerade einmal eine einzige Resolution im Sicherheitsrat verabschiedet worden. Heute seien es im Jahr um die 50.
Die Vereinten Nationen bestehen aus weit mehr als nur den Streitigkeiten, die es in die Schlagzeilen schaffen. In vielen Bereichen sind sie unverzichtbar und werden das auch bleiben. Bei der Sicherung des Friedens hängt viel davon ab, ob der Trend zum Nationalismus anhält –
besonders wichtig ist dabei die US-Präsidentschaftswahl im November.
Mittel- und langfristig dürfte sich Richard Gowan zufolge der Aufstieg Chinas weiter niederschlagen. Schon jetzt fechten Peking und Washington ihre Fehde auch bei den UN aus, doch das könnte nur ein Vorgeschmack sein: „In fünf oder zehn Jahren könnten wir wieder auf einem Niveau der Lähmung sein, das an die schlimmsten Zeiten der Vergangenheit erinnern könnte", glaubt Gowan. Viel werde davon abhängen, ob die USA und China einen Modus Vivendi finden. Eine große Frage ist auch, wie die UN sich verändern könnten, wenn China einflussreicher wird und mehr Beiträge zahlt. Schon jetzt setzt UN-Chef Guterres in Bezug auf China vor allem auf das Thema wirtschaftliche Entwicklung und vermeidet es oftmals, die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen des Landes anzusprechen.